Kapitel 5: Gemeinsames Abendessen

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  Draußen war es Nacht und dementsprechend kalt geworden, hier und da brannten einige Lagerfeuer und ein penetranter Schwall von Gemurmel drang zu uns herüber. Sarameh begleitete mich bis vor Lord Thymeris' Zelt, zwinkerte dann und entfernte sich wieder auf leichten Füßen, sodass ich allein da stand. Es gab nichts zum Klopfen oder ähnliches und ihn von draußen zu rufen kam mir blöd vor, also trat ich einfach vorsichtig ein, aber nicht ohne vorher meinen Ausschnitt wieder auf eine angemessene Höhe zu ziehen.
Drinnen war es angenehm warm und es brannten noch mehr Kerzen, als bei mir. Lord Thymeris saß entspannt auf einem Stuhl, das Kinn auf der Hand abgestützt und starrte vor sich auf die Tischplatte. Er trug schöne, doch einfache Kleidung und seine Haare schienen nicht ganz so gezähmt wie beim Abendessen auf Feste Schneewacht, aber keine der Locken fiel ihm in die Stirn und sie schienen wenigstens halbwegs gebändigt. Als er mich bemerkte sprang er sofort auf und kam auf mich zu.
"Lady Aree, es freut mich, dass Ihr meine Einladung angenommen habt." Er verneigte sich leicht und hauchte mir einen berührungslosen Kuss auf die Hand.
"Wie hätte ich das Ablehnen können." Ich lächelte und hoffte, dass es nicht ZU sarkastisch klang. Er richtete sich ohne weiteren Kommentar dazu auf und führte mich an eine reich gedeckte Tafel. Wie schon am Abend zuvor zog er mir den Stuhl zurück. Als ich saß ging er auf die entgegengesetzte Seite des Tisches und setzte sich ebenfalls.
Da saßen wir uns nun gegenüber und schwiegen uns an. Ich spürte, dass er mich ansah, aber ich tat so, als würde mich der Kerzenständer auf dem Tisch besonders interessieren.
"Bitte verzeiht, dass wir uns den Tag über nicht sahen", fing er ein karges Gespräch an.
"Oh, ich bin mir sicher, Ihr hattet zu tun."
"Ja, das hatte ich in der Tat. Die Zofen haben Euch Gesellschaft geleistet...?"
"Ja, sie haben sich rührend um mich gekümmert." Klang das zu sarkastisch? Aber ich war mehr damit beschäftigt eine unangenehme Erinnerung von vor ein paar Minuten aus meinen Gedanken zu streichen.
Er nickte nur und wir schwiegen wieder. Ich saß steif in meinem Stuhl und überlegte krampfhaft, wie ich die gezwungene Atmosphäre brechen könnte. Lord Thymeris sah vor sich auf den Tisch, als suche er etwas, dann griff er beiläufig nach seinem Kelch und setzte ihn sich an die Lippen, stockte aber.
"Ach ja, ich habe Euch Wein einschenken lassen. Ihr trinkt doch? Bedauerlicherweise habe ich gestern nicht darauf geachtet."
Ich starrte von ihm auf meinen Kelch in dem eine dunkelrote Flüssigkeit schimmerte. Vater hatte mich immer nur einen halben Kelch an Festtagen trinken lassen, aber wirklich bedauert hatte ich das nie. "Ich trinke nicht viel, aber das wird schon gehen." Ich lächelte etwas steif.
Auf die Antwort hin nickte er nicht einmal mehr, sondern trank, wobei er mich über den Rand hinweg ansah. Ich sah erneut von ihm auf meinen Weinkelch, seufzte einmal unmerklich und hob ihn an, um ihn an meine Lippen zu setzen. Nur einen winzigen Schluck nahm ich und spürte trotzdem sehr deutlich, wie die Flüssigkeit meine Kehle hinab rann. Zu meinem Lieblingsgetränk würde Wein nicht werden.
"Habt Ihr Hunger?", fragte Lord Thymeris, nachdem er seinen Becher abgestellt und die Finger ineinander verschränkt hatte.
Ich lauschte kurz auf meinen Magen, der in meinem Bauch ordentlich rebellierte. Ich konnte froh sein, dass er sich noch nicht laut geäußert hatte.
"Ich fürchte ja."
"Ihr fürchtet?"
Als ich aufsah hatte er eine Augenbraue hochgezogen, was mich sehr verunsicherte und so zuckte ich nur mit den Schultern.
"Erklärt mir das bitte."
Ich holte tief Luft, spürte, wie dabei mein Atem zitterte. "Nun ja", begann ich und fing zeitgleich an, an dem Silberbesteck neben dem Teller herumzufummeln, wahrscheinlich um ihn nicht ansehen zu müssen. "Die Nahrungsaufnahme ist ... eine ziemlich widerwärtige Angewohnheit des Menschen."
Ich hörte, wie er sich auf seinem Stuhl umsetzte. "Die Nahrungsaufnahme ist etwas ganz natürliches. Jedes Lebewesen muss Nahrung zu sich nehmen um existieren zu können."
"Da stimme ich Euch zu, nur ... der Verzehr von Fleisch... man zerreißt tote Tiere mit den Zähnen. Tiere, die Stunden zuvor noch am Leben waren, die geatmet haben und durch deren Adern Blut floss."
Er schien kurz über meine Worte nachzudenken, dann zuckte er die Schultern. "Das ist der Ablauf der Natur. Tiere fressen einander, um zu überleben."
"Ja, aber das macht uns nicht besser als Tiere." Wann hatte ich angefangen ihn anzusehen?
Er zog einen Mundwinkel hoch. "Sind wir nicht auch irgendwo Tiere?"
An dieser Stelle wurde das Gespräch schier unterbrochen, als ein Diener eintrat, um uns Essen aufzutun und ehrlich gesagt, war ich froh darüber. Ich hatte keine besondere Lust den Abend damit zu verbringen, mit Lord Thymeris über Seelen und höhere Wesen zu diskutieren. Er würde eh gewinnen und dazu hatten wir auch noch den Rest unseres Lebens Zeit.
Der Diener stellte sich mit einer Platte neben mich und lächelte freundlich. "Etwas Fleisch, Mylady? Der Hirsch wurde heute Mittag frisch erlegt, vom Lord höchstpersönlich."
Automatisch blickte ich zu Lord Thymeris, der tatsächlich schmunzelte, es dann aber geschickt hinter seinem Weinkelch versteckte.
Wir aßen schweigend, bis auf die paar Worte, die wir zwangsweise mit dem Diener, Joffrey, wechseln mussten.

Er war vor mir fertig und betrachtete mich, bis ich meinen Teller ebenfalls geleert hatte. Es war mir etwas unangenehm, aber was sollte ich schon machen?
Ich nahm die Serviette und tupfte mir den Vorschriften entsprechend den Mund ab. Dann legte ich sie zusammen mit meinem Besteck auf meinen Teller.
Kaum hatte Joffrey diesen abgeräumt, fing Lord Thymeris an zu reden. Er hatte wahrscheinlich genug Zeit gehabt, sich ein Thema zu überlegen.

"Lest Ihr gerne?"

Ich horchte auf. Wie kam er jetzt darauf? "Durchaus, ja. Wieso fragt Ihr?"
"Ich sah, wie Euer Meister Euch einige Bücher mitgab."

So, du hast mich also aus der Ferne beobachtet, aber herangekommen bist du nicht.

"In Feste Goldstern gibt es eine sehr umfangreiche Bibliothek", fuhr er fort und nippte an seinem Weinglas, welches ihm bereits zweimal wieder aufgefüllt wurde, während ich noch immer mit meinem ersten kämpfte. "Bei Gelegenheit werde ich sie Euch zeigen."
Ich lächelte, dieses Mal ehrlich. Bibliotheken hatte ich schon immer geliebt. "Darüber würde ich mich sehr freuen."
Er hielt kurz inne und sah mich an, dann nahm er einen vollen Schluck und stellte den Becher ab.
"Was lest Ihr denn so?"
"Oh, ehm, vieles."
"Und am liebsten?"
Ich überlegte. "Ziemlich viele Liebesgeschichten", sagte ich ehrlich und errötete leicht. "Typische Frauengeschichten. Aber ich lese auch gerne historische Sachen, über vergangene Schlachten und Könige oder so ähnlich."
Lord Thymeris hob die Augenbrauen. "Das wiederum ist untypisch für Frauen."
"Verzeiht...", murmelte ich unsicher, "Findet Ihr das unangebracht?"
"Ganz im Gegenteil." Er setzte sich im Stuhl um. "Ich finde jeder Bewohner eines Landes sollte sich auch für dessen Geschichte interessieren. Frauen haben vielleicht in der Politik keinen Platz, aber sie sollten trotzdem Bescheid wissen."
Ich war etwas erstaunt über die Einstellung. Die Männer die ich bisher kannte wollten das Frauen ihre Betten wärmten, Kinder großzogen und sich sonst aus allem heraushielten.
Ich gab ihm keine Antwort, sondern leerte einfach meinen Becher. "Verzeiht, Mylord, aber ich denke ich werde mich nun zurückziehen."
"Natürlich, Mylady." Er sprang auf und zog mir den Stuhl zurück und geleitete mich dann zum Ausgang. Davor blieb ich noch einmal stehen und drehte mich zu ihm um. Der Kerzenschein flackerte in seinen Augen und ließen sie noch dunkler wirken. Die Schatten auf dem Gesicht hoben noch einmal deutlich seine männlichen Züge hervor.
"Ich danke Euch für den schönen Abend, Mylord."
"Ich habe Euch zu danken, Lady Aree."
Ich zögerte kurz. "Mylord?"
Er sagte nichts, wartete nur, dass ich weiter sprach.
"Würdet Ihr mir gestatten morgen zu reiten, anstatt in der Kutsche zu fahren?"
Einige Sekunden herrschte Stille, während er meine Bitte verarbeitete. "Es ist sehr anstrengend, den ganzen Tag im Sattel zu sitzen", sagte er dann. "Besonders für eine zarte Frau, wie Ihr es seid."
Ich deutete das als ein Nein und senkte den Blick. "Dann wünsche ich Euch eine erholsame Nacht."
"Euch ebenso, Mylady."
Dann trat ich in die kalte Nacht. Die Feuer brannten noch immer, aber es war deutlich leiser geworden. Zurück in meinem Zelt war es Roya, die mir beim Entkleiden half. Ich war froh darüber. Wer wusste schon auf was für komische Ideen Sarameh kommen würde. Außerdem hätte sie mich über den Abend ausgequetscht, wohingegen Roya mich nur wenig fragte.
Schließlich lag ich im Bett, während Roya die Kerzen löschte und noch einmal den Kohleofen anheizte, mir eine angenehme Nacht wünschte und mich dann allein ließ.
Da trat das Heimweh ein und irgendwann weinte ich mich leise in den Schlaf.

Stern des NordensWhere stories live. Discover now