Tag 47

1K 109 36
                                    

[ Levi // 54 // ]

In der Schule trotte ich unmotiviert durch die Gänge zum Physikraum und lehne mich dort schließlich, abseits von den anderen an die Wand. Sie unterhalten sich über ihre letzten Bettgeschichten und darüber, dass sie alle zusammen mal wieder in den Club in der Nachbarstadt fahren könnten. Tch, die und fahren. 

Ich habe einmal mit anhören müssen, wie Nicola ein wenig über das Auto ihres Freundes erzählt hat. "Ja, das ist schwarz und von voll der tollen teuren Marke." Innerlich hatte ich nur die Augen verdreht. Was war so schwer daran sich den Namen "BMW" zu merken? Und die Farbe "mattschwarz"? Unsere Klasse passt leider sehr in die typischen Geschlechterrollen. 

Die Mädchen lieben pink, Schminke und heiße Typen. Damit sind diese 0815 Models gemeint, die alle gleich aussehen und auf Instagram nur durch Auto- und Posenpost aufsehen bekommen. Solche eben. 

Dementsprechend interessierten sie sich auch nicht wirklich für Autos oder anderes, was man bei uns eher den Jungen zuordnen konnte. Leider. Wir hatten mal ein Mädchen in unserer Klasse, das offen zugab Männerkleidung zu tragen, ungeschminkt zur Schule kam und gelegentlich an den Autos ihres Vaters herum schraubte. Wenn sie das nicht tat, zockte sie die meiste Zeit. Die Mädchen haben sie raus gemobbt. Dämliches Pack.

Als ich sehe, dass mein Physiklehrer den Gang betritt, stoße ich mich leicht von der Wand ab und stelle mich zu den anderen, ehe ich der Masse in den Raum folge und mich auf meinen Platz hinten in der Ecke sitze. 

Ohne Begrüßung oder irgendeine Art der Resignation von uns beginnt der alte Mann zu reden. "Motoren. Was ist das? Wer von euch hat schonmal einen gesehen? Schonmal repariert?"

In den Gesichtern der Mädchen erkennt man deutlich die Unsicherheit. Die Jungen dagegen melden sich sofort alle. Ich seufze leise und widme mich dann den Aufgaben, die der Mann an die Tafel schreibt. 


Nach Mathe schultere ich meinen Rucksack und verziehe mich aus dem Gebäude und trotte durch die verschmutzte Stadt. Die Müllabfuhr streikt scheinbar schon wieder. Um mich herum häufen sich Plastiktüten, leere Verpackungen und Pappbecher von Bäckern. Wie ich es hier hasse.

Eren hat schon Recht; ich muss hier wirklich mal raus. Das bringt doch alles nichts mehr. Ich kann mir doch nicht mehr selbst erzählen, dass ich es hier schön finden würde. Es ist widerlich hier. Ich halte das in dieser Umgebung, mit den Menschen und den Vorurteilen, den Blicken und den Kommentaren nicht mehr aus. Ich will hier einfach nur noch weg. Mir egal wohin, fast überall ist es besser als hier. 

"So come rain on my parade
'Cause I want to feel it
Come shove me over the edge
'Cause my head is in overdrive
I'm sorry but it's too late
And it's not worth saving
So come rain on my parade." singe ich leise mit und steure zu dem kleinen Waldstück, welches zur Halle führt. 


Ich öffne die schwere Tür, ziehe meine Kopfhörer aus dem Handy und meinen Ohren und bringe meine Sachen in den Schlafraum, wo ich etwas -momentan -Ungewöhnliches vorfinde. Erwin und Mike. Zusammen in einem Bett. Kein Sex. Nur Kuscheln. Seltsam. Mike liegt auf Erwins Brust und malt kleine Kreise auf dessen muskulösen Körper. Er scheint mich gar nicht wahrzunehmen, weil er einfach weiter brabbelt. 

"... das nicht immer so sein? Ist doch nichts Falsches dran. Wieso versteht dein Vater das nicht?", während er weiter vor sich hin redet, gibt mir Erwin, der mich bemerkt hat ein Zeichen, dass ich lieber zu den anderen gehen solle, was ich auch sogleich tue. In der Küche sitzen Farlan und Annie, die zusammen lachen. Als ich rein komme, bemerkt Annie mich zu erst und erzählt mir begeistert von irgendwelchen Jugendwörtern, die nie einer sagen würde.

"Brontal krass, oder?", lacht sie und ich schmunzle kurz, weil man sie einfach nicht oft lachen sieht. Farlan lacht mit und sie reden noch weiter solche Sachen. Dabei kommen noch Wörter wie: Panzerkröte, Pampelmuse und irgendwelche nicht identifizierbaren Geräusche von Annie. 

"Eren ist übrigens oben, falls du den suchst.", sagt dann plötzlich die Stimme von Hanji hinter mir und ich drehe mich leicht schockiert um. Wie lange steht sie da schon? 

Die brünette Brillenträgerin lächelt nur schief und richtet ihren BH-Träger, ehe sie sich zu Annie und Farlan setzt, die ihr begeistert von ihren Wörtern erzählen. 

Ich mache mich auf den Weg zum Schornstein und klettere das Innere des Backsteinturms nach oben, ehe ich Eren betrachte, der seine Beine baumeln lässt und etwas liest. Ich setze mich lächelnd neben ihn und lehne mich an ihn. Eren zuckt zwar leicht zusammen, zieht mich dann aber näher an sich und legt seine Hand auf meine Hüfte, ehe er weiter liest. 

Ich schaue auf sein Buch und schmunzle leicht. Stephen King. Ganz eindeutig. "Brennen muss Salem", wenn mich nicht alles täuscht. 


Nach einiger Zeit schließt Eren das Buch und legt es neben sich, ehe er sich nach hinten fallen lässt und mich auf sich zieht. Ich lächle leicht und streichle über seine Wange, kann mal wieder vergessen, wie kaputt ich eigentlich bin. Außerdem bin ich zu einem sicheren Entschluss gekommen, den ich ihm mitteilen will.

"Wir haben ja morgen Freitag, wolltest du da schon direkt los oder erst Samstag." -" Wenn du möchtest können wir auch jetzt fahren. Geplant war aber morgen.", grinst er und fährt mir durch die schwarzen Haare, die ich mal wieder waschen sollte. "Und dann bleiben wir zwei Tage?" Eren nickt und lächelt mich sanft an. 

"Können wir eine Abmachung treffen?", frage ich dann und Eren hebt eine Augenbraue. "Kommt drauf an. Ich werde nicht kochen. Zu deinem Wohl." Ich lächle leicht und boxe ihm gegen die Schulter. "Tch, Idiot."

"Dein Idiot.", grinst er und küsst mich kurz. 

"Aber ernsthaft, wenn wir miteinander schlafen, was ich mal denke ... dann möchte ich das mit dir versuchen. Aber bitte erwarte nicht zu viel und sei nicht sauer, wenn ich es dann doch nicht mag.", ich werde rot und drehe meinen Kopf weg, schaue mir stattdessen den Sonnenuntergang an.

Die orangene Färbung vermischt sich mit dem dunkelblau des kommenden Nachthimmels und ergibt einen wunderschönen Übergang, in welchem die Sonne an sich gar nicht mehr auffällt. Schön. 

"Das einzige, was ich erwarte", sagt Eren und holt mich damit aus den Gedanken "ist, dass du ehrlich zu mir bist, was das Thema angeht. Wenn du sagst, dass du das möchtest, gehe ich davon aus, dass du dich weitgehendst informiert hast." Ich nicke - ich hatte heute Nacht keinen Schlaf finden können und da alle anderen geschlafen haben, habe ich mich ungestört gefühlt.


"Ich liebe dich, Eren.", murmle ich leise und schaue weiter in die Sterne. Wir liegen bestimmt schon seit einigen Stunden auf dem Schornstein und wiedermal bin ich dankbar, dass irgendwer hier zugemauert hat. Denn solch einen Blick in den Himmel, so nah - ich war noch nie so nah am Himmel.

"Ich liebe dich auch." Ich nehme seine Hand verschränkte unsere Finger ineinander, merke, wie er mit seiner freien Hand durch meine Haare streicht. "Das wird sich auch hoffentlich niemals ändern.", haucht er noch leise, ehe wir nicht weiter auf das Thema eingehen sondern einfach nur weiter in den Sternen bedeckten Himmel starren. 

Die aufkommende Kälte ignorieren wir, es geht nur um uns beide in diesem Moment. Und gerade das finde ich so schön. Immer stand noch etwas anderes neben uns. Erwin und Mikes Streit, meine Depressionen, meine Schule, Erens Vater, Erwins Vater, Keith, meine Mutter, Mikasa - irgendwas stand immer im Weg. 

Doch momentan ist alles gut. 


___________
Nice Woche, Downphase ziemlich ausgeprägt, in der Schule wurde ich auch erstmal begrabscht. Wer hat Anschiss bekommen? Richtig, ich. Ich habe zurück gegriffen. Wooow so schlimm -.-'
Dann heute hat sich ein Lehrer mit mir angelegt, weil ich meine Meinung über Umweltverschmutzung gesagt habe. Ich wurde als "scheiß Feministin" beleidigt, worüber ich jedoch nur gelacht habe. Ist ja auch so schlimm sich für seine Rechte einzusetzen... Alter, ich hasse meine Schule.

Egal, ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen :)

-A


100 Briefe [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt