Kapitel 29: Der Geburtstag des Königs

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Als am nächsten Morgen die Vögel zu zwitschern begannen, riss Roya die Vorhänge auf, obwohl noch nicht einmal die Sonne aufgegangen war. Ich protestierte zu erst, doch sie erinnerte mich lachend an das heutige Turnier, also gab ich es auf und wälzte mich aus meinem gemütlichen, warmen Bett.
Sie half mir beim Anziehen und als sie grade die letzte Klammer in mein Haar gesteckt hatte, klopfte es. Eilig huschte Roya zur Tür und öffnete sie einen Spalt weit.
„Mylady, Ihr habt Besuch", rief sie mir zu, nachdem sie das Anliegen erfahren hatte, „Darf ich Einlass gewähren?"
Etwas verwundert nickte ich und erhob mich vom Stuhl, als meine Zofe auch schon die Tür aufgezogen hatte und eine junge Frau den Raum betrat. Ihr braunes Haar war hochgesteckt, allerdings waren einige der Locken entwischt und umrahmten nun ihr rundliches Gesicht, aus dem sie mich mit tiefgrünen Augen anstrahlte. Das Kleid aus dunkelroter Seide schmiegte sich perfekt um ihre schlanke Figur und der Rock wehte bei jedem ihrer Schritte.
„Guten Morgen, Lady Aree, schön Euch endlich kennen zu lernen", sprach sie mit heller, freudig klingender Stimme und vollführte einen anmutigen Knicks vor mir. Keine Ahnung warum, denn ich schätzte sie auf den selben Stand wie mich. „Da wir uns ja leider nicht offiziell vorgestellt wurden: Mein Name ist Therisa Oakwin, ich bin die Enkeltochter von Lord Matthes Oakwin von Waldherz."
„Ehm, freut mich", murmelte ich unsicher und begann meine Finger zu kneten. Musste ich jetzt auch Knicksen? Grade ärgerte ich mich wirklich, dass ich nur selten aus Schneewacht heraus gekommen war.
Therisa grinste nur über meine Nervosität. „Ich hatte gehofft, wir könnten gemeinsam das Turnier besuchen. Was haltet Ihr davon?"

~

Der Turnierplatz wäre sogar für ortsfremde wie mich leicht zu finden gewesen, denn der gesamte Weg dorthin war mit bunten Bändern und den Bannern der einzelnen Lordschaften geschmückt. Außerdem waren wir nicht die einzigen, die sich das Spektakel ansehen wollten, denn vor, hinter und auch neben uns spazierten Hofdamen und Herren in edler Kleidung in Richtung der Veranstaltung.
Therisa hatte sich bei mir untergehakt und plapperte fröhlich vor sich hin. Es war nicht schwierig zu erkennen, was für ein Typ Mensch sie war. Auch wenn sie viel redete, empfand ich es nicht als anstrengend, eher war es recht hilfreich für mich, denn sie erzählte auch einiges über Goldstern und die Gepflogenheiten hier. Ich hatte angefangen die Banner von Schneewacht zu zählen, die ebenso wie die der anderen Lordschaften am Rand des Weges hingen, obwohl niemand aus meiner Familie am Turnier teil nahm, als Therisa etwas ansprach, dass mich aufhorchen ließ.
„Wusstet Ihr, dass Ihr mich quasi ausgestochen habt?", sie betrachtete mich von der Seite und lächelte.
„Ausgestochen?", fragte ich. „Inwiefern?"
„Als Verlobte von Rajan Thymeris."
Erschrocken blieb ich stehen. „Wie? Ihr wart mit ihm verlobt?"
Sie kicherte. „Nein, nicht direkt. Aber ich kam ebenso wie Ihr dafür in Frage und es gab auch Verhandlungen, aber er entschied sich für Euch."
„Oh." Verlegen starrte ich zu Boden, nicht ganz sicher, was ich jetzt antworten sollte. „Tut mir leid?"
„Quatsch!" Sie winkte ab und zog mich wieder weiter. „So ist das Spiel. Es war ja nicht so, dass ich mir irgendwie Hoffnungen gemacht hatte, da er wirklich eine große Auswahl an Damen hatte. Außerdem seid Ihr politisch wirklich die bessere Partie für ihn. Für mich gibt es noch genug andere Herren auf dem Ostkontinent, die für eine Verlobung in Frage kommen würden. Einer Eurer Brüder zum Beispiel." Sie zwinkerte und meine Gedanken huschten zu Arlisar und Arjon. Sie waren tatsächlich beide in einem Alter, in dem sie sich vermählen konnten. Warum hatte ich darüber eigentlich nie nachgedacht? „Ich glaube übrigens, mein Großvater hat schon Angebote erhalten. Er tut so geheimnisvoll und spricht andauernd mit dem König."
Jetzt kippte mir die Kinnlade runter. „Will er Euch mit König Odrick vermählen?"
„Nein, nein." Sie lachte erneut. „Aber der König berät viel im Bezug auf politisch kluge Hochzeiten. Wer könnte da schon einen besseren Überblick haben, als er?"
„Hm." Wieder einmal wurde mir bewusst, wie wenig ich eigentlich durch die Isolation im Norden weiß. Ich bewunderte Therisa, dass sie so viel Ahnung von der Politik hatte. Ich meine, ich hatte nie eine Ahnung gehabt, wen ich später einmal eventuell heiraten würde. Mir war nur immer bewusst gewesen, dass mein Vater irgendwann einen Ehemann für mich auswählen würde. Aber Therisa hatte mir schon erzählt, dass Lord Oakwin sie von klein auf überall mit hingenommen hatte und sie so in schon fast jeder Lordschaft des Landes war. Kein Wunder, dass sie da einiges mitbekam.
„Also, wenn man die Stammbäume kennt und ein bisschen was im Kopf hat, kann man sich durchaus ausrechnen, mit wem man eventuell mal vermählt wird", sagte sie noch kurz zum Abschluss des Themas. Ich kam mir dementsprechend sofort dumm vor, aber immerhin kannte ich ja auch die Stammbäume der Adelsfamilien nicht, mit Ausnahme der Hohen Lords selbst.
„Auf wie vielen Turnieren wart Ihr bereits, Lady Aree?", fragte Therisa, während sie zwei spielenden Jungen hinterher sah, die so eben an uns vorbei gerannt waren.
„Zum vierzigsten Geburtstag meines Vaters gab es ein Turnier in Schneewacht, an dem die nordischen Lords teilnehmen konnten. Aber das ist schon wieder neun Jahre her. Nächstes Jahr gäbe es ein weiteres, aber da bin ich wohl nicht dabei..."
Sie sah mich groß von der Seite an. „Und sonst habt Ihr noch kein Turnier erlebt?"
Ich schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein. Mein Vater verlässt Schneewacht nicht für Veranstaltungen wie diese hier. Die Küsten unserer Lordschaft sind nur rar besiedelt und waren in den letzten Kriegen immer gerne angelaufen von feindlichen Flotten, um ins Land einzudringen. Deshalb lässt mein Vater die Lordschaft ungern ungeschützt. Es ist ihm wichtig Präsenz zu zeigen, besonders in Krisenzeiten, wie diesen."
„Und er begleitet Euch nicht einmal zu Eurer Hochzeit", stellte sie nüchtern fest.
„Nein. Aber ich sehe es ihm nicht nach. Ich kann seine Gründe durchaus verstehen."
„Und Eure Brüder?", hakte sie weiter nach.
„Arlisar ist als zukünftiger Lord verpflichtet, ebenso seine Anwesenheit zu zeigen, wenn auch mehr für die Bevölkerung, als für den Feind. Von Frühjahr bis Herbst unternimmt er kleinere Reisen durch die Lordschaft, um nach den Lehnsgütern zu schauen und einen Ansprechpartner auch für kleinere Vasallen darzustellen. Und Arjon... ja, er hat auch so seine Verpflichtungen. Außerdem denke ich nicht, dass er sich sonderlich für meine Vermählung interessiert, mit Ausnahme für die Tatsache, dass ich endlich weg bin." Ich lachte, aber ein bisschen traurig war ich schon, über das eher kühle Verhältnis zu meinem älteren Bruder. Zwar waren wir nur zwei Jahre auseinander, aber gut verstanden hatten wir uns nie.
Therisa betrachtete mich und schien etwas sagen zu wollen, als sie ihren Blick wieder nach vorne richtete und sofort abgelenkt war. „Ah, schaut, wir sind da!"
Vor uns führte der Weg scheinbar auf einen größeren Platz, der umringt war von mehreren hölzernen Tribünen. Therisa nahm mich bei der Hand und zog mich mit, auf eine Abzweigung des Weges.
„Die Gäste des Hofes haben reservierte Plätze neben der Tribüne des Königs", erklärte sie während wir an den Rückseiten der hölzernen Gestelle entlang liefen. Sie wurde langsamer und wollte mich grade eine schmale Treppe hinauf führen, als sich mir einer meiner Gardisten in den Weg stellte.
„Es ist ein anderer Platz für Euch reserviert, Mylady."
„Tatsächlich?" Verwundert sah ich zu Therisa auf, die ebenso stehen geblieben war, aber sie zuckte nur mit den Schultern.
„Folgt mir", brummte der Soldat und wandte sich um. Jetzt war ich es, die eilig nach Therisas Hand langte und sie mit zog. Unter keinen Umständen würde ich mich irgendwo alleine hinsetzen. Meine zweite Wache und Therisas Gardist aus Waldherz folgten uns einfach stumm.
„Oh, Ihr seid beim König geladen", zischte sie mir zu, als der südländische Soldat vor einer breiten Holztreppe stehen blieb und mir mit einer Handbewegung klar machte, hinaufzusteigen. Immer noch mit Therisa im Schlepptau erklomm ich die steilen Stufen. Kaum oben angekommen, huschte auch schon ein Diener herbei und verbeugte sich elegant.
„Mylady Braiden, Mylady Oakwin", begrüßte er uns. „Folgt mir bitte, Ihr werdet bereits erwartet." Er tippelte los und hob den schweren mit goldenen Fäden durchzogenen Vorhang hoch, der die Treppe vom vorderen Sitzbereich trennte.
König Odrick stand von uns abgewandt, die Hände hinterm Rücken verschränkt und schaute hinab auf den Platz. Es war das erste Mal, dass ich ihn mit seiner Krone auf dem Kopf sah. Der Diener, der uns hereingebracht hatte, huschte zu ihm und flüsterte ihm etwas zu, woraufhin er sich umdrehte und sich unsere Blicke trafen.
„Nein!", brüllte er sofort, als ich auch nur ansetzte den Mund zu öffnen. „Wagt es nicht, irgendetwas zu meinem Geburtstag zu sagen, ich wurde heute schon oft genug daran erinnert, dass ich älter werde!" Er hob mahnend die Hände und erst, als er sich vergewissert hatte, dass Therisa und ich brav die Lippen zusammen pressten, kam er auf uns zu, verbeugte sich und drückte uns jeweils einen Kuss auf die Hände. Es schien ihn offensichtlich nicht zu stören, dass ich Therisa ungeladen mitgebracht hatte.
„Holt Lady Therisa einen Stuhl!", wies er einen Diener an, als könnte er meine Gedanken lesen. Dann bot er uns jeweils einen Arm und führte uns nach vorne bis zur hölzernen Brüstung.
„Ihr kommt gerade rechtzeitig!", meinte er, während ich meinen Blick beeindruckt über den weiten Platz fahren ließ. „Gleich beginnen die Eröffnungsspiele."

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