Kapitel 23: Gäste des Königs

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„Ich glaub, ich habe noch nie so viele Bücher gesehen!" Begeistert drehte ich mich im Kreis und ließ den Raum auf mich wirken. Er umfasste bestimmt an die drei Stockwerke und die Wände waren übersät mit Bücherregalen. Es gab mehrere Holztreppen, die in die höheren Etage führten, damit auch die dortigen Bücher erreicht werden konnten und mehrere Leseecken. In der Mitte des Raumes gab es ein Labyrinth aus kleineren Bücherregalen und einigen Glasvitrinen, in denen vermutlich alte und wertvolle Bücher eingeschlossen waren.
Als ich meine Umdrehung beendet hatte sah ich dem Lord ins Gesicht, der mich mit verschränkten Armen und einem breiten Lächeln im Gesicht musterte.„Es gefällt Euch also, ja?"
Ich nickte eifrig. „Oh ja. Es ist wundervoll hier."
„Hattet Ihr vergessen, dass ich sie Euch zeigen wollte?"
„Nein, vergessen nicht." Leicht verlegen verschränkte ich meine Finger ineinander. „Aber offen gesagt, hatte ich nicht geglaubt, dass Ihr Euch daran erinnert würdet. Dass Ihr mir die Bibliothek zeigen wolltet."
Der Lord lachte laut auf. „Mylady, manchmal zweifle ich wirklich an mir, bei alledem, was Ihr von mir denkt."
Ich bemerkte, wie mir langsam das Blut in die Wangen kroch.
„Ich halte meine Versprechen."
„Verzeiht bitte..." Ich starrte beschämt zu Boden, sah aber auf, als er meine Hand ergriff und starrte direkt in weiches Braun.
„Kommt, ich stelle Euch dem Bibliothekar vor", sprach er leise und mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. „Ich nehme an, er wird Euch hier in nächster Zeit öfter antreffen."

~

Kaum war die Sonne am Abend hinter dem Horizont verschwunden holte mich Lord Thymeris aus meinen Gemächern ab. Wir waren vom König zum Abendessen eingeladen worden – ebenso wie alle anderen in Goldstern anwesenden Mitglieder des Hochadels.
Wir kamen in einen beeindruckend großen Speisesaal in dem die Tische in einzelnen Tafeln am Rande platziert worden waren und in der Mitte eine große Fläche frei war. Leise Musik klang aus einer Ecke in der sich ein paar Musiker mit Flöten und Lauten versammelt hatten und der Saal wurde vom Gemurmel der Gäste erfüllt.
Hinter den langen Tafeln standen jeweils die großen Standarten der Hohen Lordschaften. Ich sah die gekreuzten Schwerter von Rotwind, den stolzen Pfau von Eden, die saftige Weinrebe von Sonnenhöh, den mächtigen Drachen von Drachenfall, sowie den sich bedrohlich aufrichtenden Bären von Waldherz. Auch die anmutige Nixe von Meereshorn blickte auf uns herab, direkt neben dem weißen Greifen von Goldstern, welche hinter einem großen Tisch auf einem Podest am Kopfe des Saales standen. Ein wenig fehlte mir der graue Turm von Schneewacht zwischen all den mächtigen Wappen, aber weder mein Vater, noch Arlisar hatten die Möglichkeit hier zu sein.
Ich blickte auf, als ich den warmen Atem des Lords an meinem Ohr spürte.
„Unsere Hochzeit ist ein großes Thema", flüsterte er und zwinkerte mir leicht zu.
Ich lächelte brav, verstand aber in dem Moment noch nicht, warum er mir das sagte. Erst als ich den Blick wieder von ihm abwandte und durch den Saal streifen ließ bemerkte ich, dass sämtliche Gespräche verstummt und alle, wirklich alle Augen auf uns gerichtet waren.
Ich spürte wie mir die Hitze ins Gesicht stieg, konnte mich aber davon abhalten beschämt zu Boden zu sehen. Ich war eine Lady, kein eingeschüchtertes Mädchen. Das war es was ich mir kontinuierlich einredete, während mich Lord Thymeris zu unserem Platz führte. Meine Schritte in den Absatzschuhen klangen unnatürlich laut als wir die drei Stufen zum Podest hinaufstiegen.
Grade als ich mir im Kopf ausrechnete, wie viele Schritte es wohl noch bis zu meinem Stuhl waren, erklang ein tiefer, durchdringender Gong und alle Anwesenden sprangen auf, nur um direkt danach auf ein Knie zu sinken oder eine Verbeugung zu vollführen. Der Lord neben mir blieb stehen und senkte nur leicht den Kopf, während ich schnell knickste.
König Odrick kam aus einer relativ unscheinbaren Tür in der Nähe des Podestes und kam mit schnellen Schritten zum Tisch gestampft. „Jaja, nun macht nicht so einen Hehl draus, ich will auch nur Essen", knurrte er grimmig, aber als er uns erblickte, hellte sich seine Miene augenblicklich auf.
„Ah, meine Lieblingsgäste! Kommt, kommt, setzt Euch zu mir!" Er hüpfte zu dem Platz neben seinem eigenen großen thronartigen Holzsessel und zog mir den Stuhl zurück. Eigentlich hatte ich gehofft unauffällig neben dem Lord zu sitzen und mal wieder in Ruhe alles beobachten zu können, wie ich es so gerne tat, aber daraus wurde wohl nichts. Also verkniff ich mir ein Seufzen und ließ mich ergeben dort nieder. Lord Thymeris nahm rechts von mir Platz, während der König sich auf seinem Stuhl niederließ.
„Seht Euch das an", sprach er und deutete über all die knienden Menschen unter uns. „Ich könnte sie den ganzen Abend dort hocken lassen." Er grinste schelmisch. „Aber dann könnten wir nicht in Ruhe essen, nehme ich an. Und ich bekäme eine Standpauke von unserem hiesigen Meister. Da ist man schon König, und trotzdem..." Er brach in sein schallendes Bass-Gelächter aus und wedelte mit der Hand, woraufhin erneut der dumpfe Gong ertönte und wieder Leben in die Lords, Ladys, Ritter und Vasallen dort unten kam.
Mein Verlobter neben mir lachte leise, zum Teil vermutlich auch über meinen eher weniger begeisterten Gesichtsausdruck. „Er wird vierzig, aber trotzdem ist er manchmal noch, wie ein kleiner Junge", flüsterte er und zwinkerte mir leicht zu. „Ihr könnt Euch dran gewöhnen."
„Serviert das Essen", grölte der König von links und eine Schar von Dienern kam in den Saal gewuselt, um alle Tische mit den warmen Essensplatten auszustatten.

Stern des NordensWhere stories live. Discover now