Kapitel 53: Ein Fehler?

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„Kaum zu fassen", murmelte Demian und schüttelte ungläubig den Kopf. „Der Lord von Sonnenhöh ermordet, innerhalb der Mauern des Königs."
„Grauenvoll", stimmte ich ihm zu und fröstelte, obwohl mir die warme Vormittagssonne durch das Fenster auf den Rücken schien. Die Erinnerung an Edar Rynons Leiche würde wohl noch eine ganze Weile kalte Schauer über meinen Rücken laufen lassen, auch wenn ich nur kurz sein Gesicht und sonst lediglich den bedeckten Körper gesehen hatte. Mit einem mulmigen Gefühl lehnte ich mich im Stuhl zurück. Ein Mörder lief hier frei herum. Und theoretisch könnte es jeder sein.
Ich sah auf zu dem großen Gemälde, welches über dem Kamin hing. Es zeigte einen stolzen jungen Mann, gekleidet in edelste Stoffe, wie er auf einem prächtigen Rappen posierte, das Schwert fest in der Hand. Sein Haupt schmückte eine Krone.

„Weißt du, was der König jetzt unternimmt?"
Ich löste meinen Blick schwerfällig von den leeren Augen des Mannes, vermutlich irgendein Vorfahre von Odrick, und sah zu Demian, der mit dem Rücken zu dem Gemälde an den Tisch gelehnt stand und mich über die Schulter hinweg an sah. Ich hatte auf einem der Stühle am Kopf der Tafel Platz genommen.
„Er hat Rajan beauftragt den Verantwortlichen zu finden."
Seine Augenbrauen schnellten augenblicklich in die Höhe. „Rajan?", fragte er, als müsste er sicher gehen, dass er sich nicht verhört hatte.

Ich nickte und spielte unsicher an den Ringen an meinen Fingern. Es war mir etwas unangenehm mit Demian über Rajan zu sprechen, genauso andersherum. Beiden gegenüber hatte ich ein schlechtes Gewissen, wegen dem jeweils anderen. Demian wurden wegen mir von Rajan verletzt, während ich Rajan damit verletzte, dass ich Zeit mit Demian verbrachte. Wieso nur musste es immer so kompliziert sein?

In der Stille des Raumes raschelte der Stoff seiner Kleider, als er das Gewicht verlagerte und die Arme vor der Brust verschränkte.
„Wieso denn Rajan? Der König dürfte Leute für so etwas haben."
Er sah mich erwartungsvoll an, doch ich zuckte nur die Schultern.
Natürlich hatte Rajan mir gesagt, dass es sich vermutlich um eine Strafe wegen seines Ungehorsams handelte, doch ich würde mich schlecht fühlen, das nun Demian unter die Nase zu reiben.
„Hm", brummte dieser nur und das Zimmer versank wieder in Schweigen.

Er hatte mich hierher geführt, in einen der vielen Salons des Schlosses. Wo anders hätten wir wahrscheinlich nicht in Ruhe reden können. Es war nur Glück, dass der Wache, die mich heute morgen begleitet hatte, offensichtlich nicht bewusst war, dass ich mich nicht alleine in Goldstern bewegen durfte. Als Rajan aus dem Saal gerauscht war, war der junge Mann ihm vermutlich gefolgt, auch wenn ich es nicht mit Gewissheit sagen konnte. Jedenfalls kam mir niemand hinterher, nachdem ich zu Demian gegangen war und mit ihm dann hierher.
Vielleicht war es nicht richtig, aber ich verbrachte gern Zeit mit ihm. Seine unbefangene, zwanglose Art tat mir gut und half mir immer wieder für einen Augenblick zu vergessen, was mich eigentlich bedrückte.

Ich sah zu Demian auf, der gedankenverloren auf den Boden vor sich starrte. Seine Nase sah nach dem Schlag gestern wirklich schlimm aus, zu beiden Seiten des Nasenrückens hatte er blau-violette Verfärbungen.
Ich fragte mich, was sein Vater gestern noch dazu gesagt hatte, als er ihn zu sich riefen ließ, doch sprach die Frage nicht laut aus. Vielleicht wollte ich es gar nicht wissen, mein schlechtes Gewissen plagte mich auch so schon genug.

Mit einem tiefen Seufzen schob ich den Stuhl zurück und stand auf. Ich war zu unruhig um einfach da zu sitzen, also lief ich stattdessen zu einem der Fenster und hob den leichten Stoff des Vorhangs an, um besser hinaussehen zu können.

Wie immer liefen im Schlossgarten unten die Bediensteten herum, stutzten den Rasen und pflegten die Beete. Andere kescherten die Teiche oder beschnitten die Büsche. Ich stellte es mir anstrengend vor, dort draußen zu arbeiten, wo doch die Sonne immer höher stieg und immer ungnädiger auf sie hernieder schien. Jetzt im Frühsommer hatten die Strahlen hier in Goldstern ordentlich Kraft, für meine nordische Haut beinahe schon zu viel. Ein Lieblings-Thema von Demian - in Meereshorn würde mich die Hitze vermutlich bereits nach kurzer Zeit zerreißen.

Stern des NordensWhere stories live. Discover now