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„Das klingt schön."
Leo konnte das Lächeln in Balus Stimme hören und nahm sich fest vor, diese Szene Wirklichkeit werden zu lassen.
Den Rest der Zeit verbrachten sie in einträchtigem Schweigen, aber Leo spürte, dass Balu immer noch kämpfte.
„Hey", sagte sie, als sie sich schlafen legten. „Kuschelst du mich? Ich mag gerade nicht allein schlafen."
Balu nahm Leo nur wortlos in die Arme und hielt sie fest.
Es dauerte nicht lange, bis Leo, die ihrerseits Stella beschützend in die Arme geschlossen hatte, einschlief.
Die Nacht war viel zu kurz, wie üblich, aber sie konnten von Glück reden, dass die Wesen sie in der Nacht nicht gefunden hatten.
„Wir müssen los", weckte Kilian Leo am nächsten Morgen. „Frühstück gibt's unterwegs, wir sollten zusehen, dass wir hier verschwinden."
Sofort war Leo hellwach.
„Wie nah sind sie?", fragte sie, als sie sich aufrappelte und Stella auf die Beine stellte. Die Kleine wusste überhaupt nicht, was geschah und ließ sich widerstandslos in der Gegend herumschieben.
„Zu nah. Frag nicht so viel, sondern mach!"
Innerhalb von fünf Minuten waren Leo, Balu und Stella abmarschbereit und folgten Kilian und Fabian, die offenbar schon die sicherste Route beschlossen hatten.
Sie machten nur wenige Pausen, denn die Verfolger saßen ihnen den Tag über im Nacken. Erst, als es auf den Abend zuging und die Gruppe die nächste Stadt erreichte, fühlten sie sich ein wenig sicherer.
Stella war vollkommen erschöpft, auf so einen Gewaltmarsch war sie nicht vorbereitet, auch Leo war am Ende ihrer Kräfte. Außerdem zerrte es an ihren Nerven, dass sie Lilli nicht nennenswert näher gekommen waren.
Kilian hätte gerne mit ihr geredet, doch er hatte das Gefühl, dass sie eher Zeit für sich brauchte.
„Wir bräuchten einen fahrbaren Untersatz", seufzte Leo, als sie beim Abendessen saßen. „Oder zumindest irgendwas, mit dem wir schneller vorankommen. In diesem Tempo erreichen wir nie unser Ziel!"
„Das wäre zu laut, Leo", entgegnete Balu. „Das weißt du so gut wie ich. Die einzige Möglichkeit wären Fahrräder, aber damit wären wir nicht wirklich schneller, vor allem nicht, wenn wir querfeldein flüchten müssen."
Sie wusste, dass er Recht hatte. Aber mit jedem Tag, den sie verloren, war es unwahrscheinlicher, Lilli noch lebend zu finden.
Frustriert wie sie war, schlang sie einfach ihre Arme um die Knie und sagte nichts mehr. Es wäre ohnehin zwecklos gewesen.
„Entschuldigen Sie", sagte plötzlich jemand.
Sofort sprangen Leo, Kilian, Balu und Fabian auf, doch hinter ihnen stand keins dieser Wesen, sondern nur ein Junge von etwa neun Jahren.
„Bist du wahnsinnig?", fuhr Kilian ihn an. „Wir hätten dich umbringen können!"
Der Kleine wich erschrocken zurück und starrte Kilian nur an.
Leo ging in die Hocke und lächelte den Jungen an.
„Hey, er tut dir nichts, versprochen. Wie heißt du? Und was machst du so alleine hier draußen? Das ist doch gefährlich, weißt du das nicht?"
Sie hoffte inständig, dass das keine Falle war, dass die ganzen Filme und Serien nur möglichst unvorhersehbar und grausam sein wollten.
„Finn", antwortete der Junge schüchtern. „Und doch, aber ich dachte ... wenn Sie hier draußen sind, sind die anderen bestimmt nicht da."
„Die anderen?", fragte Balu. „Welche anderen?"
„Die Schreier", sagte Finn. „Die so schnell rennen können. Und anderen wehtun."
Die Gruppe entspannte sich ein wenig, der Junge meinte wohl keine anderen Überlebenden. Trotzdem blieben sie auf der Hut, man konnte schließlich nie wissen.
Jetzt traute sich auch Stella hinter den anderen hervor.
„Hallo", sagte sie und lächelte Finn an. „Ich bin Stella. Ich bin sechs Jahre alt. Und du?"
„Neun." Finn lächelte zurück, sah dann aber wieder die Erwachsenen an. „Können Sie mir helfen? Mein Bruder ist gestern nicht nach Hause gekommen, er wollte Essen suchen. Und ... ich habe mich nicht getraut, ihn suchen zu gehen, weil die Schreier da waren. Unsere Eltern sind nicht mehr nach Hause gekommen und ..."
Er wischte sich schnell die Tränen aus den Augen, vor diesen Leuten wollte er nicht weinen.
„Er ist 15 und heißt Leo. Er lässt mich so lange alleine. Bitte, können Sie mir helfen?"
Finn sah sie aus großen Augen an, ging dann auf Leo zu und nahm ihre Hand. „Bitte!"
Leo konnte einfach nicht anders, obwohl das wieder eine Verzögerung bedeutete. Die Stadt war zwar nicht groß, aber trotzdem groß genug, dass es zu viele Möglichkeiten gab, sich zu verstecken.
„Natürlich", sagte sie. „Natürlich helfen wir dir. Wo wohnst du denn? Hier in der Nähe oder bist du ganz allein durch die Stadt gelaufen?"
Finn schüttelte den Kopf.
„Da hinten", sagte er und deutete auf ein Haus, das nur etwa zwanzig Meter entfernt war. „Wollen Sie mitkommen?"
„Nur, wenn du „Du" zu mir sagst", erwiderte Leo und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich bin übrigens Leo. Dein Bruder und ich haben den gleichen Namen. Stella kennst du schon und die drei starken Männer sind Kilian, Fabian und Balu. Wie der Bär aus dem Dschungelbuch."

Wecke nicht die Toten: Band 1Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ