Kapitel 21: Goldstern

6K 410 4
                                    

Goldstern war eine stolze Festung mit starken Wällen und hohen Türmen. Die goldenen Flaggen mit dem aufbäumenden weißen Greifen sah man schon in der Sonne glänzen, wenn man durch das unterste Mauerportal in die Königsstadt gelangte. Wir folgten einer breiten, gerade verlaufenden Straße die langsam aber sicher anstieg und den Festungshügel hinaufführte. Auf der Straße und den vielen schmalen Gassen, die vom Hauptweg abführten, tummelten sich unzählige Menschen, die unsere Kolonne zwar neugierig betrachteten, dennoch unbeirrt ihrem Alltag nachgingen. An den steilen Häuserfassaden standen einige Verkaufsstände, an denen die Händler ihre Tücher, Töpfe, Lebensmittel und noch viele andere Waren feilboten, umringt von interessierten Kunden.
Wir passierten ein weiteres Tor, hinter dessen breiten Mauern ein ähnliches Bild zu finden war, nur sah man deutlich den Unterschied. Die Häuser hier waren größer und prachtvoller, die Menschen trugen edlere Kleidung, einige liefen sogar mit einer Schar Diener im Schlepptau durch die Straßen. An den Ständen wurden neben hochwertigen Stoffen auch Vasen und Schmuck, sowie scheinbar exotische Leckereien verkauft.
Ich beobachtete das muntere Treiben von meiner Kutsche aus, hatte den feinen Stoff der Vorhänge etwas beiseitegeschoben. Ab und zu begegnete ich dem Blick einzelner Menschen, die neugierig die Fenster musterten, aber ich wusste, dass sie mich nicht sahen, da es hier im Innern viel dunkler war als draußen in der warmen Mittagssonne.
Während ich Sarameh mal wieder verbannt hatte, saß Roya mir gegenüber und fädelte geduldig kleine durchlöcherte Holzkugeln auf einen langen Garnfaden auf. Schon öfter hatte ich dies beobachtet und sie trug auch bereits einige Armbänder dieser Art um die Handgelenke.
Als sie meinen Blick bemerkte, wurde das Dauerschmunzeln, welches sie immer im Gesicht trug, durch ein breites Lächeln ersetzt.
„Eine schöne Stadt, nicht wahr, Mylady?", sagte sie mit ihrem südländischen Akzent.
Ich lächelte zurück und warf nochmal einen Blick nach draußen. „Sehr viele Menschen", murmelte ich und sah einem jungen Burschen nach, der bis obenhin vollbepackt mit Stoffballen war, nebenbei noch einen dicken Korb mit Früchten balancierte und eilig versuchte mit seinem Herren Schritt zu halten, welcher keinen Augenblick darauf achtete, ob er ihm folgte oder nicht.
„Aber ja, Mylady, die Königsstadt ist die größte Metropole des Landes."
„Das war mir klar, aber ich habe mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht, wie viele Menschen hier tatsächlich leben."

Roya antwortete nicht mehr, sondern sah wieder lächelnd auf ihr Perlenband hinab.

Nachdem wir der Straße in diesem Abschnitt auch wieder eine Weile gefolgt waren, passierten wir schließlich die Festungsmauern. Diese waren besonders dick, mit wuchtigen Toren und einschüchternden Fallgittern versehen, über denen aus einer ganzen Reihe Gusserker heißes Öl auf etwaige Angreifer geschüttet werden konnte. Auf den Wehrgängen sah man mehrere Wachen patrouillieren.

Im Inneren gab es einen großen Platz auf dem deutlich weniger los war, trotzdem aber einige Wachen marschierten und wichtig aussehende Menschen herumliefen.

Wir hielten direkt auf ein riesiges Gebäude aus hellem Stein zu, dessen große Eingangstür mit edlen Schnitzereien verziert war.
Die Kutsche kam zum Stehen und keine fünf Sekunden später öffnete Lord Thymeris die Tür und half mir heraus. Er sagte nichts, lächelte auch nicht, aber seine Augen betrachteten mich sanft, während ich meinen Blick über das prachtvolle Gemäuer gleiten ließ.

~

Als die großen, dunklen Portaltüren in Sicht kam, krallte ich meine Finger unwillkürlich etwas fester in den Ärmel des Lords. Innerlich ging ich nochmal sämtliche Kriterien des guten Benehmens durch, die mir Meister Devid über die Jahre hinweg eingebläut hatte. Kopf hoch, Schultern zurück, Brust raus. Körperspannung. Fester Gang, aber diskret. Dezentes Lächeln. Möglichst anmutiger Knicks. Nur Reden, wenn ich angesprochen werde.
Ich bemerkte erst, dass ich leise vor mich hin murmelte, als Lord Thymeris neben mir leise lachte. Peinlich berührt sah ich kurz zu ihm auf und starrte dann auf den Boden vor uns, in der Hoffnung er würde nicht sehen, dass ich errötete.
„Macht Euch keine Sorgen, er wird Euch mögen", flüsterte er mir sanft ins Ohr. Ich zog es vor, nicht zu antworten, sondern mich innerlich lieber weiter vorzubereiten.
Natürlich, ich war dem König erst vor zwei Jahren begegnet, aber dort wurde er von meinen Eltern in Empfang genommen, und alles was ich tun musste war einen Knicks zu vollführen und brav zu lächeln. Dieses Mal war er es, der uns in Empfang nahm und ich stand bedauerlicherweise im Mittelpunkt.
Als dann die Türen aufschwangen, dachte ich nicht mehr viel nach. Lord Thymeris führte mich mit energischen Schritten, aber noch in einer für mich angenehmen Geschwindigkeit in den Thronsaal. An den Seiten der großen Halle standen mächtige Pfeiler, die die hohe spitzbogige Decke stützten. Wir hielten direkt auf ein Podest zu, dass durch zehn breite Stufen über dem Rest des Raumes lag und den Überblick über alles, was sich dort abspielte, erlaubte. Die Wand hinter der Erhöhung bestand zum größten Teil aus einem riesigen Buntglasfenster, in Form eines Greifen.
Vor dem Thron stand eine Gestalt, von der ich aufgrund des hellen Lichtes, das hinter ihr in den Saal fiel, nur die Silhouette erkennen konnte .
Circa zehn Meter vor dem Thronpodest, löste der Lord sanft meine Hand von seinem Arm und ging alleine noch ein paar Schritte, bevor er auf ein Knie herunterging. Ich vollführte brav meinen Knicks, während sich die südländischen Wachen hinter mir ebenfalls verneigten.

„Euer Majestät", erklang Lord Thymeris' Stimme laut und klar, während er den Kopf gesenkt hatte.

Einen Moment versank der Saal in Schweigen, dann erklang plötzlich ein tiefes, kehliges Lachen und jemand kam die Treppen hinab.

Verwundert sah ich auf. Ein groß gewachsener, breitschultriger Mann mit vernarbter Glatze und dunkelbraunem Vollbart lief mit ausgebreiteten Armen auf meinen Verlobten zu. Dieser erhob sich ebenfalls grinsend und ließ sich in eine Umarmung ziehen.

„Ah, Rajan!", grölte der König, während er seinen Vetter mit kräftigen Schlägen auf die Schulter halb verprügelte. Meiner Ansicht nach. Wenn er mir einmal so auf die Schulter klopfen würde, läge ich schneller auf dem Boden, als man gucken könnte. Aber Lord Thymeris hielt wacker stand.

„Lass dich ansehen, Vetter. Ist das lange her!" Ich muss zugeben, es beeindruckte mich, dass sie sich trotz ihres Altersunterschiedes so nah standen.

"Ja, kaum ein halbes Jahr!" Lachend befreite sich der Lord aus den Händen des Königs und legte ihm freundschaftlich einen Arm um die Schultern. „Odrick, ich habe jemanden mitgebracht."

Augenblicklich rutschte mein Herz einige Stockwerke tiefer. Als Beobachterin hatte ich mich definitiv wohler gefühlt, doch jetzt richteten sich die Blicke beider Männer auf mich.

Schnurstracks kam der König auf mich zu und ehe ich mich versah, hatte er meine Hand gegriffen und einen Kuss darauf gedrückt.

„Lady Aree, es ist eine Freude, Euch wieder zu sehen. Ihr seid noch schöner, als ich Euch in Erinnerung hatte. Die Gerüchte haben nicht gelogen."

Ich kämpfte damit, nicht zu erröten, während er mir zuzwinkerte und ein amüsiertes Glitzern in seinen dunkelbraunen Augen stand.

„Rajan, ich hoffe es stört dich nicht, wenn ich deiner Braut Ihre Gemächer zeige", sagte er und wandte sich zu meinem Verlobten, der mit verschränkten Armen da stand, aber belustigt lächelte.

„Solange sie sicher dort ankommt."

Stern des NordensOnde histórias criam vida. Descubra agora