Kapitel 9: Erste Spannungen

5.6K 391 11
                                    

  Mir fuhr es eiskalt den Rücken runter und ich hatte Mühe meine Gesichtszüge zu kontrollieren. Vater hatte mir nie erzählt, dass Lord Sanners um meine Hand angehalten hatte. Ich konnte mich grob an den Tag erinnern, als wir zu der Hochzeit eingeladen waren. Ich hatte damals Mitleid mit der Braut, sie war tatsächlich in meinem Alter. Die Vorstellung einen so viel älteren Mann als Gatten zu haben ekelte mich an.
Lord Sanners stieß hörbar auf und lehnte sich zurück. "Jetzt wäre sie mir viel zu alt. Knappe! Mehr Wein!", brüllte er nach hinten und reckte seinen Kelch in die Höhe.
"Ich wollte eine Frau, kein Mädchen", knurrte Lord Thymeris, seine Laune hatte offensichtlich einen sehr niedrigen Punkt erreicht. Seine Hand, die auf der Armlehne lag hatte er zur Faust geballt.
Sanners lachte nur darüber. "Ich fürchtete schon, sie würde enden wie meine Schwester, diese ewige Jungfrau." Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Kelch. "Elendes Weibsstück."
Grimmig sah er zum Tisch hinüber, an dem die Frauen saßen.
Ich folgte seinem Blick und sah dort tatsächlich eine Frau mit weißer Kappe sitzen. Das Zeichen einer Witwe, die zu alt war, um erneut zu heiraten oder das Zeichen einer Frau die niemals verheiratet war.
Damit war das Gespräch vorerst beendet, Lord Sanners scheinbar grämelig über seiner Schwester, Lord Thymeris erzürnt von seinen Worten.
Ich richtete meinen Blick wieder auf den Tisch vor mir und schwieg. Konnte der Abend nicht endlich vorbei sein? Die Atmosphäre war so angespannt und unangenehm, wie ich es nie zuvor gekannt hatte.
Im gesamten Raum waren die Gespräche bis auf ein paar knappe Sätze abgeklungen, nur das leise Knistern des Feuers bildete eine stetige Geräuschkulisse.
Kurz huschte mein Blick zu meinem Verlobten. Er hatte seinen Blick ebenfalls auf die Tischplatte vor sich gerichtet, mit einer Hand fummelte er am Weinkelch herum, mit der anderen stützte er sein Kinn. Sein Kiefer war angespannt, er sah nachdenklich aus.
Ich sammelte gerade all meinen Mut, um ihn zu fragen, ob es Gemächer gäbe, in die ich mich zurückziehen könnte, da zupfte plötzlich auf der anderen Seite etwas an meinem Rock. Erschrocken fuhr ich herum.
Neben meinem Stuhl stand ein kleines Mädchen mit dunkelblondem Haar und sah mich aus großen grau-grünen Augen an. "Mylady", piepste sie mit zarter Stimme, "Wollt Ihr Euch zu uns gesellen?"
Ich blickte sie erstaunt an. Sie schien mir nicht älter als vier oder fünf. Ein wenig hilfesuchend sah ich zu Lord Thymeris, der ebenfalls das kleine Mädchen neben mir anschaute. Er nickte knapp und gab ein kurzes Handzeichen zu den Gardisten hinter uns.
Als ich aufstand, ergriff das Mädchen sofort meine Hand und zog mich mit sich. Hinter uns hörte ich die Rüstungen der Wachen leise klappern, während sie uns folgten. Nur allzu deutlich spürte ich, wie sich die Blicke der beiden Lords in meinen Rücken brannten.

An dem Tisch zu dem wir kamen saßen drei Frauen, zum einen Willard Sanners Schwester, dann eine Frau etwa in meinem Alter, die ich als seine Gattin zu erkennen meinte, und dann noch eine Mädchen, das ich nicht kannte, sie war vielleicht ein bis zwei Jahre jünger als ich.
"Seid gegrüßt, Lady Aree", meinte Sanners Frau, Lucinda, erinnerte ich mich jetzt an ihren Namen. Aus grünen Augen sah sie mich lächelnd an. Ich verneigte mich leicht vor den Damen des Hofes und setzte mich auf den mir angebotenen Platz.
Sanners' Schwester wurde mir als Gloria vorgestellt. Sie war zwei Jahre älter als der Lord selbst. Ihre Augen waren von dem selben schlammigen Ton und sie hatte einen ebenso scharfen Blick. Ihr Gesicht war lang und schmal und schien irgendwie eingefallen, mit einer scharfgeschnittenen spitzen Nase im Zentrum. Doch im Gegensatz zu ihrem Bruder ging sofort, wenn unsere Blicke sich trafen, ein sanftes Lächeln in ihrem Gesicht auf, sodass sich die vielen kleinen Fältchen in ihrem Gesicht vertieften.
Die junge Frau neben ihr war Sanners' Tochter aus einer vorherigen Ehe. Sie erinnerte mich stark an ihren Vater, mit dem dunklen Haar und den schlammfarbenen Augen, die weit in den Höhlen unter den tiefen Augenbrauen lagen. Ihre Nase war ebenso spitz, wie die ihrer Tante, doch ihr Gesicht war breit und eckig. Carla war ihr Name.

Mir fiel auf, wie sie meinem Blick und eigentlich auch denen aller anderen immerzu auswich und mit unbewegtem Gesichtsausdruck auf den Tisch starrte.

Bei der Vorstellungsrunde erzählte mir Lucinda, dass Carla in naher Zukunft verheiratet werden sollte. Es wunderte mich etwas, denn sie war schon etwas über das Alter hinaus, dass Willard Sanners als passend für die Ehe empfand.

Die kleine Rynna, die vierjährige Tochter von Lucinda und Lord Sanners, saß auf dem Stuhl neben mir und strahlte mich unentwegt an, während sie noch immer meine Hand hielt. Ihre Mutter tadelte sie sanft, woraufhin sie auch meine Hand los ließ, aber bereits nach kurzer Zeit schien sie es vergessen zu haben und griff wieder danach. Ich ließ es zu, brachte ich es doch nicht übers Herz dieses süße kleine Ding zu enttäuschen.

Im Laufe des restlichen Abends erfuhr ich, dass der größte Teil der anwesenden Männer Söhne von Willard Sanners aus seinen vorherigen Ehen waren. Wie viele Ehefrauen der Lord von Birkenhain insgesamt gehabt hatte, wusste ich nicht, aber meinen Rechnungen nach musste Lucinda mindestens seine dritte sein.

Der jüngste der insgesamt zwölf Söhne war vielleicht zehn. Die älteren waren, wie Lucinda mir erzählte, allesamt zu Wachsoldaten ausgebildet worden; seine Lieblinge waren es dann, die die Steuern und Schulden eintrieben. Es war wohl keiner von ihnen verheiratet, außer Sanners ältester Sohn und Erbe, dessen Frau jedoch letztes Jahr kinderlos verstorben war. Alle Töchter waren wohl ausnahmslos an einige niedere Lords gegeben worden, die Sanners als ihrem Lehnsherren treu dienten. Alle, bis eben auf Carla, die meinen Blick aber weiterhin ignorierte und teilnahmslos auf den Kerzenständer vor sich starrte.

Lucinda tat mir leid. Auch wenn sie es mit keinem Wort durchklingen ließ, ich war mir sicher, dass es hier kein angenehmes Leben war, vor allem nicht als Frau dieses ekelhaften Rüpels. Es fuhr mir erneut eiskalt den Rücken runter, als ich daran dachte, das ich genauso gut an ihrer Stelle hätte sein können. Dennoch schien Lucinda es trotz dieser Unterdrückung und ständigen Demütigung geschafft zu haben, sich etwas der Lebensfreude zu erhalten, was jedes Mal wenn sie lächelte oder lachte - nur leise, um die Männer nicht zu stören - zum Ausdruck kam. Sie tat mir leid - und gleichzeitig bewunderte ich ihre Stärke.

Sie war auch die einzige, die sich richtig mit mir unterhielt. Gloria lauschte zwar aufmerksam, aber mehr als manchmal ein Nicken oder ein zustimmendes Geräusch gab sie nicht von sich. Carla beteiligte sich gar nicht.

Ich weiß nicht genau, wie lange ich am Frauentisch saß und Lucinda zuhörte, als plötzlich ein lautes Grunzen von Lord Sanners zu vernehmen war, was wohl ein Lachen sein sollte.   

Stern des NordensWhere stories live. Discover now