Tag 19

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[ Levi // 27 // ]

"Wie lange willst du da noch sitzen und auf den Boden starren, Levi?", fragt eine dunkle Stimme plötzlich. Sofort bekomme ich eine Gänsehaut auf den Armen und drehe mich zu Erwin um, der den Schornstein hoch geklettert kommt. "Wir haben schon fast 4 Uhr morgens. Was machst du noch hier?", fragt er sanft und hockt sich neben mich. 

"Ich schaue einfach nur auf den Boden. Siehst du doch." - "Was ist los, Kleiner?" Ich hasse es, wenn mich jemand klein nennt. "Ich bin nicht klein. Und der Jüngste bin ich hier auch nicht. Also hör auf mich so zu nennen." Er lacht leise auf, setzt sich richtig hin und meint, dass er mich nur ein wenig provozieren wollte. "Arsch."

"Was ist los, Levi? Du bist zwar sonst auch recht melancholisch, aber seit Eren wieder hier ist geht einiges mit dir ab, was ich mir nicht erklären kann." Fragend hebe ich eine Braue und drehe meinen Kopf zu ihm. "Ich weiß nicht, was du meinst. Ich bin wie immer. Nur etwas fröhlicher."

"Du bist in einer Phase, die ich noch nie an dir gesehen habe. Du bist weder glücklich noch deprimiert.", murmelt er leise und ruft etwas von dem weniges Moss hier oben von den Steinen und wirft es den großen Steinturm herunter. Unten fällt es in eine kleine Pfütze. 

"Schwerkraft ist schon was cooles, oder? Ich meine, wenn du mal nachdenkst. Dank ihr können wir hier sitzen und uns unterhalten. Wir müssen nicht aufeinander zu schwimmen müssen, weil wir sonst wie Staub weg fliegen würden. Schwerkraft ist cool. Vielleicht ist sie auch der Grund warum wir uns kennen gelernt haben. Immerhin würden wir sonst ziellos irgendwo herum fliegen und könnten nicht zu einem bestimmten Raum und uns dort mit Leuten so treffen, so wie wir es jetzt könnten. Glaubst du, dass wenn die Menschheit auf einen anderen Planeten umsiedeln muss, der Schwerkraft weiterhin ausgesetzt ist?"

"Was?" Ich seufze und lege meine Arme über meine Knie, spiele mit meinen Fingern und schaue weiter auf den Boden, der sich einige Meter unter mir erstreckt und nach mir ruft. "Wenn ich jetzt fallen würde, würde ich fallen. Es gäbe nichts, was mich daran hindern könnte. Merkst du, dass Schwerkraft nützlich ist?"

"Was ist mit den Leuten, die nicht fallen wollen sondern nur stolpern?", fragt er leise und wirft noch etwas von dem Moss runter. "Die enden wie die, die fallen wollen. Zermatscht auf dem Boden. Und wir wissen beide, dass wir irgendwann da unten liegen werden und es uns egal sein wird. Egal ob wir stolpern oder fallen wollen."

"Denkst du schon wieder daran, dass du stirbst?", obwohl die Antwort schon klar auf der Hand liegt, fragt er nach. Was will er hören? "Wie du schon sagtest: ich bin weder glücklich noch deprimiert. Ich bin einfach nur da. Klar, Eren muntert mich auf und ich wüsste nicht, was ich ohne ihn machen würde, doch ich habe halt immer noch diese Vermutung, dass er geht. Ich gehe einfach davon aus und bereite mich darauf vor. Das tue ich eben so. Ich denke eben über meinen Tod nach. Oder über die Schwerkraft, die mir das erleichtern könnte. Ich denke zu viel, Erwin und dann darüber zu reden macht nichts besser. Es zu verschweigen verschlimmert es aber meist nur. Ich weiß nicht, was ich ohne Eren machen soll. Du hast mitbekommen, was passiert ist, als er das erste Mal gegangen ist. Ich will das nicht nochmal erleben müssen. Ich will nicht nochmal so leiden müssen wie damals. Das ist alles. Und natürlich denkt ein depressiver, suizidgefährdeter Teenager über den Tod nach, wenn sich keine Zukunft für ihn ausmalen lässt."

"Wieso gehst du davon aus, dass er wieder geht?" Ich seufze und hebe den Kopf. "Es gibt nichts, was ihn hier halten würde, was nicht letztes Mal schon da war. Er ist letztes Mal auch gegangen, unter den selben Umständen."

Erwin seufzt legt einen Arm um mich und zieht mich etwas zu ihm. "Sieh nicht immer alles so negativ. Er bleibt bei dir.", murmelt er und ich zucke mit den Schultern. Mein Hals tut weh, da ich die ganze Nacht irgendwelche Lieder mitgesungen habe und nicht einen Schluck getrunken hatte.

100 Briefe [Ereri/Riren]Where stories live. Discover now