Kapitel 36: Feierlichkeiten

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„Also lief ich noch in derselben Nacht davon. Aber hättet ihr es geglaubt? Er war nicht da! Hat sich nicht getraut der feige Tölpel. Im Endeffekt bin ich doch ganz froh drüber, aber damals habe ich drei Tage und Nächte durchgeweint. Mein Vater war so in Sorge, dass er sogar einen Medicus rufen ließ, aber ein gebrochenes Herz kann kein Heilpraktiker dieser Welt behandeln." Lady Deena lachte ihr hohes, schrilles Lachen und entblößte eine ganze Reihe riesiger Zähne, die mich ein wenig an das Gebiss eines Pferdes erinnerten. Sie war eigentlich ganz hübsch mit ihren nussbraunen Augen, den seidig schimmernden schwarzen Haaren und dem weichen Braunton ihrer Haut, welcher typisch war für die Menschen aus Rotwind. Nur den Mund sollte sie wirklich zu lassen. Sowohl zum Lachen, als auch zum Reden, denn ihre Stimme war recht unangenehm. Ich vermutete, dass sie eigentlich eine tiefere Tonlage hatte, sie aber entsprechend den Vorstellungen der Gesellschaft versuchte sie höher klingen zu lassen. Diese Verstellung sorgte jedoch für einen seltsam quietschigen, ab und zu kratzigen Ton, der dann in Kombination mit ihrem kaum enden wollenden Redefluss ziemlich anstrengend wurde.
Ich unterdrückte ein Seufzen, riss meinen Blick von ihren großen Zähnen ab und ließ ihn stattdessen durch den Raum fahren. Abgesehen von dem kleinen Kreis aus Lady Deena, Therisa – die auch schon nicht mehr zuzuhören schien – und mir, standen einige Meter entfernt noch ein paar ältere Damen, von denen ich allerdings nur Lady Othilia kannte.
Diese wandte in dem Moment den Kopf und fing meinen Blick auf. Kurz geschah etwas in ihren Augen, als überlegte sie, ob sie mich grüßen oder ignorieren sollte, entschied sich aber wohl doch für letzteres, denn sie tat so als hätte sie nur einmal kurz über die Menschenmenge geschaut und redete dann weiter mit der mir unbekannten Frau neben ihr.
Ich hoffte wirklich, dass Lady Othilias Schwester, Rajans Mutter, sich charakterlich deutlich von ihr unterschied, denn sonst sah ich einige schwere Zeiten auf mich zu kommen. Dass sie allerdings ganz bewusst Rajans ehemalige Geliebte als Zofe für mich mitgegeben hatte, war vermutlich kein gutes Zeichen.
Ich ließ meinen Blick weiter über die vielen Menschen im Saal gleiten. Sie alle hatten sich hier eingefunden, um König Odricks Geburtstag zu zelebrieren und gleichzeitig dem Sieger des Turniers zu huldigen. Das hieß, dass sich hier ein großer Teil des Hochadels und auch ein kleinerer Teil des normalen Adels des gesamten Ostkontinents eingefunden hatten. Viele der Leute schienen sich zu kennen, doch ich kam mir mehr vor wie eine Fremde.
Zwei der wenigen Gesichter die ich kannte blitzten grade zwischen den Leuten auf. Rajan grinste und schüttelte den Kopf, während Odrick wahrscheinlich grade über seinen eigenen Witz lachte und seinem Vetter dabei kräftig auf den Rücken schlug.

„Guten Abend, Mylady," erklang plötzlich eine leise Stimme an meinem Ohr.
Erschrocken fuhr ich herum. Ich hatte nicht bemerkt, dass jemand hinter mich getreten war. Ich hob den Kopf und sah in helle grau-grüne Augen, die mich amüsiert musterten.
„Verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken. Schon wieder." Er fuhr sich einmal flüchtig durch das kurze blonde Haar, bevor er die Schultern straffte und sich knapp verbeugte. „Ich hatte noch nicht die Gelegenheit mich Euch vorzustellen, mein Name ist Demian Kasgarth, zweiter Sohn des Lords von Nebelkamm." Ein jungenhaftes Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab, als er wieder zu mir aufsah. „Wir sind quasi Nachbarn."
Die Lordschaft Nebelkamm lag direkt unterhalb von Schneewacht, an der harschen Ostküste des Kontinents. Trotz der geringen Entfernung hatte mein Vater aber nur wenig mit Lord Kasgarth zu tun gehabt.
„Ich hoffe Ihr konntet Euch von dem Schrecken vorhin erholen? Mein Knappe hatte wirklich nicht die Absicht irgendjemandem etwas zu Leide zu tun. Und mein Pferd schon gar nicht, aber wie gesagt, es ist sehr jung und wird noch trainiert. Ich hätte besser Acht geben müssen."
Ich blinzelte und versuchte noch die Ereignisse zu verarbeiten, deswegen beschloss ich mich ebenfalls vorzustellen, auch wenn er vermutlich wusste wer ich war. So war ich erzogen worden.
„Aree Braiden. Es ist mir eine Freude Euch kennen zu lernen, Mylord", leierte ich artig den Satz runter, den man mir über Jahre hinweg eingeprägt hatte.
Er verzog das Gesicht, schmunzelte aber. „Lasst das 'Mylord' weg. Weder bin ich wirklich Lord, noch werde ich jemals einer sein. Diese Ehre gebührt meinem Bruder Hias. Nennt mich bitte einfach Demian." Damit ergriff er meine Hand, die ich ihm automatisch hingestreckt hatte. Seine Lippen hauchten nur für eine Sekunde über meine Finger, trotzdem erfasste mich bei der Berührung ein Schauer, der mir über den gesamten Rücken lief und mein Herz pochte ein wenig schneller.

Zu meinem Glück redete er direkt weiter und bekam meine Verlegenheit deswegen nicht mit.
„Man sollte meinen, wir würden uns kennen, da wir nicht unweit voneinander aufgewachsen sind, nicht wahr? Leider hielt Euer Vater wohl nicht viel von freundschaftlichen Beziehungen unter Nachbarn. Wie ich sehe beschränkt er sich eher auf weiterreichende Verbindungen."
Ich folgte seinem Blick zur anderen Seite des Raumes, wo Rajan stand. Dieser hatte meine Gesellschaft anscheinend noch nicht bemerkt, oder aber es war ihm gleichgültig, denn er unterhielt sich weiterhin entspannt mit Odrick und Sir Collin Winstor, den er vorhin im Turnier besiegt hatte.
Als ich wieder aufschaute war Demians Blick lächelnd auf mich gerichtet. Seine Augen huschten neugierig über mein Gesicht.
„Kanntet Ihr Rajan vor Eurer Verlobung?"
Etwas überrascht von der Frage und der Tatsache, dass er Rajan beim Vornamen nannte, schüttelte ich den Kopf. „Nein, ich lernte ihn erst vor ein paar Wochen in Schneewacht kennen."
„Mh-hm." Er nickte langsam und sah wieder durch den Saal. „Aber Rajan ist ein ehrbarer Mann. Euer Vater hat Euch in gute Hände gegeben."
Ich nickte ebenso. Das hatte ich jetzt bereits öfter gehört.
„Was eigentlich mein Anliegen war", begann er nach einigen Sekunden nachdenklichen Schweigens, „Würdet Ihr mir die Ehre des ersten Tanzes erweisen?"
„Wie?" Ungläubig starrte ich ihn an. Dieser Mann wurde mir immer suspekter.
Er grinste breit. „Ich denke Ihr habt mich sehr wohl verstanden."
„Nein." Ich schüttelte bestimmt den Kopf. „Mein erster Tanz wird mit meinem Verlobten sein."
„Ich will Euch doch nicht heiraten, ich will nur mit Euch tanzen!", lachte er heiter. „Ich habe das heutige Turnier gewonnen, weswegen ich den Ball mit dem ersten Tanz eröffne. Leider habe ich keine Partnerin. Und Ihr seid eine interessante Frau, außerdem hab ich noch etwas gut zu machen. Und das würde ich gerne mit diesem Tanz. Keine Widerrede!" Er legte mir einen Finger auf die Lippen, als ich den Mund zum Protest öffnen wollte. „Ich kann mir eine Partnerin aussuchen. Und ich werde Euch auffordern."
Mit einem schelmischen Grinsen und einem letzten Zwinkern verschwand er wieder in der Menge.

~

Ich spürte die ganzen Augenpaare auf mir, wagte es aber nicht mich umzuschauen. Ich starrte nur auf die Hand die er mir einladend hinhielt. Ich hatte noch gehofft, er sei irgendein selbsternannter Scherzkeks und hätte Witze gemacht, aber als der Ball ausgerufen wurde, hatte er zu meinem Leidwesen direkt auf mich zu gesteuert.
Vorsichtig hob ich den Blick und sah ihm ins Gesicht. Seine grau-grünen Augen funkelten aufmerksam. „Nur ein Tanz", flüsterte er so leise, dass es fast nur eine Bewegung der Lippen war. „Mehr will ich nicht von Euch."
Nur ein Tanz. Und was war dabei? Er hatte das Turnier gewonnen und nun das Recht, sich eine Partnerin für den Tanz auszusuchen. Das war jedes Jahr so und ganz normal. Also warum zögerte ich?
Ich hob die Hand, bereit sie in seine zu legen, hielt aber noch einmal inne. Mein Blick fuhr die Menschen ab und landete schließlich bei dem mir vertrautesten Gesicht. Seine Züge waren wie eine Maske. Er schaute neutral, der Ausdruck in den Augen undefinierbar. Es wirkte beinahe desinteressiert, aber ich wusste, dass er das kein Stück war. Hätte er kein Problem mit dem, was ich hier tat, würde er garantiert lächeln.
Grade wollte ich zurücktreten, da spürte ich eine leichte Berührung an meinen Fingern und sah wieder zu Demian, der mittlerweile den Kopf schräg gelegt hatte. Es schien wie eine kleine letzte Aufforderung.
Würde ich ihn jetzt zurückweisen, würde ich ihn blamieren. Dabei sollte er doch geehrt werden.
Wie lange zögerte ich jetzt schon? Alle erwarteten eine Entscheidung.
Nur ein einziger Tanz. Ich schloss meine Augen und legte meine Hand in seine.

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Hallo ihr Lieben,

hier nur eine kleine Mitteilung: Nächste Woche wird das Kapitel leider ausfallen, da ich im Urlaub bin. Es tut mir wirklich Leid, aber darauf die Woche geht es garantiert weiter! :)
Ich wünsche euch noch einen schönen Tag!

Lacrima



Stern des NordensWhere stories live. Discover now