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„Okay", schniefte Leo. „Okay. Alles gut."
Langsam beruhigte sie sich wieder, ließ sich aber noch ein wenig von Fabian festhalten.
„Geht's wieder?", fragte er nach ein paar Minuten. Leo nickte.
Auch Stella weinte nicht mehr, schluchzte nur noch ab und zu.
„Spätzchen?", sagte Leo leise und löste sich von Fabian. „Magst du mir noch ein wenig Gesellschaft leisten, während die anderen was zu essen machen?"
Stella nickte und hielt Leo fester.
Sie konnte es ihr nicht verdenken, gut möglich, dass sie Angst hatte, dass sie auch noch verschwinden konnte.
„Kannst du meine neue Mama sein?", flüsterte die Kleine. „Ich hab doch jetzt niemanden mehr ..."
„Darüber reden wir später", sagte Leo sanft und strich Stella über die Haare. „Aber wir passen auf dich auf. Und wir sind sowas wie eine Familie. Aber ob ich deine neue Mama werde ..." Sie schüttelte den Kopf. „Wir werden sehen."
Leo hatte nicht vor, den Platz von Stellas Mutter einzunehmen, zumindest nicht als „Mama". Sie würde das Mädchen beschützen, es so gut wie möglich erziehen und lieben, so gut sie es konnte. Aber es erschien ihr falsch, wenn Stella sie als neue „Mama" haben wollte. Leo wollte das Andenken ihrer richtigen Mutter nicht mit Füßen treten.
„Was gibt es denn zu essen?", fragte Leo, um sich selbst ein wenig auf andere Gedanken zu bringen. Sie hatte noch ein paar Konserven eingepackt, aber vielleicht gab es hier ja auch noch ein wenig mehr.
„Gulaschsuppe", antwortete Kilian. „Für meinen Geschmack ist es dafür draußen etwas zu warm, aber es ist das, wovon noch am meisten da ist."
„Klingt gut", meinte Leo. „Magst du Gulaschsuppe?", fragte sie Stella und hoffte, dass die Kleine keine Vegetarierin war. Wobei man als Vegetarierin in dieser Welt vermutlich mehr Chancen hatte, satt zu werden. Nicht mehr lange, und Fleisch war Mangelware.
„Habe ich noch nie gegessen", gab das Mädchen zu. „Aber es ist bestimmt lecker."
Leo nickte.
„Ist es", versprach sie.
Es dauerte ein bisschen, aber dann war das Essen heiß und Leo ging mit Stella zum Esstisch, den einer der Männer schon gedeckt hatte. Sie hoffte, dass das Mädchen keine Probleme damit haben würde, dass sie auf den Plätzen ihrer Eltern saßen. Aber falls doch, konnten sie immer noch ins Wohnzimmer auf den Boden umziehen.
Stella schluckte, doch sie sagte nichts, sondern setzte sich auf ihren Stuhl, auf dem einige Kissen übereinander lagen, damit sie bequem an ihren Teller kam.
Leo hatte schon wieder ein schlechtes Gewissen, aber sie stellte fest, dass der Hunger tatsächlich größer war.
Balu und Fabian hatten die Fenster verhängt, sodass sie vor den Blicken der Wesen geschützt waren und in Ruhe essen konnten.
„Danke", sagte Leo, als sie fertig waren. „Dass ihr euch um das Essen gekümmert habt und so."
Draußen hatte es vor einiger Zeit zu regnen begonnen, sodass sie sich traute, vergleichsweise laut zu sprechen.
Kilian lächelte.
„Gerne doch", sagte er und gähnte. „Oh je ... ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber ich glaube, ich schlafe jetzt. Weckt mich, wenn ihr eine Wachablöse braucht, ja?"
Er warf Leo einen Blick zu und sie nickte. Fabian und Balu hatten ihr Vertrauen gewonnen, sodass sie auch gerne mit Kilian Wache hielt.
„Gute Nacht", sagte sie und stand auf. Auch Stella war müde geworden, ihr Kopf sackte immer wieder nach vorne. Wahrscheinlich hatte sie seit der Verwandlung ihrer Mutter nicht mehr richtig geschlafen.
„Magst du mitkommen, Spätzchen?", fragte Leo.
„Hmhm", antworte Stella müde und ließ sich hochheben.
„Gute Nacht", sagte Leo leise zu Fabian und Balu. „Wie üblich, wenn es Probleme gibt, weckt uns."
„Machen wir", versprach Balu. „Gute Nacht. Und seid leise, wenn die Kleine bei euch ist."
Er grinste sie an und zwinkerte ihr. Leo brauchte einen Moment, bis sie begriff, was Balu gemeint hatte.
„Du spinnst", knurrte sie. „Gute Nacht."
Sie wusste selbst nicht, wieso sie diesen Scherz als so unter der Gürtellinie platziert empfand. Weil Kilian wirklich etwas für sie empfinden könnte? Oder umgekehrt? Oder weil es einfach nur typisch war, dass alle annahmen, dass, wenn sich ein Mann und eine Frau gut verstanden, es unweigerlich in Sex ausarten musste?
Balu merkte sofort, dass er einen Fehler gemacht hatte, doch Leo war schon verschwunden und er wollte seinen Bruder nicht alleine lassen.
„Idiot", seufzte Fabian. „Du bist wirklich, wirklich unsensibel, Balu. Ganz ehrlich."
„Was war denn daran so schlimm?", fragte er. „Hat sie es irgendwie in den falschen Hals bekommen? Oder war es wirklich so gemein, was ich gesagt habe?"
„Es war dämlich und unnötig", antwortete Fabian. „Du hast doch nicht mal eine Ahnung, ob sie einen Freund hatte und ihn möglicherweise erlösen musste. Oder ob sie schlechte Erfahrungen gemacht hat. Oder ob sie einfach davon ausging, dass du reifer und intelligenter bist, als dein Kommentar ahnen lassen würde."

Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now