Kapitel 12: Flucht

5.9K 412 7
                                    

   „Dafür sollst du bestraft sein, Weib", knurrte er, nahm seinen Gürtel doppelt und streckte seine Pranke aus, um nach mir zu greifen, während ich zu einem Hilfeschrei ansetzte.
„Das würde ich lassen!" Der Mann hielt in der Bewegung inne und starrte auf etwas hinter mir, auch ich wandte mich um. Ich hätte nie gedacht, jemals so froh sein zu können, ihn zu sehen, doch jetzt war ich es. Lord Thymeris kam aus der Dunkelheit des Ganges geschritten, aus derselben Richtung aus der ich gekommen war. Seine Miene war finster. Er selber schien unbewaffnet, doch die Gardisten hinter ihm hatten ihre Schwerter gezogen, welche im Mondlicht bedrohlich glänzten. Sie hatten also tatsächlich gepetzt, ich konnte nicht ausdrücken, wie sehr mich das erleichterte. Der Mann ließ seine Hände sinken, während ich mich zu meinem Verlobten flüchtete. In meinem Anfall von Erleichterung lief ich direkt auf ihn zu, krallte meine Hände in sein Leinenhemd und verbarg das Gesicht an seiner Brust. Er legte auch tatsächlich einen Arm um mich.
„Sie hat den Namen meines Vaters beschmutzt!", keifte Sanners' Sohn los.
„Egal was sie getan hat, oder ob sie etwas getan hat, Ihr habt nicht das Recht sie anzufassen." Ich spürte das Brummen in seiner Brust als er die Worte knurrte. Der andere Mann machte zwei Schritte, ob auf uns zu oder von uns weg konnte ich nicht sehen, aber ich vermutete, dass er wütend auf mich deutete.
„Sie hat unsere Ehre verletzt! Ich fordere, sie bestrafen zu dürfen!"
„Das ist nicht wahr", wimmerte ich in sein Hemd. „Ich wollte nichts Böses."
Er streichelte beruhigend meine Schulter. „Niemand wird bestraft. Wir verlassen Birkenhain. Jetzt gleich." Damit gab er seinen Gardisten offenbar ein Zeichen, denn ich hörte ihre Rüstungen leise klappern, als sie zurück wichen. Auch Lord Thymeris ging mit mir im Arm einige Schritte rückwärts, löste dann meinen Klammergriff von seinem Hemd, fasste mich am Arm und zog mich mit sich. Es ging zügig den ganzen Weg zurück zu den Gästegemächern. Vor meinem blieben wir stehen. Der Lord stellte mich vor sich und sah mich an. Ich könnte wetten, dass wir einige Stunden zuvor genauso da gestanden hatten.
„Zieht euch an und holt Eure Sachen. Wir verlassen diesen Ort so schnell es geht."
„Mylord, es-", setzte ich an, doch er unterbrach mich in dem er einen Finger auf meine Lippen legte.
„Nicht jetzt. Beeilt Euch." Damit drehte er mich um, schob mich in das Zimmer, dass einer der Gardisten geöffnet hatte und verschwand. Ich sah zu, wie die Tür wieder geschlossen wurde und hastete dann zum Kleiderschrank.
„Was hab ich nur getan?", flüsterte ich leise vor mich hin und spürte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Mit zittrigen Fingern strich ich den Mantel ab, fischte nach meinem Kleid und schlüpfte hinein. Ich schaffte es zwar die Bänder festzuziehen, aber der Knoten wollte mir nicht gelingen, also hüpfte ich erst zur Kommode. Dort schnappte ich mir ein paar Klammern und steckte unordentlich meine Haare hoch. Dann stülpte ich die Armreifen über, steckte die Ringe irgendwie auf die Finger und versuchte mit zittrigen Fingern die Ohrringe einzubauen, aber meine Hände zitterten zu sehr, dass ich das Ohrloch einfach nicht traf. Mit einem Fluch steckte ich sie mir in den Ausschnitt und hoffte sie nicht zu verlieren, dann hing ich mir die Kette um. Jemand klopfte energisch an die Tür.
„Lady Aree?", erklang die Stimme des Lords von draußen.
„Ich...ich...", rief ich stammelnd zurück und versuchte verzweifelt einen Knoten hinzukriegen, doch die Bändern flutschten immer wieder aus meinen eisigen Fingern. Da flog plötzlich die Tür auf und er trat ein. Ich konnte seinen Blick nicht ganz deuten, als er mich da so komisch verrenkt stehen sah, mit verrutschtem Kleid, doch ich merkte wie mir das Blut in die Wangen schoss.
„Ich krieg mein Kleid nicht zu", murmelte ich leise.
„Ah", machte er nur, kam auf mich zu, stellte sich hinter mich und nahm mir die Bändern ab. Einmal kurz blieb mir die Luft weg, als er kräftig zog, bevor er schnell einen Knoten machte.
„Seid Ihr soweit?", fragte er und trat wieder vor mich. Noch immer verlegen, nickte ich stumm und versuchte ihn nicht anzusehen. „Gut." Damit packte er mich zum dritten mal in dieser Nacht am Oberarm und zog mich mit sich, durch die Gänge, die Treppen hinab und raus aus der Feste Birkenhain.  

Stern des NordensWhere stories live. Discover now