Kapitel 63: Im Verlies

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Orte wie diesen hatte ich schon immer gehasst. Auch den Kerker in Schneewacht hatte ich stets gemieden. Doch jetzt brannte bereits seit zwei Tagen diese Frage in meinem Kopf und ich wollte endlich eine Antwort.

Kaum das Meister Aureus mir erlaubte das Bett zu verlassen, bat ich Rajan es mir zu ermöglichen mit Roya zu sprechen. Er war sichtlich skeptisch, doch er versprach alles Nötige in die Wege zu leiten.

Und so war ich nun hier, lief von einer Kerkerwache geführt und von vier Gardisten flankiert durch die dunklen Gewölbe der Feste Goldstern. Die Decke war niedrig und die Abstände zwischen den seitlich abgehenden Zellen sehr schmal, sodass die Gänge furchtbar erdrückend wirkten.

Ich hatte mir Kerker immer recht laut vorgestellt, mit an den Gittern stehenden Verbrechern, die die Wärter verfluchten oder auf die Eisenstäbe einschlugen. Stattdessen aber saßen die meisten der Häftlinge still in ihren Nischen, außerhalb des Lichtkreises der Fackeln und schwiegen. Nur wenige hörte man vor sich hinmurmeln und nur ein einziger stand am Gang und starrte mich stumm an. Mir fiel aber auch auf, dass viele der Zellen unbesetzt waren.

Der Wächter blieb schließlich vor einer der Mulden stehen, schaute auf die verwitterte, in den Stein gehauene Zahl über den Stäben und dann auf das Pergament, dass er in der Hand hielt. Er zog einmal geräuschvoll die Nase hoch und rotzte dann auf den Fußboden.

„Hier ist die Gefangene. Seht zu, dass Ihr nicht zu lange braucht."

Ich ignorierte ihn und eilte, soweit es das schmerzhafte Ziehen in meinem Bauch zuließ, an die Stäbe.

„Roya?", flüsterte ich in die Dunkelheit.

Die Gestalt in den Schatten hob ruckartig ihren Kopf. Als sie mich augenscheinlich erkannte, rappelte sie sich auf und kam ebenfalls ans Gitter gelaufen.

„Mylady!", rief sie überrascht.

Ich freute mich sie zu sehen, aber der Anblick tat weh.

Ihr Gesicht war blass und wirkte ausgezehrt. Ihre sonst so strahlenden Augen schauten mir matt zwischen den Stäben hindurch entgegen.

„Es tut mir leid, Mylady", sprach sie mit rauer, brüchiger Stimme. „Aber Ihr musstest es wissen!"

„Was musste ich wissen?", fragte ich überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie einfach zu reden begann.

„Was die Rebellen planten! Mir hätte niemand zugehört!"

Ich umfasste vorsichtig ihre Hände, die sie um die dicken Stäbe ihrer Zelle gelegt hatte. Sie waren eisig.

„Bitte Roya. Erzähl mir alles von Anfang an. Was hast du damit zu tun? Ich kann nicht glauben, dass du zu den Rebellen gehörst."

Energisch schüttelte sie den Kopf. „Ich habe nichts mit den Rebellen zu tun, Mylady, das schwöre ich Euch bei allem was mir heilig ist." Sie drückte sich noch etwas näher an die Stangen und begann zu flüstern. „Erinnert Ihr Euch an den Brief, den Ihr bekamt?"

Erschrocken zuckte ich etwas zurück. „Woher weißt du von..."

„Ich schrieb ihn."

„Du?" Völlig schockiert starrte ich sie an. Sie erwiderte den Blick ruhig. In dem dumpfen Fackellicht wirkten ihre Augen komplett schwarz. „Aber..."

„Ihr meint wegen dem Absender?" Sie lächelte leicht. „Ich wusste womit ich unterzeichnen musste, damit Ihr garantiert hingehen würdet."

Augenblicklich stieg das Schamgefühl in mir auf, doch sie musterte mich nur sanft.

Mir war nicht einmal bewusst, dass Roya schreiben konnte. Unüblich für eine ehemalige Sklavin vom Westkontinent.

„Wenn man so aufgewachsen ist wie ich, dann achtet man auf vieles. Und man weiß auch, was um einen herum passiert. Ich selbst lebte viele Jahre in den Schatten und ich erkenne Menschen, die sich ebenfalls in den Schatten bewegen. Deshalb habe ich öfter mitbekommen, wie die Rebellen sich trafen und ihre finsteren Pläne schmiedeten. Ich wollte mich da heraushalten. Ich wollte die Dinge geschehen lassen und die Menschen, die glauben die Macht über alles Geschehen zu haben, sich darum kümmern lassen. Niemand hätte mir zugehört. Doch dann passierte der Mord an dem Lord von Sonnenhöh. Und ich wusste, dass sich Menschen, die zu einem solchen Schritt bereit sind, niemals damit zufrieden geben würden. Wenn sie einmal das Blut geleckt und in dem Schrecken gebadet haben, entfaltet sich die ganze Gier. Also hörte ich wieder hin. Und ich hörte, dass sie zu schlimmerem bereit waren. Zu schlimmerem, das Euch betrifft, Mylady." Sie hielt kurz inne und zog besorgt die Augenbrauen hoch. „Ich dachte Euer Bruder würde sie von Euch fern halten. Ich dachte er würde dafür sorgen, dass sie niemals Euch schaden würden, um Lord Thymeris Schaden zuzufügen. Doch ich musste feststellen, dass ich mich verschätzt hatte." Ein bitteres Lächeln zog sich über ihr Gesicht, gleichzeitig fuhr ein dumpfer Schmerz durch meinen Brustkorb. Sie senkte den Blick zu Boden und lehnte die Stirn gegen den Stab vor ihr. „Eine Weile haderte ich mit mir. Ich wollte Euch schützen, doch ich wusste nicht wie. Niemand außer Euch würde mir zuhören und auch hättet Ihr es nicht mit eigenen Augen gesehen, sondern nur aus der Aussage Eurer Zofe. Daher entschied ich, dass Ihr es selbst erfahren musstet, auch wenn es Euch in Gefahr brachte.

Stern des NordensWhere stories live. Discover now