Kapitel 55

2.5K 88 12
                                    

Ich hörte leise Schritte hinter mir und bevor er sich räusperte, wusste ich, dass es Damian war. Ich weiß nicht warum, aber ich hab es gespürt. "Hier bist du." Ich sah zu ihm auf. Damian setzte sich mit angewinkelten Beinen neben mich. Seine Ellenbogen stütze er auf seinen Knien ab und hielt in der einen Hand einen Becher. "Willst du was trinken?" Er hielt mir seinen Becher hin. "Ich trinke nichts." "Ich auch nicht. Jedenfalls nicht, wenn ich noch fahren muss. Es ist Cola." Ich nahm den Becher entgegen und trank einen Schluck. Dankend gab ich ihm den Becher wieder, von dem er dann ebenfalls einen Schluck trank. Gleichzeitig drehten wir den Kopf zum See und sahen stumm darauf.

"Ich war früher so oft hier. Damals dachte ich immer, dass der See so unendlich groß ist und heute kommt er mir so klein vor. David hat mich immer ausgelacht, wenn mir mal wieder irgendwas Dummes passiert ist." Ich lachte kurz. Damals sind wir auf einen Baum geklettert und haben von dort aus alles und jeden beobachtet. Die Menschen, die Tiere, das Wasser. Aber als wir runter klettern wollten, blieb ich mit meinen Schnürsenkeln an einem Ast hängen und hing kopfüber am Baum. "Ich war lange nicht mehr." Ich weiß nicht, warum ich das Damian erzählte, aber es fühlte sich in dem Moment richtig an. Ich sah, dass er seinen Kopf zu mir gedreht hatte und mir aufmerksam zuhörte. " Durch die Trennung meiner Eltern hat sich alles verändert. Am Anfang war alles wie immer. Aber meine Mum ruft mittlerweile nur noch selten an, Dad ist den ganzen Tag auf der Arbeit. Manchmal seh ich ihn mehrere Tage nicht, weil er so früh geht und erst spät wieder kommt." Ich blinzelte ein paarmal. Mir war nicht klar gewesen, dass mich das ganz so sehr mitnahm. Ich war immer davon überzeugt, dass es mir egal war und das es vorüber geht. Aber jetzt wo ich drüber sprach, merkte ich, wie sehr ich meinen Dad vermisste und auch meine Mum. Aber am meisten vermisse ich meinen Bruder, mit dem ich Reden könnte.

"Und David hat sich auch so sehr verändert. Ich hab langsam das Gefühl, das ich ihn nicht mehr kenne. Ich hab das Gefühl, ich verliere meinen Bruder." Damian hörte mir immer noch aufmerksam zu. " Tut mir leid. Ich sollte dich nicht voll labbern." Ich atmete einmal tief durch, um alle Gefühle die gerade in mir hochgekommen sind, wieder runterzuschlucken. Unerwartet legte Damian einen Arm um mich und zog mich an sich. "Du kannst immer mit mir reden, wenn du das möchtest. Ich werde dir immer zuhören." Wie von selbst legte ich meinen Kopf auf seine Schulter. Als sein Griff stärker wurde, kribbelte die Stelle, an der er mich berührte. Obwohl er am Feuer saß, roch er unglaublich gut. Die Umarmung tat gut und gab mir kraft. Und Hoffnung. Langsam löste ich mich wieder von ihm. "Danke", sagte ich leise. Er nahm seinen Arm von mir und legte ihn wieder auf sein Knie.

"Hast du alles regeln können?", fragte ich, als ich mir sicher war, das meine Stimme sich nicht mehr so dünn anhören würde. Er sah mich verwirrt an. "Du meintest doch, das du einige Sachen regeln musstest, das du deswegen nicht in der Schule warst." "Ja", sagte er kühl. "Ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst total fertig aus." "Ja alles bestens.", sagte er schroff. Ich rutschte ein Stück von ihm weg, sah ihn aber weiterhin an. Seine Muskeln waren angespannt und sein Blick lag wieder auf dem See. Ich kannte Damian nun gut genug, um zu wissen, dass nicht alles bestens war. Ihm geht es alles andere als gut. Seine Muskeln sind angespannt, hängen trotzdem nur schlaff an ihm. Er sieht müde aus, so als habe er die letzten Tage sehr wenig geschlafen. Aber genauso wusste ich, dass er nicht drüber reden will. Er würde reden, wenn er dazu bereit ist. Sein Brustkorb hob sich einmal und sank dann wieder langsam. "Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so angehen." "Ist in Ordnung.", sagte ich leise. "Zuhause ist gerade einiges los. Meine kleine Schwester war die letzte Woche krank."

"Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast." Eigentlich wusste ich es schon, von Cole, aber ich wollte vom Thema ablenken. " Wie alt ist sie?" "Hailey ist 6" Seine Muskeln entspannten sich langsam. "Oh, noch ein kleiner Sonnenschein?" Ich sah lächelnd zu ihm. Er lächelte. Wieder. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und tippte auf dem Display. Dann hielt er es mir hin. Langsam nahm ich es in die Hand und auf dem Display war ein kleines Mädchen zu sehen. Ich sah von dem kleinen Mädchen zu Damian. Die beiden sahen sich sehr ähnlich. Beide hatten das Glänzen in den Augen. Das kleine Mädchen sah aus wie ein kleiner Engel. "Hast du noch eins?" Er wischte einmal nach links und ein neues Bild war zu sehen. Es zeigte die beiden in einem gleichen Outfit. Beide trugen eine schwarze Hose und einen roten Pullover. Rot stand ihm unglaublich gut. Damian wischte noch einmal nach links. Dieses Bild war schon etwas älter, es zeigte ihn, wie er sie auf seinen Schultern hatte. Im Hintergrund sah man einige Fahrgeschäfte, vielleicht waren sie auf dem Stadtfest. Sie hatte ein Eis in der Hand. Na ja es war eigentlich überall in ihrem Gesicht verteilt. Damian trug einen großen Teddy im Arm und hatte eine kleine Krone im Haar, die vorsichtshalber von Hailey festgehalten wurde. Das Bild wurde eine Sekunde, bevor Damian Eis im Haar hatte, aufgenommen. Man konnte sehen, wie das Eis langsam runter tropfte. "Aww." Damian strahlte so glücklich in die Kamera, wie ich ihn noch nie strahlen gesehen habe. Das letzte Bild, das er mir zeigte, zeigte ihn, wie er in Jogginghose und T-Shirt am Herd stand und seine Schwester auf dem Arm trug. Hailey trug einen Schlafanzug und hatte ihren Kopf auf seine Schulter gelegt. "Das hat Ben letzte Woche gemacht. Sie hatte Fieber, aber wollte unbedingt dabei sein, wenn ich ihr essen mache. Sie ist immer wieder fast eingeschlagen. Sie liebt es beim Kochen zuzugucken. Und natürlich später zu essen. "Das ist das süßeste Bild, das ich jemals gesehen habe.", sagte ich. ." Ich wischte nach rechts, um das vorherige Bild noch einmal zu sehen.

DamianWhere stories live. Discover now