Kapitel 8 (X)

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„Ach Miss Cooper, schön das Sie uns doch noch mit ihrer Anwesenheit beglücken", begrüßte mich Mr. Montgomery fröhlich. Nickend schloss ich die Tür hinter mir und wollte zu meinem alten Platz gehen, in der vorderen Reihe, der wie immer leer war. Ich machte mir keine Mühe, den Lehrer oder die Klasse anzusehen, aber leider hatte ich die Rechnung ohne Mr. Montgomery gemacht. „Moment, nicht so schnell. Warum kommen Sie zu spät?" Ich mochte diesen Mann eigentlich echt gerne, aber jetzt gerade nervte er mich unglaublich. Warum kamen Menschen wohl zu spät? Genervt verdrehte ich meine Augen. „Ich habe verschlafen", antworte ich ihm knapp. Ich kannte mich so gar nicht, normalerweise bemühte ich mich immer um eine höfliche Antwort, egal, in welcher Gefühlslage ich mich befand. Aber ich handelte schneller als ich denken konnte. „Und trotzdem hatten Sie genügend Zeit, um sich einen Kaffee zu holen, anstatt in meinen Unterricht zu kommen?" Ich nickte. „Man muss Prioritäten setzen." Nun sah mich Mr. Montgomery geschockt an, denn auch er war es nicht gewohnt, dass ich so mit ihm sprach. Ich hörte, wie manche anfingen zu kichern, aber ich drehte mich nicht zu ihnen um. Ich drehte mich um, um auf meinen Platz zu gehen, aber wieder hielt Mr. Montgomery mich davon ab. „Miss Cooper, Sie werden in der letzten Reihe Platz nehmen", sagte er streng und sah mich nicht mehr an.

Die Reihe war komplett leer, aber der Kurs sah größtenteils vollständig aus. Von mir aus, dann würde mich dort hinten wenigstens jeder in Ruhe lassen. Ich ging zu der Reihe und setzte mich auf den Platz direkt am Fenster und packte langsam meine Schulsachen raus. Geschlagene 10 Minuten saß ich da und schaute stumm nach vorne. Ich versuchte wirklich mich zu konzentrieren, aber ich hatte absolut keine Ahnung worum es ging. Ich nahm die Bewegungen wahr, hörte die Wörter, aber nichts blieb hängen.

Auch das passte nicht zu mir. Mir fiel es nie schwer, mich zu konzentrieren, selbst dann nicht, wenn es laut war oder dazwischengeredet wurde. Aber heute war alles anders. Angefangen mit dem verschlafen, die Anspannung und jetzt die fehlende Konzentration. Wenn es sich nicht um mein Leben drehen würde, könnte man behaupten, dass heute ein ganz besonderer Tag war. Ein Tag, an dem etwas Großartiges passieren würde. Aber das hier ist mein Leben, und in meinem Leben passierten keine unerwarteten tollen Momente. Ich lebte einfach nur ein normales, langweiliges Leben eines 18-jährigen Mädchens.

Ich versuchte weitere 5 Minuten mich auf den Unterricht zu konzentrieren, aber als dann auch noch lautes Lachen aus dem Flur zu hören war, gab ich auf. Dieses Lachen zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Kurz nach dem Lachen hörte man eine lautstarke Diskussion, aber leider verstand ich nicht worum es ging. Ja, Neugierde war eine Eigenschaft von mir, die mich schon öfter in Schwierigkeiten gebracht hatte und bestimmt auch noch bringen wird.

Mit einem lauten Knall wurde die Tür aufgerissen und drei große, dunkel gekleidete Jungs standen im Türrahmen. Damian, Ben und ein Junge, dessen Name ich nicht kannte, aber er kam mir sehr bekannt vor. Dieser Junge ähnelte sehr einer Person, die ich mal kannte. Er hatte sehr große Ähnlichkeit mit ihm.

Er war groß – ungefähr die Größe von Damian, schätzungsweise um die 1.90 m. Seine Haare waren dunkel. Schwarz oder besser gesagt pechschwarz. Ich hatte in meinem Leben bisher nur einen einzigen Menschen kennengelernt, der solch dunkle Haare hatte. Seine Augen waren ebenfalls dunkel. Von hier hinten konnte ich es nicht gut sehen, aber ich schätzte sie waren Braun. Er trug, passend zu seinem sonstigen Erscheinungsbild, eine schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Die Haut, die man erkennen konnte, war von Tattoos übersät. An seinen Armen und einige an seinem Hals.

Warum erinnerte mich alles an diesem Jungen an ihn. An Cole. Diese dunklen Haare, seine Tattoos, sogar seine Körperhaltung erinnerte mich an ihn. Wie konnte das sein? Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich sagen, dass Cole soeben den Klassenraum betreten hatte. Aber ich wusste es besser, er konnte es nicht sein.

Der Junge hielt in seiner Hand eine schwarze Lederjacke, auf der am Rücken ein Symbol abgedruckt war. Besser gesagt ein Schriftzug - ein Schriftzug der Blacks. Über den gesamten Rücken stand „ No Saints without Sinners" , darüber und darunter jeweils eine gerade Linie und unterhalb der unteren Linie war ein kleines Kreuz mit einem Vogel. Das war eine Jacke der Blacks. Diese war etwas anders als die der anderen Mitglieder, sie hatte am Ende des linken Ärmels die Buchstaben C. A. Cole Allen. Aber wie konnte er so einen haben? Diese Jacke, mit Initialen, gab es nur zweimal. Die eine hatte ich zuhause und die andere gehörte Cole.

Der Junge bewegte sich und mein Blick fiel auf das Innere der Jacke. Am Kragen stand in Weiß der Satz „Black is my happy colour." Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah ich ihn an. Die Jacke gehörte definitiv Cole. Er hatte sich diesen Satz extra einnähen lassen. Woher hatte er seine Jacke? Warum hatte er seine Jacke? Er konnte nicht Cole sein. Das war unmöglich, denn Cole Allen war vor fast 2 Jahren bei einem Motorradrennen ums Leben gekommen. Ich war dabei, als er im Krankenhaus starb.

Cole und ich waren Mitglieder der Blacks. Wir sind früher immer bei illegalen Motorradrennen mitgefahren und haben uns auch dort kennengelernt. Wir wurden unzertrennlich, ich hatte ihm vertraut wie sonst keinem. Nicht einmal zu Noah hatte ich eine solch starke Verbindung. Wir harmonierten so gut zusammen, dass wir schnell die besten in unserer Gang wurden, und irgendwann auch in der Umgebung. Es gab niemanden, gegen den wir verloren hatten. Wir haben jedes Mal gewonnen. Niemand konnte uns aufhalten und uns den Spaß daran nehmen. Wir hatten es geliebt. Bis zu dem Tag an dem Cole einen schweren Motorradunfall hatte. Alles verlief wie immer, Cole hatte einen tollen Start hingelegt, aber auf einmal fing seine Maschine Feuer und er verlor die Kontrolle. Er wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht, in dem er direkt notoperiert wurde. Die Ärzte hatten mehrere Stunden lang versucht, ihn wieder zurück ins Leben zu holen, aber es war nicht genug. Sie hatten es nicht geschafft. Seine Verletzungen waren zu schwer. Seit dieser Nacht wollte ich mich nie mehr so hilflos fühlen. Genau deswegen wollte ich Medizin studieren, um Leuten zu helfen.

Ich war nie auf seiner Beerdigung oder an seinem Grab. Ich hätte es nicht verkraftet vor seinem Grab zustehen und zu wissen, das ich ihn nie wieder sehe würde. Allein bei dem Gedanken das ich von nun an ohne ihn leben müsste, hat mich zusammenbrechen lassen. Ich hatte so viele Nächte lang geweint, ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Ich hätte alles für ihn getan – er auch für mich. Er nannte mich immer seine kleine Schwester, die er nie hatte. Er hat immer auf mich aufgepasst, sich um mich gekümmert, mir geholfen und wenn ich zu sehr geträumt hatte, hat er mich wieder zurück auf den Boden der Tatsachen geholt. Ich konnte mit ihm über Sachen lachen, über die ich mit keinem sonst hätte lachen können.

Nach seinem Unfall bin ich nie wieder ein Rennen gefahren, ich war nicht einmal mehr an die Strecke zurückgekehrt. Zu den Blacks war ich auch nie wieder gegangen, soweit ich wusste, hatten sie sich nach und nach aufgelöst. Aber ohne Cole wäre es nicht mehr dasselbe gewesen. Es hätte sich nicht richtig angefühlt. Genauso schlecht hatte sich das Motorradfahren angefühlt. Alles hatte mich an ihn erinnert. Ich hatte mir geschworen, dass ich das Motorrad nie mehr anfassen würde. Irgendwann konnte ich nicht mehr und hatte Noah alles erzählt und er hatte mir geraten, das Fahren für eine Zeit sein zu lassen. Ich sollte mir Zeit nehmen, alles zu verarbeiten und zu meinem 18. Geburtstag noch mal versuchen. Wenn es sich immer noch nicht richtig angefühlt hätte, hätte ich noch länger warten sollen.

Am Anfang hat es sich komisch angefühlt, aber nach dem ich die ersten paar hundert Meter gefahren war, hatte es sich wieder so unglaublich gut angefühlt. 

DamianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt