Kapitel 48: Das Unvermeidbare

4.7K 375 35
                                    

Mit einem frustrierten Seufzer ließ ich die Hände auf den Schoß sinken. Roya hob den Kopf und betrachtete mich ohne mit ihrer Arbeit aufzuhören.
„Ihr macht das gut, Mylady", sagte sie mit einem kurzen Blick auf das Band in meinen Fingern. „Ihr habt einen gut ausgeprägten Feinsinn."
„Das kommt vom Sticken", murmelte ich, ein müdes Lächeln war das einzige, was ich mir für das Kompliment abringen konnte.

Bei Roya sah es immer so einfach aus und besonders kompliziert hatte ich es mir nicht vorgestellt, Perlenarmbänder herzustellen. Doch jetzt brannten meine Augen vom konzentrierten Starren und meine Finger wurden mit der Zeit immer ungeschickter, sodass mir die winzigen Perlen immer häufiger aus den Händen flutschten und ich kaum noch eine der kleinen Holzkugeln auf das Band bekam. Hinzu kam, nicht besonders hilfreich, dass ich in der Nacht kaum Schlaf gefunden hatte. Ständig schwirrten Rajans Worte über seine Gefühle und die Hochzeit in meinem Kopf herum und kaum schloss ich die Augen, sah ich Demians freches Grinsen vor mir.

„Möchtet Ihr lieber aufhören?"
Ich wandte den Blick von dem kleinen Teich ab, an dem wir saßen und schaute in Royas treue braune Augen. Das kleine Säckchen, in dem sie die Perlen aufbewahrte, lag verschlossen auf ihrem Schoß und sie streckte die Hand nach meinem Band aus.
Ergeben setzte ich ein leichtes Lächeln auf und gab es ihr.
„Danke, dass du es mir gezeigt hast", meinte ich und stand auf. „Ich denke, ich werde da nie so geduldig sein können, wie du."

„Mit der Zeit geht es wie von selbst und dann braucht es auch keine besondere Ausdauer oder Geduld dafür." Sie erhob sich ebenfalls und knotete das Säckchen mit den Perlen an das Band um ihre Hüfte. „Wenn Ihr wollt übe ich mit Euch und wenn es Euch keinen Spaß macht, dann ist das auch nicht schlimm." Sie grinste und eine ganze Reihe gelblich-weißer Zähne entblößte sich.

„Ich werde Rajan beten, bunte Perlen zu besorgen", meinte ich und schaute kurz zu meinen Gardisten, die sich einige Meter entfernt am Wegesrand platziert hatten, bevor ich Roya wieder ins Gesicht sah. Ihre Augen waren bei meinen Worten kugelrund geworden. „Du machst so schönen Schmuck, wie wäre das erst in Farben?"
„Das würdet Ihr...?" Sie schüttelte den Kopf, wodurch ihre Haare lustig zu wippen begannen. „Mylady, das müsst Ihr nicht."
„Warum nicht?" Wir schlenderten langsam in Richtung des Schlosses zurück. „Du machst so viel für mich, ich möchte dir auch einmal eine Freude bereiten."
„Aber... es ist meine Aufgabe, mich um Euch zu kümmern, der Lord wollte es so. Ihr seid mir nichts schuldig."
Ein belustigtes Schnauben entwischte mir. „Ich tue das doch nicht, weil ich dir etwas schuldig bin, sondern..."

Ich stockte mitten im Satz. Eine Gestalt, die auf uns zu kam, ließ mich sofort vergessen, was ich eben noch sagen wollte.
Das Grinsen in seinem Gesicht konnte ich schon lange bevor er uns erreichte erkennen.
„Guten Morgen, Mylady! Wie schön Euch zu treffen!"
„Demian. Guten Morgen."

Als ich gestern Abend nach dem Spaziergang mit Rajan in meine Gemächer zurückgekehrt war, war ich sofort zum Schrank gestürzt und hatte die Türen aufgerissen, doch er war nicht mehr dort. Auch unter meinem Bett und auf dem Balkon hatte ich gesucht, aber es gab kein Anzeichen dafür, dass Demian jemals im Raum gewesen war.

Misstrauisch kniff ich die Augen etwas zusammen. Dass ich ihn jetzt traf, war bestimmt auch kein Zufall.
„Es ist herrliches Wetter nicht wahr?" Er breitete die Arme aus und sog übertrieben laut die Luft ein. „Aaah. Endlich kommt der Sommer!"
„Ich finde es zeitweise etwas zu warm", ging ich auf sein Gesprächsversuch ein, einfach weil ich so erzogen wurde.
Er lachte. „Welch Ironie, dass Ihr dann nach Meereshorn zieht."

„Zweifelsohne werde ich mich an das Wetter dort gewöhnen." Vielleicht klang das etwas schnippisch, aber ich mochte es nicht, wenn er sich ständig darüber lustig machte.
Natürlich bemerkte er den Unterton, doch sein Grinsen brach nicht ab. Stattdessen legte er neugierig den Kopf schief.

Stern des NordensWhere stories live. Discover now