Kapitel 27: Konfrontation

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Ohne den Blick von mir zu nehmen legte er das Pergament beiseite.
„Was?", fragte er leise und erhob sich.
Ich antwortete nicht, sondern starrte ihm nur kampfeslustig entgegen. Er wusste genau, wovon ich sprach.
Langsam kam er um den Schreibtisch und auf mich zu, vorsichtig, als sei ich ein wildes Tier, das er nicht verschrecken wollte. „Was ist passiert..?"
„Sarameh!", blaffte ich nur. Er sollte gar nicht erst versuchen, den Ahnungslosen zu spielen! Aber schon sein Gesichtsausdruck verriet ihn. Seine Mimik zeigte innerhalb der nächsten Sekunden die unterschiedlichsten Ausdrücke, von Verwunderung über Wut, zu Verzweiflung und schließlich Resignation.
„Ich... werde sie aus deinen Diensten nehmen." Er sah zu Boden und wandte sich wieder halb ab.
Ein verächtliches Schnauben entwich mir, was sofort wieder seinen Blick auf mich zog. Ein sehr aufmerksamer Blick, abschätzig und irgendwie neugierig.
„Und damit ist es getan, ja?" Ich verschränkt die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an.
Er musterte mein Gesicht, dann schien er etwas sagen zu wollen, brach aber ab und seufzte. „Möchtest du dich nicht setzen?", fragte er sanft und deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
„Ich bevorzuge es zu Stehen."
„Bitte."
„Nein."
Wir begannen ein Blickduell, das ich, sehr zu meiner Genugtuung, bereits nach wenigen Sekunden gewann.
„Na gut." Er seufzte noch einmal und lehnte sich gegen seinen Tisch. Mit Zeigefinger und Daumen rieb er sich den Nasenrücken und schien nach Worten zu suchen. „Also... ich gebe zu, es gab eine Zeit, in der Sarameh und ich..."
„Eine Liebesbeziehung hatten?", führte ich seinen Satz barsch fort.
„Nein." Er hob den Blick und sah mir ernst entgegen. „Das war es nie. Es war eher... auf rein körperlicher Basis. Aber das ist bereits eine Weile her."
„Ach." Ich verlagerte mein Gewicht und lächelte zynisch. „Aber ihre Qualitäten als Dienstmagd waren selbstverständlich unverzichtbar und deshalb gabt Ihr sie mir als Zofe."
„Nein, Aree, das..." Er raufte sich das Haar und rang nach Worten. „Die Geschichte ist ein wenig länger."
Ich antwortete nur mit einer Geste, die ihm bedeuten sollte fortzufahren.
„Möchtest du dich nicht bitte setzen?" Sein Blick war schon fast flehend.
„Ihr kennt die Antwort."
„Ich dachte, wir hätten die Formalitäten beigelegt." Er lächelte vorsichtig.
„Momentan sehe ich dazu keinen Grund."
Seine Augen huschten über mein Gesicht und ich hatte fast den Eindruck er musste ein Grinsen unterdrücken. „Dickkopf", murmelte er leise, sodass ich es fast nicht gehört hätte.
„Dickkopf?", wiederholte ich ungläubig. „Ich habe ja wohl alles Recht, jetzt dickköpfig zu sein! Weißt du, Rajan, irgendwo kann ich es ja verstehen. Ja, wirklich. Eigentlich wurdest du ja, aus all diesen politischen Gründen, genauso in die Verlobung gezwungen wie ich." Er hatte sich vom Tisch aufgerichtet und kam langsam auf mich zu. Da ich mich aber grade in Rage redete, sah ich es nicht ein vor ihm zurückzuweichen. „Wenn es nun mal davor jemanden für dich gab, der dir so nahe stand, dann, dann ist das halt so. Und dann tut es mir leid, dass du dich mit mir verloben musstest und ich dem damit im Weg stehe. Aber warum... warum meine Zofe?! Warum meine unmittelbare Umgebung?! Willst du mich demütigen? Denn das ist es, was sie immer und immer wieder tut! Sie stellt mich da, wie ein kleines Kind! Und lässt eindeutige Anspielungen, auf euer Verhältnis durchklingen! Sie...sie..." Eigentlich war ich noch nicht fertig mit meinem Monolog, doch er hatte sich kein Stück von mir beirren lassen und war weiter auf mich zu gekommen, sodass er jetzt direkt vor mir stand. Für meinen Geschmack etwas zu nah, als dass er meine Ansprache grade wirklich ernst genommen hatte.
„Doch keine Formalitäten?", flüsterte er und strich mit seinen Fingerspitzen sanft über meine Wange. In seinen Augen stand ein Ausdruck, den ich das letzte Mal gesehen hatte, als wir uns kennenlernten. Etwas wildes, ungezähmtes.
„Was? Das... das tut doch jetzt überhaupt nichts zur Sache!" Mit neu aufkochendem Zorn schlug ich seine Hand weg. „Lenk nicht ab!"
Er zog seine Hand zurück und schon war der Ausdruck verschwunden und er schaute wieder ernst drein.
„Mein 'Verhältnis' mit Sarameh, wie du es nanntest, war, wie ich eben bereits sagte, rein körperlich und schon beendet, bevor ich überhaupt um deine Hand anhielt, Aree. Sie stand als Zofe im Dienst meiner Mutter. Weißt du, die schnelle Verlobung kam auch für mich überraschend und so blieb mir nicht viel Zeit für alle Vorbereitungen. Dass ich dir zwei Zofen schenkte, beruht auf einer alten südländischen Tradition. Nur für die eigentliche Auswahl der Zofen reichte es nicht mehr, und ich bat meine Mutter, eines der Mädchen aus ihrem Dienst zu entlassen. Von den zehn Mägden, die sie hatte, gab sie mir Sarameh." Er bekam einen harten Zug um den Mund und schaute mit zusammen gezogenen Augenbrauen zu Boden.
Ich runzelte die Stirn. „Wusste sie, dass Sarameh und du..."
„Ja."
„Aber..."
„Sie war gegen diese Verlobung. Sie hätte es gerne gesehen, wenn ich eine Lady aus dem südländischen Adel geheiratet hätte." Er schnaubte verächtlich.
Das sind ja tolle Voraussetzungen für das Zusammenleben mit meiner zukünftigen Schwiegermutter, dachte ich bitter.
Als er wieder hoch sah, war sein Blick weich und er startete erneut einen Versuch, meine Wange zu streicheln. Dieses Mal ließ ich es zu.
„Es tut mir leid, wie sie dich behandelt hat", flüsterte er mit ehrlichem Bedauern in der Stimme. „Ich hatte gehofft, sie könne sich benehmen."
„Das war dumm", antwortete ich wahrheitsgemäß.
Er lachte leise, zog mich an sich und legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. „Ja, vermutlich war es das. Ich finde eine neue Zofe für dich, versprochen."
„Roya reicht mir."
„Roya kann es aber nicht alles alleine machen."
„Sie muss ja nicht alles machen. Ich bin durchaus in der Lage mich um mich selbst zu kümmern."
„Nur die Kleider..." Ich hörte das Grinsen heraus und wusste, dass er auf die Situation in Birkenhain ansprach, als wir fliehen wollten und ich mein Kleid nicht zu bekam.
Empört schubste ich ihn von mir und stemmte die Hände in die Hüften. „Ihr werdet unverschämt! Ich bin siebzehn Jahre meines Lebens ohne Zofen oder eigene Dienstmägde ausgekommen!"
Er lachte wieder und hob beschwichtigend die Hände. „Verzeih! Ich werde mich mäßigen." Mit unschuldigem Blick ging er ein paar Schritte rückwärts, konnte sein schelmischen Grinsen jedoch nicht lange unterdrücken.

Ich wollte mich grade zum Gehen wenden, da kam mir noch ein Gedanke. „Woher ist dann Roya?"
„Oh, äh.." Er kratzte sich im Nacken und schaute verlegen. „Müssen wir darüber..." Bei meinem Blick hielt er inne und seufzte. „Nur einen Tag bevor wir nach Schneewacht aufbrachen, lief ein Schiff im Hafen von Meereshorn ein, mit aus der Sklaverei befreiten Menschen. Normalerweise, werden diese wieder ausgeschifft in ihre Heimatländer, aber als ich herausfand, dass Roya in ihrer Gefangenschaft als Magd gearbeitet hatte, bat ich sie gegen regelmäßigen Lohn mit uns zukommen. Und sie stimmte zu. Ich nehme an, in ihrer Heimat hätte sie sowieso keine Perspektiven gehabt. Sarameh sollte sie auf unserer Reise in die hierzulande herrschenden Zofendienste einweisen." Vorsichtig betrachtete er mein Gesicht. „Gibt es denn mit Roya auch Probleme?"
Ich merkte, dass ich bei seiner Erzählung das Gesicht verzogen hatte, aber mehr wegen der Sklaverei, als dass mich Royas Hintergrund stören würde. „Nein!", antwortete ich deswegen eilig. „Nein, Roya ist wundervoll."

„Na, wenigstens das habe ich richtig gemacht, hm?" Er grinste verschmitzt und kratzte sich im Nacken.
Ich nickte nur lächelnd und wandte mich wieder zur Tür, bevor mir erneut etwas einfiel.
„Wieso kam Sarameh aus deinem Zelt den einen Abend?"
Kurz schien er verwirrt, dann fiel ihm wohl besagter Abend ein, an welche mich so barsch zu ihm war und versucht hatte Indizien für eine Affäre zwischen ihm und meiner Zofe zu finden.
Mit einem erneuten tiefen Seufzen rieb er sich die Stirn. „Sarameh... hat es nie richtig eingesehen, dass ich unser Verhältnis beendet hatte. An jenem Abend wollte sie mir Avancen machen. Ich wies sie natürlich ab."
Ich zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. „Sie sah sehr zufrieden aus."
„Sie ist überzeugt, ich würde noch an ihr hängen. Sie sagt, ich wehre mich dagegen, weil ich an meiner Ehre festhalten wollte."
„Liebt sie dich?", sprach ich meinen ersten Gedanken gerade heraus.
„Was?", er guckte mich seltsam an. „Ich... denke nicht, nein. Sie hat nur schon immer gerne ihre Spielchen gespielt."
„Hm." Ich wandte den Blick ab und starrte nachdenklich zu Boden. Warum dann diese ständige Provokation? Wieso wollte sie es mir unbedingt unter die Nase reiben, dass zwischen ihr und Rajan mehr war? Es schien mir ein wenig so, dass sie eifersüchtig war und mich deswegen verunsichern wollte. Oder vielleicht wollte sie damit auch indirekt Rajan provozieren? Weil sie wusste, dass ich irgendwann zu ihm laufe und mich beschwere? Bei der Erinnerung an ihr boshaftes Gelächter, als ich aus dem Raum rannte, erschauderte ich.
„Alles in Ordnung?" Rajan legte aufmerksam den Kopf schief und kam auf mich zu.
„Ja", log ich schnell und starrte zu Boden. Doch er legte einen Finger unter mein Kinn und zwang mich ihm ins Gesicht zu schauen.
„Ich hoffe, du kannst mir verzeihen, Aree. Sarameh, wird dich nicht noch einmal behelligen, das schwöre ich dir."
Hatte es Sinn länger böse auf ihn zu sein? Natürlich, dass er seine Geliebte – oder ehemalige Geliebte – zu meiner Zofe gemacht hatte, war nicht der eleganteste Zug. Aber er hatte mir eine Erklärung gegeben und das war es doch, was ich von ihm wollte. Schon vor einiger Zeit hatte ich mir Gedanken darüber gemacht. Ich wollte nicht im Zwist mit ihm leben und ich war auch nicht der Typ der Mensch, der wegen einer Sache ewig lange sauer sein konnte. Und wenn er jetzt versprach, Sarameh ein für alle mal aus meinem Leben zu entfernen... dann wollte ich versuchen ihm zu verzeihen.

Stern des NordensWhere stories live. Discover now