Kapitel 23 (x)

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Leah's Sicht 

Der Tag war gekommen. Heute war Freitag. Heute Abend würde Damian verlieren. Warum ich mir so sicher war? Eigentlich es ganz einfach, na ja jedenfalls in meinem Kopf, aber ich hatte ihm gegenüber einen Vorteil. Ich hatte ihn bereits fahren gesehen und konnte etwas besser einschätzen, wie er fährt oder wie er in Situationen reagieren wird. Ich hatte mich mit Cole über ihn unterhalten, um mehr darüber zu erfahren. Damian dagegen hat mich noch nie fahren gesehen, er hat nur davon gehört und bei einem Rennen gibt es nichts Besseres, als wenn man den Fahrstil seines Gegners kennt. 

In meinem Kopf klang es jedenfalls nach einem tollen Plan, ob es jedoch so kommen wird bezweifelte ich. Ja, ich war gut, aber Damian war ebenfalls gut und dazu kam, dass ich lange nicht mehr gefahren bin und ich es nicht mehr gewohnt war in kürzester Zeit die nächsten zwei Schritte zu planen. Und wenn ich ehrlich bin, wollte ich nur gegen ihn fahren, um ihm zu beweisen, dass er unrecht hatte.  

Von Cole hatte ich erfahren, dass das Rennen gegen 23:30 Uhr starten soll. Cole hatte es mir erzählt, weil sowohl ich Damian, als auch Damian mir aus dem Weg ging. Mir war es schon unangenehm genug, da wollte ich ihm nicht auch noch unter die Augen treten und mir seinen Kommentar dazu anhören. Was hatte mich da nur geritten? 

In der Nachricht, die ich eben von Cole bekam, stand, dass er mich um 22 Uhr abholen kommen würde, damit wir vorher noch etwas essen gehen konnten. Das hieß, mir blieb noch ca. eine halbe Stunde, um mich fertig zu machen. Ich entschied mich für eine schwarze Jeanshose, mit Löchern an den Knien, einen grauen Tennessee Pullover und meine Vans. Vans gingen doch immer, oder? Als ich fertig war, war es kurz vor 10, weshalb ich mich dazu entschied schon mal nach unten an die Straße zu gehen. Da weder David noch mein Dad Zuhause waren, konnte ich dieses Mal durch die Haustür hinaus gehen und musste nicht meinen Balkon hinunterklettern. 

* 

Als wir bei der Strecke ankamen, waren schon einige Leute da, weitaus mehr als beim letzten Mal. Darunter auch sehr viele die ich noch von früher kannte. Das letzte Stück bis ganz nach oben musste ich alleine fahren, da Cole nicht teilnahm, musste er etwas weiter unten parken. Während ich auf Cole wartete, schaute ich mir die Strecke an.  Die Strecke war dieses Mal eine echte Herausforderung. Anders als sonst führte unsere Strecke um den ganzen Berg, auf dem die Rennen immer stattfanden, herum. Nach unten, um den Berg und auf der anderen Seite wieder hoch. Kurz nach dem Start war die erste rechts Kurve, sie war langgezogen und am Ende sehr eng. Bereits kurz danach folgte eine scharfe links Kurve. Diese war von einer halben rechts Kurve gefolgt. Bevor man den Berg mit fünf scharfen hintereinanderliegenden rechts links Kurven hinabführt, fuhr man ein etwa 200 bis 300 Meter langes Stück einfach geradeaus. Am Fuß des Berges fuhr man mehr oder weniger gerade aus, bevor man den Berg wieder hinauffuhr. Auf dem weg hoch waren die letzten drei Kurven. Die erste der drei war eine langgezogene links Kurve. Direkt hinter ihr lag eine ebenfalls langgezogene rechts Kurve, diese war aber deutlich schärfer als die davor. Und die letzte führte steil nach oben, es war wieder eine langegezogene links Kurve. Wenn man dort zu schnell rein fuhr, flog man sofort raus und landete irgendwo abseits der Straße. Nach dieser Kurve war man wieder an der Spitze des Berges angekommen und von hier aus ging es bis zum Ziel nur noch geradeaus, was einem die perfekte Chance bot nochmal aufzuholen. Selbst wenn man davor weit hinter dem ersten lag, hatte man hier die Chance alles aufzuholen und das Rennen doch noch für sich zu entscheiden. 

Es wirkte so, als wäre es Absicht, dass unsere Strecke anders verlief, als die der anderen. So, als wollten sie wirklich sehen, wer von uns beiden der Bessere war. Sie wollten ein spektakuläres Rennen. "Glaubst du, ich habe eine Chance?", fragte ich Cole, als ich hörte, dass er sich neben mich stellte. Ich schaute weiterhin auf die Strecke und verschränkte meine Arme vor der Brust.  "Hm. Die Strecke sieht nicht gerade einfach aus und Kurven sind Damians Spezialgebiet, aber dafür bist du schnell und kannst gut ausweichen. Du denkst schneller und noch etwas vorausschauender als Damian." Er machte eine Pause und sah mich an. "Ich denke es wird ein sehr spannendes Rennen, was gut für mich ist, so langweile ich mich wenigstens nicht", sagte er grinsend und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich umdrehte und zu seinen Leuten ging.  

Ein paar Minuten später, die ich noch auf der Stelle stehen blieb, ging ich mein Motorrad holen. Als ich auf ihn zu fuhr, stand er zusammen mit Damian in der Mitte einer großen Menschenmenge. Damian kam anscheinend kurz vorher an, denn er saß noch auf seinem Motorrad und unterhielt sich mit den anderen. Er trug wie immer eine schwarze Hose. Welches T-Shirt er trug, konnte ich nicht sehen, da seine Lederjacke geschlossen war. Sein rechtes Bein war angewinkelt und der Fuß war auf der rechten Fußraste abgestützt. Mit dem linken Fuß stand er auf dem Asphalt und stützte so sich und das Motorrad, damit er darauf sitzen konnte und es trotzdem nicht umkippte. Auf seinem linken Bein lag sein Helm, auf dem er seinen linken Arm abgelegt hatte. Seine rechte Hand stützte er auf dem rechten Bein ab, sodass sein Arm leicht angewinkelt war. Sein Oberkörper war leicht nach vorne gebeugt, was bedeutete, das er entspannt war. Auch das er sich lautstark mit seinen Freunden unterhielt und mit ihnen lachte, zeigte, dass er gelassen war. 

Was wäre eigentlich gewesen, wenn ich nicht von hier weg gegangen wäre, hätten sich Damian und Cole trotzdem kennengelernt? Wäre sogar ich und Damian vielleicht befreundet? Wie kam Damian überhaupt hier hin? Langsam fuhr ich auf die beiden zu. Als Damian mich bemerkte, stoppte er seine Unterhaltung und seine ganze Aufmerksamkeit galt mir, er beobachtete jede Bewegung von mir. Ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und das war der Moment in dem mir bewusst wurde, das ich nervös war. Ich war echt nervös. "Ich hätte nicht gedacht, das du dich wirklich traust und kommst", begrüße mich Damian direkt, als ich vor ihnen zum stehen kam. Ich schaltete den Motor aus, zog meinen Helm aus und lächelte ihn an. "Ich kann mir einen leichten Sieg doch nicht einfach entgehen lassen." "Ganz schön viel Selbstbewusstsein für ein kleines Mädchen." Sein Grinsen wurde größer. "Ganz schön wenig Selbstbewusstsein für einen großen Jungen", konterte ich grinsend.  "Immerhin versuchst du ein kleines Mädchen zu verunsichern, aber da muss ich dich enttäuschen, das wird nicht passieren. Du hast schneller verloren, als du gucken kannst." Ich zwinkerte ihm zu und versucht so überzeugt wie nur möglich zu klingen, denn ich war mir nicht mehr so ganz so sicher, ob ich wirklich eine Chance hatte. Sein gelassenes Auftreten lies mich wirklich zweifeln, aber das sollte er nicht mitbekommen. Aber es war schön, dass wir, trotz meines seltsamen Auftritts vor ein paar Tagen, so gelassen mit einander reden konnte. "Wir sehen uns am Start", sagte ich und rollte in Richtung Startlinie.  

"Wenn ich nicht wüsste, dass ihr zwei euch nicht leiden könntet, hätte ich gesagt, dass ihr zwei süß zusammen seid", sagte Cole, der kurze Zeit später neben mir stand. Ich schlug ihm leicht gegen den Arm. "Wovon träumst du nachts?" "Aua. Spar dir lieber deine Kraft für das Rennen." Wir unterhielten uns noch kurz, bis Cole sich verabschiedete, da das Rennen jeden Moment startete. Als ich an der Startlinie ankam, stand Damian bereits da. Ich hielt neben ihm an und zog meinen Helm auf. Das letzte Mal als ich an dieser Linie stand, endetet der Tag damit, das Cole ins Krankenhaus kam, und ich dachte, er sei tot. Und jetzt knapp zwei Jahre später stand ich wieder hier und nehme an einem Rennen teil. Die ganze Angst, die sich seitdem in mir aufgebaut hatte, war plötzlich verschwunden. Es gab keinen Grund mehr dafür. Cole war bei mir und klar gab es immer die Risiken das jemand verletzt werden konnte, aber trotzdem war ich gefahren. Ich sollte endlich die Vergangenheit hinter mir lassen. Ich hatte es geliebt und ich werde es auch jetzt lieben. Ich freute mich auf dieses Rennen, egal ob ich verlor oder gewann. "Mach ihn fertig", hörte ich Cole rufen. Ich drehte meinen Kopf kurz zu Damian und dann zu Cole. "Mit vergnügen", antwortete ich ihm und obwohl Damian einen Helm trug, wusste ich, das er grinste.  

Ich drehte meinen Kopf zu Damian und auch er sah mich an.  Als ich den Motor startete, war das Gefühl von damals wieder da. Spürte den Motor in jedem Muskel, spürte, wie das Blut durch meinen Körper gepumpt wurde, ich fühlte mich wieder so unglaublich gut und frei. Ich spielte mit dem Gas, was dazu führte, das die Zuschauer anfingen zu schreien und zuklatschen. Eine braunhaarige, die eben noch bei den Jungs stand, betrat den Asphalt und stellte sich zwei Meter entfernt zwischen die Motorräder und hielt eine Fahne in die Luft. Das war der Moment, in dem ich mich richtig hinsetzte, den nun konnte es jede Sekunde los gehen. 

DamianWhere stories live. Discover now