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Das war sie also, die Apokalypse. Leise war sie gekommen, ohne den großen Knall, den man eigentlich erwartet hätte.
Vielleicht hatte es deshalb auch so viele erwischt, weil niemand erkannt hatte, welche Gefahr heranrollte.
Leo hatte Glück gehabt, sie war auf Nummer sicher gegangen, hatte sich nach den ersten komischen Meldungen mit Vorräten eingedeckt, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.
Seit drei Wochen hielt sie sich schon in ihrer Wohnung versteckt, alle Netze waren zusammengebrochen, Strom- und Wasserversorgung funktionierten nicht mehr. Sie wusste nicht, wie es ihrer Familie oder ihren Freunden ging, ob es noch eine Regierung gab, wie die Lage mittlerweile aussah.
Leo wusste, dass es feige war, was sie tat. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte sie mit ihrer besten Freundin herumgealbert, dass sie sich in der Apokalypse auf jeden Fall zusammentun würden, trotz der großen Entfernung zwischen ihnen. Doch bis jetzt hatte Leo sich nicht wie verabredet auf den Weg gemacht, weil sie sich nicht getraut hatte. Vielleicht war Lilli auch schon lange tot. Oder hatte sich voller Vertrauen auf den Weg gemacht und wartete nun vergebens am verabredeten Treffpunkt, enttäuscht oder voller Schuldgefühle, weil Leo nicht da war und sie nicht wusste, was mit ihr geschehen war?
Es half ja alles nichts, das Pflichtgefühl und das Verantwortungsbewusstsein waren letztlich doch größer als die Angst. Leo musste sich an die Abmachung halten und wenn sie dabei draufging, dann war das eben so. Dann starb sie wenigstens wie ein Soldat, in Ausübung ihrer Pflicht, und nicht wie ein Feigling, der seine Kameraden im Stich ließ.
Leo packte sich einen Trekkingrucksack mit allem, was sie brauchen konnte und einigem, von dem sie sich nicht trennen wollte, bis er ihr fast zu schwer wurde. Im schlimmsten Fall musste sie ihn ohnehin zurücklassen, sie war nicht sportlich genug, um für lange Zeit mit so einem Ding auf dem Rücken zu rennen. Alles hatte sie bedacht, nur nicht, dass Ausdauer und Kraft ebenfalls von erheblichem Vorteil sein konnten, wenn es hart auf hart kam.
Tapfer schulterte Leo das Ungetüm, hängte ein Schild mit der Aufschrift „Zuflucht und Vorräte" in das Fenster zur Straße und machte sich dann auf den Weg nach Nordwesten. Zu Lilli.
Mit etwas Glück fand sie irgendwo ein Pferd oder ein verlassenes Auto mit Schlüssel und vollem Tank, obwohl Leo das eigentlich zu unsicher war. Motoren waren laut und lockten Überlebende ebenso an wie die Untoten.
Möglicherweise. Mit Sicherheit konnte sie das nicht sagen, dafür war sie noch nicht oft genug draußen gewesen. Aber das würde sich ja jetzt ändern.
Leo öffnete vorsichtig die Haustür und spähte in alle Richtungen, lauschte und schnupperte, ob sie etwas Verdächtiges wahrnahm.
Alles schien ruhig, dennoch beschloss sie, dass es sicherer war, mit gezücktem Dolch zu laufen. Nicht, dass sie plötzlich unbewaffnet einer bösen Überraschung gegenüberstand.
Zu ihrer Verwunderung konnte sie die Stadt mühelos in Richtung Autobahn verlassen, aber die nächste Hürde folgte sofort: Frankfurt am Main.
Auf der Hanauer Landstraße standen die Autos dicht an dicht, manche ineinander verkeilt. Hier war nur lebend herausgekommen, wer zu Fuß weitergegangen war. Hier musste es vor Untoten eigentlich nur so wimmeln, aber Leo wusste nicht, welchen Weg sie sonst gehen konnte. Die Autobahn war die einzige Möglichkeit, schnell ans Ziel zu kommen.
Querfeldein würde sie sich selbst mit Karte verlaufen, so viel war sicher – obwohl sie eigentlich wusste, dass große Städte und Straßen zu vermeiden waren.
Aber die Theorie unterschied sich leider meistens von der Praxis.
Leo hielt sich nicht damit auf, in die Autos zu schauen, sondern ging stur die Straße entlang. Selbst wenn sich ein passendes Fahrzeug fand – hier würde sie damit niemals durchkommen.
Frankfurts Straßen waren chronisch verstopft, daran änderte auch die Apokalypse nichts. Und ihren Proviant musste sie noch lange nicht aufstocken, wobei es fraglich war, ob diese Menschen auf ihrer Flucht überhaupt etwas dabei gehabt hatten.
Als Leo die Autobahnauffahrt erreichte, hielt sie inne. Etwas stimmte nicht, sie fühlte sich plötzlich nicht mehr allein.
Waren diese Dinger in der Nähe? Bestimmt, aber hatten sie sie auch bemerkt?
Vorsorglich kroch Leo unter ein Auto und wartete ab. Es war besser, Zeit zu verlieren und lebend anzukommen als sich zu beeilen, dafür dann aber als einer der anderen durch die Gegend zu schlurfen.
Es schien, als hätte sie keine Minute zu früh reagiert, denn schon hörte sie Schritte in der Nähe, kurz darauf tauchten die dazugehörigen Beine neben ihrem Versteck auf. Beine ohne Blut und ohne den typischen Gang der Wesen.
Ein Überlebender? Dann musste sie erst recht auf der Hut sein. Überlebende waren gefährlich, gefährlicher als die Toten.
Er oder sie blieb stehen. War Leo nicht schnell genug gewesen? Oder hatte er nur ihren Schatten gesehen und fragte sich, ob er einer Täuschung erlegen war?

Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now