Tag 30

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[ Levi // 39 // ]

Vor einem Monat begann ich mit den Briefen. Vielleicht sollte ich sie weiterführen? Ich wüsste zwar nicht warum, aber Frau Kramer hatte Recht. Es  hilft wirklich ein bisschen seine Gedanken niederzubringen und sie nicht in die Welt schreien zu müssen. 

Es half mir, ich sollte es weiter machen. Vielleicht komme ich dann irgendwann dazu mich jemandem vollkommen anzuvertrauen. Wer weiß.

"Levi, kannst du das wiederholen?", werde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen und stelle fest, dass ich noch immer dabei bin das Datum zu notieren. "Nein.", entgegne ich einfach nur und schreibe es fertig aufs Papier in meinem Heft. 

Meine Klassenlehrerin seufzt nur und erklärt erneut worum es geht. Gedichtinterpretation. Schon wieder. Ich bin das Thema leid. Ich bin diese Schule leid. Ich bin den Lernstoff, der mir nie etwas bringen wird, leid. Ich bin alles leid. Mein Leben, meine Gedanken, mich.

Gestern Abend war es schön mit Eren zu reden. Ihn bei mir zu wissen, auch wenn er nicht wirklich bei mir war. Es war schön so. Es wäre perfekt gewesen, wenn wir dies die letzten 18 Monate hätten tun können. Aber nein, der werte Herr ist sich zu fein dafür.

Eigentlich sollte gerade ich nicht über Eren urteilen, immerhin bin ich es, der Schuld an seinem Verschwinden ist. Er wollte mich nicht mehr. Auch wenn er das abstreitet, damit ich mich nicht schlecht fühle, es ist die Wahrheit und die tut eben weh. Ich bin Schuld daran und wenn er wieder gehen sollte, werde ich wieder Schuld daran tragen.


Nach der Schule, die für mich heute nur eine Last und Zeitverschwendung war, begebe ich mich unsicher zu der Halle. Ich hatte gestern Abend noch beschlossen Erwin von der Sache zwischen unseren Eltern zu berichten. Ich hoffe einfach, dass sein Vater uns die Halle trotzdem noch überlässt. Auch wenn er mich und Eren gemeinsam gesehen hat und meine Mutter ihm bestimmt erzählt hat, dass ich schwul bin.

Sie plaudert das gerne aus. Nervig. Wenn ich Leuten meine Sexualität durchgehend preisgeben wollen würde, würde ich mir ein Schild umhängen, auf welchem stehen würde: Ich bin schwul, schaut mich an und fragt mich über mein Sexualleben aus.

Genervt öffne ich die Tür der Halle und höre sogleich, dass Annie wohl am Sprayen ist, denn es ist eindeutig ihre Musik, die durch das alte Fabrikgebäude hallt. 

Ich steuere direkt auf Erwins Zimmer zu. Er schläft zwar bei uns, hat aber ein Extra Zimmer. Da steht nur ein Schreibtisch und eine Lampe drinnen, aber besser als nichts. 

Als ich die Tür öffne, drehen sich zwei Köpfe zu mir und eines der Gesichter auf diesen beginnt zu lächeln. "Hi Levi.", Mike springt vom Tisch und umarmt mich grinsend. Erwin steht noch an den Tisch gelehnt und schaut mich einfach nur an. Ich drücke mich von Mike, da mir Erwins Blick unangenehm ist. 

"Ich wollte mit dir reden.", murmle ich und schaue ehrfürchtig zu ihm rauf. "Mike, gehst du mal raus?", es klingt nicht wie eine Frage, es ist mehr ein Befehl. Mike geht raus und ich seufze leise.

"Was gibt's?" - "Unsere Eltern scheinen sich zu kennen und das ist ein Problem." 

"Wie meinst du das?" - "Dein Vater und meine Mutter schlafen miteinander und er hat gesehen wie Eren und ich uns geküsst haben und er weiß wohl auch, dass ich auf jeden Fall schwul bin.", murmle ich und seine blauen Augen werden bei jedem Wort größer.

"Was?", erstaunlich ruhig faltet er seine Hände und seufzt kurz. "Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich möchte ihn nicht drauf ansprechen, wenn er vielleicht gar nicht mehr weiß, wer ich bin." - "Verständlich."

"Was machen wir jetzt? Wenn wir die Halle deswegen verlieren-" Harsch unterbricht er mich. "Denk nicht mal drüber nach, dass wir das hier verlieren. Das hier ist unser Zuhause und wenn mein Vater es nicht mehr bezahlen will, weil du schwul bist, dann finden wir einen anderen Weg."

"Meinst du, dass das klappt?"

Erwin seufzt zuckt mit den Schultern. "Ich regle das."


Ich bin wieder zurück gegangen. Naja, nicht ganz. Ich steh an der Haustür von Erens Elternhaus. Er hatte mir geschrieben, dass er dort ist, falls ich ihn sehen wollen würde. Ich klingle und einige Sekunden später wird mir die große Holztür geöffnet und Armin lächelt mich freundlich an. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, da er seine Haare wohl eine Weile nicht mehr geschnitten hat und nun aussieht wie eine Kokosnuss. 

"Levi? Dich habe ich ja lange nicht gesehen, komm rein.", ich hasse es, wenn er so spricht. Das habe ich schon immer gehasst. Als wäre er eine alte Frau. 

"Hey.", murmle ich und ziehe meine Schuhe aus. "Ist Eren da?" - "Ja er ist oben." Ich nicke und frage, ob es noch sein altes Zimmer wäre. "Ja, aber sag mal, wie geht es dir?" - "Gut. Mir geht es wirklich gut. Ich bin froh, dass Eren wieder hier ist und sowieso es könnte momentan nicht besser für mich laufen.", Lügen. Reine Lügen.

"Ich gehe dann mal zu ihm.", murmle ich nur noch schnell und laufe schnell die große Treppe hoch. Hier hat sich nichts verändert. Es hängen noch immer die Selben Bilder im Flur und es sieht immer noch so aus, als hätte jemand mit einer Zahnbürste den Boden geputzt und danach drüber geleckt.

An Erens Zimmertür, klopfe ich kurz, ehe ich eintrete und ihn auf dem Bett liegen sehe. Er hat seine Augen geschlossen und große Kopfhörer auf. Ich lächle leicht traurig, da es so aussieht, als würde er keine Probleme haben. Als würde er mich nicht haben.

Ich lege meinen Rucksack ab und gehe zu seinem Bett. Ich tippe ihn am Arm an, worauf er zusammenzuckt, lächelt und seinen Arm hebt, damit ich mich in diesen legen kann, was ich auch sogleich tue. Ich ziehe ihm die Kopfhörer ab und küsse kurz seine Wange, ehe ich mich im Zimmer umschaue. Es sieht anders aus als früher. 

Die vielen Pokale sind weg und einige Bilder sind neu. Ich sehe eins mit Marco und eines mit Jean. Eines mit vielen anderen, die wohl zu seinem Freundeskreis gehören oder gehörten, ich weiß es nicht. Und dann sehe ich ein Bild, welches mich zum lächeln bringt.

 Und dann sehe ich ein Bild, welches mich zum lächeln bringt

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Wir hatten damals einen Ring. Kitschig wie sonst was, aber wir waren doch erst 14 und 16. Ich finde es schön, dass er das mit mir gemacht hat. 

"Du Eren?" - "Mh?", macht er und öffnet seine Augen wieder. "Willst du mal heiraten?" 

"Ich weiß nicht. Vielleicht ja, vielleicht nein. Ich denke eher nicht. Ich will nicht, dass eine Beziehung durch einen Ring ausgemacht wird. Eine Beziehung besteht aus viel mehr als aus einem Ring. Es ist Vertrauen und Liebe, Zuneigung und Verständnis. Du weißt was ich meine. Dann möchte ich einfach nicht, dass mein Leben von einem Stück Edelmetall strukturiert wird. Du darfst das nicht, denn du bist verheiratet. Du solltest das tun, denn du bist verheiratet. Wie wäre es mit: Mach was du willst, auch ohne einen Ring, der nur etwas symbolisiert, was du schon lange hast."

Wegen sowas liebe ich ihn. 

100 Briefe [Ereri/Riren]Where stories live. Discover now