Kapitel 14:

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Als Roya mich am nächsten Morgen weckte, fühlte ich mich als wäre ein Bär aus dem Himmel gefallen und hätte mich dabei unter sich begraben. Ich war froh, dass es in der Kutsche keinen Spiegel gab in welchem ich mich hätte betrachten müssen.
Während sie mir beim Ankleiden half und meine Haare machte, erzählte sie mir, wie die Wachsoldaten von Birkenhain am Vorabend die Tür versperrt hatten, nachdem der Lord und ich mit den zwei Gardisten darin verschwunden waren. Es hieß, die Bediensteten seien nicht erwünscht. Das erklärte, warum uns niemand in die Feste gefolgt war.
Lord Thymeris sah ich nur einmal aus der Ferne, als ich zum Weiterreisen in die Kutsche stieg. Er und zwei weitere Reiter – vermutlich Hauptmann Joren und Tristan - hatten sich ein Stück von der Kolonne entfernt, wahrscheinlich um einen Überblick zu bekommen, ob alles bereit war. Er sah in meine Richtung und nickte, doch ich wandte mich einfach ab und zog die Tür hinter mir zur, wobei ich den verwirrten Blick des Kutschers von draußen ignorierte, dessen Aufgabe dies eigentlich gewesen wäre. Ich wollte mich nicht wie ein bockiges Kind verhalten, doch ich hatte eine finstere Vermutung und ich hatte zu viel Stolz, um mir das einfach bieten zu lassen.
Der Tag verlief relativ ereignislos. Sarameh verbannte ich aus meiner Kutsche und war Roya sehr dankbar, dass sie nicht nach dem Grund fragte. Am Abend wagte ich es sogar, Lord Thymeris' Einladung zum gemeinsamen Abendessen abzulehnen, mit der Begründung ich sei zu erschöpft.
Fast eine ganze Woche ging das so. Ich sah den Lord manchmal aus weiterer Entfernung, doch ich ignorierte ihn und wenn er vorbeiritt erwiderte ich seinen Gruß mit einem knappen Nicken.
Mittlerweile musste er sich denken, dass ich beleidigt war, doch dass ihm der Grund bewusst war, bezweifelte ich.
Jedenfalls war unser überstürzter Aufbruch aus Birkenhain knapp sieben Tage her, als Lord Thymeris während der Pause am Mittag plötzlich vor mir stand. Ich versuchte irgendetwas aus seinen Augen zu lesen, doch sein Blick war undurchdringlich.
„Mylady, Ihr weicht mir seit einer Woche aus", stellte er nüchtern fest. „Sollte ich mir Sorgen machen?"
Ich verschränkte meine Finger ineinander, damit ich nicht anfing sie nervös zu kneten. Am liebsten hätte ich jetzt ein Stück Brot oder zumindest ein Salatblatt auf dem ich herumkauen könnte, aber nichts dergleichen war in der Nähe, also musste ich mich wohl oder übel dem Lord widmen. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Roya sich rückwärts entfernte. Verräterin, dachte ich, doch gleichzeitig wusste ich, dass es ihre Pflicht war sich in persönlichen Angelegenheiten herauszuhalten.
Also sah ich unschuldig zu dem Mann hoch, der bald mein Gatte sein sollte, den ich aber trotzdem so wenig kannte.
„Sorgen? Nein, weshalb?" Bitte, bitte, lass es nicht zu sarkastisch klingen. „Es tut mir leid, dass Ihr diesen Eindruck hattet, Mylord."
Fast unmerklich zuckten seinen Augenbrauen ein Stückchen zusammen. Bitte, bitte, bitte. Seine dunklen Augen musterten mein Gesicht und ich gab mir alle Mühe, einen ebenso undurchdringlichen Blick wie er aufzusetzen und nicht zu erröten.
„Hm", machte er schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit und ich stieß unauffällig die Luft aus, die ich unbemerkt angehalten hatte.
Er verlagerte das Gewicht und sah über mich hinweg in die Ferne. „Wir setzen unsere Reise heute nicht fort", sagte er.
„Nicht?", fragte ich verblüfft.
Sein Blick huschte wieder zu mir. „Nein."
Ich erwartete, dass er weiter sprach, doch als er nichts sagte, fragte ich vorsichtig nach, einen unangenehmen Verdacht im Hinterkopf. „Darf ich fragen weshalb?"
„Ihr dürft. Wegen Euch. Da Ihr die letzten Tage so erschöpft ward, halte ich es für das Beste, einen halben Tag auszuruhen, damit Ihr wieder zu Kräften kommt."
Einen Moment stand mir der Mund offen. Hatte ich mir den scharfen Unterton nur eingebildet? Irgendwo hatte ich ja gewollt, dass er meine Ablehnung bemerkte, aber jetzt war es mir doch irgendwie unangenehm und ich kam mir albern vor. Bevor wir nach Birkenhain gekommen waren, war ich sogar jeden Tag selbst geritten. Jetzt war ich die ganze Woche in der Kutsche gefahren und benutzte die Ausrede zu erschöpft zu sein. Dumme, dumme Aree.
Über mein Unbehagen hinweg setzte ich ein leichtes Lächeln auf. „Aber Mylord, das ist wirklich nicht-"
Er unterbrach mich, indem er eine Hand hob. „Es ist nötig. Euer Wohlbefinden hat oberste Priorität." Er musterte mich noch einmal scharf und fügte dann noch hinzu „Ich erwarte Euch heute Abend zum gemeinsamen Mahl", bevor er sich umdrehte und mit großen Schritten davon ging.

Der Lord schien die Anweisung zum längeren Halt wohl schon gegeben zuhaben, bevor er mich aufsuchte, denn als er weg war und Roya wieder auftauchte, meinte sie, dass mein Zelt errichtet sei.
Nachdem wir es betreten hatten, ließ ich mich in einem Anfall plötzlicher Erschöpfung auf einen Stuhl fallen und rieb mir die Schläfen. Wieso musste eigentlich alles so kompliziert sein.
„Mylady?", hörte ich Royas sanfte Stimme hinter mir. Sie sah mich aus ihren braunen Augen besorgt an.
Ich lächelte nur leicht und winkte ab. „Mir geht es gut. Ich bin nur etwas... müde."
„Wünscht Ihr allein zu sein?"
„Ja, bitte", sagte ich dankbar und sah ihr zu, wie sie sich höflich verneigte und aus dem Zelt eilte.
Kaum war das Rascheln ihrer Kleider verstummt und der Eingang hinter ihr verschlossen, war es still. Von draußen klangen ein paar Stimmen und Geräusche herein, aber das bemerkte ich kaum, sondern genoss einfach die Ruhe. Mein Blick glitt einmal durch den Raum und blieb schließlich an meinen Truhen hängen.
Mit einem seltsamen Geräusch der Vorfreude sprang ich auf, schlüpfte aus meinen Schuhen und lief zum Waschtisch. Dort legte ich eilig den Schmuck weg, lockerte meine Haare und öffnete mein Kleid, das dieses Mal glücklicherweise vorne zu verbinden war. Kaum war ich nur noch im Unterkleid und damit endlich bequemer angezogen, tapste ich grinsend zu einer bestimmten Truhe. Sie öffnete mit einem Klacken und mein Blick glitt über die in Leder gebundenen Buchrücken. Ich glaube es gab niemanden, der sich so bescheuert über etwas Zeit zum Lesen freute wie ich, doch das störte mich in dem Moment wahrlich nicht. Also schnappte ich mir ein Buch, sprang ins Bett und versank zum ersten Mal seit längerem in der vertrauten Welt der Geschichten.
~
Es kam mir vor, als hätte ich das Buch gerade erst aufgeschlagen, da hörte ich am Rande, wie jemand mein Zelt betrat und sah auf. Roya stand am Eingang und lächelte mich warm an.

„Mylady, das Abendessen", sagte sie, als sie meinen wohl etwas verwirrten Blick bemerkte.

„Schon?", fragte ich verdutzt und mein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, mein Buch weglegen zu müssen und wieder in die schmerzliche Realität zurück zu kehren.

Ihr Lächeln wurde breiter. „Aber ja. Es ist bereits dunkel draußen."

„Schon?", fragte ich erneut stumpf.

Sie nickte nur, hob meine Schuhe und mein Kleid auf, welche etwas wüst im Raum verteilt waren und brachte sie zu den Truhen. Währenddessen legte ich seufzend mein Buch beiseite und setzte mich auf.

Roya steckte mich in ein tiefgrünes Kleid und eben solche Schuhe. Mein sonst silberner Schmuck wurde gegen Gold ausgetauscht und meine Haare mit goldenen Spangen hochgesteckt.

Als sie fertig war lächelte sie mich im Spiegel an. „Seid Ihr zufrieden, Mylady?"
Ich sah nur einmal kurz an mir runter und nickte dann. Es war mir relativ egal, wie ich aussah. Als mein Verlobter war es quasi seine Pflicht mich hübsch zu finden.
Mit sehr wenig Motivation bat ich Roya, mich bis zum anderen Zelt zu begleiten und hakte mich bei ihr unter. Sie sah mich kurz überrascht an, sagte aber nichts. Das hatte ich früher immer bei Cathleen gemacht, wenn wir irgendwo hingegangen sind.

So verließen wir das Zelt. Roya hatte recht, es war tatsächlich mittlerweile dunkel geworden und es brannten Lagerfeuer, um die sich die Südländer geschart hatten und fröhlich plapperten. Sie störten sich gar nicht wirklich an Roya und mir, als wir uns einen Weg durch sie bahnten, um zu Lord Thymeris' Zelt zu gelangen. Wenn sie mich bemerkten, lächelten sie und verneigten sich leicht und wandten sich dann wieder ihren Gesprächen zu.
Mit einem Seufzen sah ich nach vorne zum Zelt – und erstarrte.
Aus dem Eingang drang ein sanfter Lichtstrahl nach draußen, als dieser geöffnet wurde und eine schlanke Gestalt herausschlüpfte. Sie warf noch einen Blick zurück, dann strich sie sich mit einem sinnlichen Lächeln durch das etwas verwuschelte lange braune Haar und verschwand mit anmutigen Schritten in der Dunkelheit.


Stern des NordensWhere stories live. Discover now