Tag 8

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[ Levi // 14 // ]

Müde sitze ich bei Frau Kramer auf dem Sofa. Wie viele andere Ärsche hier wohl täglich sitzen und sich über ihr erbärmliches Leben beklagen. Wie viele andere haben hier wohl schon geheult? Ob sie alleine oder mit jemand anderem geweint haben?

"Wie geht es dir, Levi?", fragt die ältere Frau und macht ihren Kugelschreiber einsetzbar. "In den letzten Tagen ging es. Ich war wieder bei der Halle und habe viel nachdenken können." - "Und worüber hast du nachgedacht?"

"Über Eren. Ich bin kurz davor mein Schicksal zu akzeptieren und es ist fast so, als würde ich an einer Klippe stehen. Eine Klippe, die mich zu ihm bringt. Ich breite meine Arme aus, spüre den Wind auf meiner nackten, vernarbten Haut. Bevor er da war habe ich meine Arme und Beine aufgeschnitten. Tag ein Tag aus. Und dann, dann kam Eren. Ich könnte mich einfach fallen lassen und dann könnte ich bei ihm sein. Klingt absurd, aber es wäre so schön."

"Levi .... hast du das Bedürfnis dich umzubringen?" Ich schaue von meinen Knien auf in ihr Gesicht und falte meine Hände. "Mal mehr, mal weniger. Aber ja, das habe ich." - "Was glaubst du würden die Menschen in deinem Umfeld dazu sagen? Deine Mutter, dein Onkel, deine Cousine, die Leute aus der Halle?"

Ich zucke mit den Schultern. "Mag sein, dass ich egoistisch handle, wenn ich sage, dass es mir egal ist, da ich Eren wieder sehen werden kann." - "Ich bin sicher, dass sie dich alle sehr vermissen würden."

"Vielleicht. Vielleicht denken sie auch nur einmal im Jahr an mich, wenn ihnen eine Handyapp Bescheid sagt, dass jemand, den sie mal kannten, gestorben ist. Das halte ich für wahrscheinlicher."

"Du möchtest also dein Leben aufgeben um Eren wieder zusehen?" Ich nicke und wende den Blick ab. "Ich werde dir ein Medikament verschreiben. Es ist keineswegs gefährlich oder für dich verpflichtend, aber wenn du wieder solche Gedanken und Wünsche hast, dann nimm bitte etwas davon.", meint sie und schreibt etwas auf ein Rezeptblock, reißt den Zettel heraus und legt ihn auf die Mitte des kleinen Tisches.

Sie räuspert sich kurz und beginnt in ihren Unterlagen zu blättern. "Wie läuft es mit den Briefen? Schreibst du sie?" Ich nicke. "Jeden Tag. Seit 8 Tagen nun."

"Wie geht es dir damit? Hilft es dir?" Schulterzuckend greife ich nach einem Stift, welchen ich in meinen Fingern herum tänzeln lasse. "Ich spüre keine Veränderung meiner Gefühle. Keine anderen Emotionen."

Sie notiert sich meine Aussagen und legt - die eh schon faltige Stirn - noch mehr in Falten. "Ich möchte gerne, dass du das noch die ausgemachten 4 Tage machst. Dann sehen wir weiter."

"Sie wollen das aber nicht lesen, oder? Ich habe vor sie abzuschicken." - "Wirklich? An wen?"

"An seine Mutter.", murmle ich und klicke die Kugelschreibermine durch die Feder rein und raus. Sie nickt und fragt mich weiter nach meiner momentanen Stimmung, ob irgendwas besonderes Zuhause vorgefallen wäre. "Ne, eigentlich nicht."

Zu sagen, dass der Neue von meiner Mutter mich anfassen und schlagen würde, würde meine jetzige Situation nur noch verschlechtern. Sie würde sicher das Jugendamt rufen und ich würde in ein Heim gesteckt werden, wo man mir alle Freiheiten nehmen würde.

Nach unserer Stunde kann ich endlich gehen, steuere zur Apotheke und stoße die Tür auf, ehe ich das altmodische Gebäude betrete und freundlich in dem nach Traubenzucker riechenden Arzneimittelladen begrüßt.

Ich setze ein gefälschtes Lächeln auf und reiche dem Mann hinter der Theke das Rezept. Er lächelt, liest es sich durch und verschwindet in den hinteren Räumen. Die Türglocke klingelt und ich zucke leicht zusammen. Zum Glück habe ich meine Kapuze auf, ich kann es nicht leiden, wenn mich Leute von hinten anschauen können. Ich weiß dann nämlich nicht, wie sie schauen.

100 Briefe [Ereri/Riren]Where stories live. Discover now