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„Ich weiß nicht", überlegte Stella. „Irgendwas mit Prinzessinnen. Meine Mama hat mir nicht so viele Geschichten erzählt, sie musste so viel arbeiten, weil Papa so häufig im Krankenhaus war."
Leo sah ihre Felle davon schwimmen. Sie sah mitnichten aus wie eine Prinzessin, die Männer sowieso nicht. Und was war eine Prinzessin ohne Pferd?
Aber vielleicht konnte sie Stella Kilian und die anderen ja als Ritter verkaufen? Ritter, die Prinzessin Stella in ihr Königreich eskortierten, wo ganz viele schöne Blumen blühten und jeder ein Haustier haben durfte?
Aber Ritter ohne Pferde waren auch doof, außerdem verliebte sich in den Geschichten die Prinzessin doch immer in einen Prinzen oder einen Ritter. Und das würde mit Stella selbst in der Apokalypse sehr ungesund wirken.
„Na gut", sagte Leo trotzdem. „Irgendwas mit Prinzessinnen. Hat einer von euch Kerlen gerade eine Geschichte über eine wunderschöne, tapfere Prinzessin parat?", fragte sie in die Runde.
Zu ihrer Überraschung nickte Balu.
„Aber sicher", sagte er. „Wer hat das denn nicht?"
Er lehnte sich an einen Baumstamm und schaute hinauf in die Blätter, als überlegte er, wie er anfangen sollte.
„Es war einmal eine wunderschöne, tapfere Prinzessin", begann er dann. „Sie lebte in einem Land, das von der Dunkelheit heimgesucht wurde. Ihr ganzer Hofstaat war verschwunden, nur sie war noch da, weil sie es nicht über sich brachte, das Schloss, das ihr so lange ein zu Hause gewesen war, einfach so alleine zu lassen. Aber mit der Zeit wurde es einsam, das Schloss sprach nicht mit ihr und auch alle Tiere waren verstummt. Da kam, eines Tages, eine Gruppe von drei tapferen Rittern mit ihrer Anführerin, der Königin eines fernen Landes, zum Schloss der Prinzessin.
Glücklich über die Gesellschaft ließ sie die Königin und die Ritter in ihrem Schloss wohnen und hörte sich ihre Geschichte an, denn die Prinzessin wusste nicht, was in ihrem Land vor sich ging.
Die Königin erzählte, dass sie auf dem Weg in ein anderes, noch weiter entferntes Königreich war, um ihrer Schwester beizustehen.
Diese war nämlich den Menschen dort zu Hilfe gekommen, als sie keine Hoffnung mehr hatten, der Dunkelheit zu entkommen. Aber als sie alle gerettet hatte, stellte sie fest, dass es für sie zu spät war und schickt ihr treues, weißes Ross zu ihrer Schwester, um von ihrer Notlage zu berichten. Und was wäre die Königin für eine Schwester gewesen, wenn sie sie einfach so im Stich gelassen hätte?"
„Keine gute", sagte Stella, die ganz gebannt an Balus Lippen hing. „Was ist dann passiert?"
Auch Leo, Fabian und Kilian hörten Balu gespannt zu. Leo hätte nicht erwartet, dass dieser Bär so gut erzählen konnte, aber sie war ihm gerade unheimlich dankbar dafür.
„Was glaubst du denn?", fragte er Stella und lächelte. „Die Königin bot der Prinzessin an, sie zu begleiten und die Prinzessin war die Einsamkeit so leid, dass sie sich der Gruppe anschloss. Was hatte sie schon zu verlieren? Also machten sie sich jetzt zu fünft auf den Weg. Das Pferd der Königin und das ihrer Schwester, magische Pferde, musst du wissen, hatten in der Nacht den sichersten Weg aus dem Königreich heraus gesucht und führten die Gruppe jetzt auf den sicheren Pfaden weiter.
So lief die Gruppe viele Tage lang, kein Sonnenstrahl fiel vom Himmel herab, kein anderer Mensch und kein Tier begegnete ihnen. Stattdessen kamen nachts die Gespenster, kalt wie Eis und gruselig anzusehen. Die Prinzessin fürchtete sich, denn in ihrem Schloss hatte sie niemals ein Gespenst gesehen. Fast wünschte sie sich, dass sie es nie verlassen hätte. Dann aber sah sie die Königin an, die niemals Angst zu haben schien und wusste, dass ihr nichts geschehen konnte, solange sie da war. Dass die Königin sie beschützen würde, so, wie sie ihre Ritter beschützte."
Leo sah Kilian aus dem Augenwinkel heraus an und bemerkte, wie sein Blick auf ihr ruhte. Schnell wandte sie sich wieder Balu zu.
„Wozu brauchte die Königin denn die Ritter, wenn sie nur auf sie aufpassen musste?", fragte Stella. „Sollten die Ritter ihr nicht eigentlich helfen?"
„Sie stellt die richtigen Fragen", merkte Fabian an. „Die Kerle müssen doch zu irgendwas gut gewesen sein, oder?"
„Natürlich", erwiderte Balu. „So ganz alleine in der Welt ist doch niemand gerne, oder? So hatte die Königin wenigstens Gesellschaft. Außerdem wusste sie ja nicht, ob sie ihre Schwester alleine retten konnte und Unterstützung war immer gut. Außerdem, aber das wusste niemand außer ihr, war sie in einen der Ritter verliebt."
„In wen?", fragte Stella sofort.
„In einen der drei", antwortete Balu. „Hey, meinst du, ich würde einfach so das Geheimnis einer Königin ausplaudern? Am Ende macht sie mich noch um einen Kopf kürzer, wie die Herzkönigin aus „Alice im Wunderland"! Also ... soll ich die Geschichte weitererzählen? Oder lieber morgen und wir schlafen jetzt ein wenig?"
Stella war natürlich für „Weiter!", aber Fabian beschloss, ein Machtwort zu sprechen.
„Morgen", sagte er. „Wir brauchen Schlaf. Und so hast du immerhin was, worauf du dich freuen kannst, oder? Und du kannst dir überlegen, wie die Geschichte weitergeht, damit du sie uns vielleicht morgen erzählen kannst, was meinst du?"
„Ich kann bestimmt nicht so gut erzählen wie Balu ... aber ich kann ihm sagen, was er erzählen soll!"
Damit gab Stella sich zufrieden, kuschelte sich zwischen Kilian und Leo ein und war recht schnell eingeschlafen.
„Wusste gar nicht, dass du so toll Geschichten erzählen kannst", sagte Leo leise zu Balu.
„Ich habe einen kleinen Bruder, da lernt man das zwangsläufig", schmunzelte er. „Jetzt muss ich mir nur wohl oder übel überlegen, in wen Königin Leo da wohl verschossen ist."
In diesem Moment bedauerte Leo es, kein Kissen zur Hand zu haben, mit dem sie werfen konnte.
„Du bist doof!", sagte sie, grinste aber. „Mach dich selbst zur Königin und heirate Kilian!"
Keine Sekunde später merkte sie, dass sie etwas sehr, sehr Falsches gesagt hatte.

Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now