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Balu kam als erster zu ihnen, die beiden Pferde scheuten jedoch vor ihm zurück.
„He, alles gut", sagte er leise und ließ seine ohnehin schon tiefe Stimme noch eine halbe Oktave tiefer werden. Jetzt klang er wirklich wie ein Bär. „Ich bin euer Freund, nur keine Angst."
Er drehte sich halb von den beiden weg, in der Hoffnung, dass sie neugierig auf ihn wurden und Rotkehlchen sie dazu überreden konnte, ein wenig auf ihn zuzugehen.
„Ich glaube, den beiden sind schon länger keine normalen Menschen mehr über den Weg gelaufen", sagte Rotkehlchen, als die Pferde sich endlich trauten, an Balu zu schnuppern und sich vorsichtig mit ihm bekannt machten.
„Das Gefühl habe ich auch", erwiderte er und bedeutete den anderen, langsam herauszukommen.
Sobald Finn und Stella draußen waren, veränderte sich das Verhalten des schwarzen Pferdes. Es war offensichtlich ein Reitschulpferd, wenn nicht sogar ein Therapiepferd, gewesen, denn es streckte den beiden Kindern direkt seinen Kopf entgegen, um sich streicheln zu lassen.
„Immerhin mag er Kinder", schmunzelte Kilian. „Im Gegensatz zu seinem Freund, anscheinend."
Das weiße Pferd hatte anscheinend eine Schwäche für Rotkehlchen entwickelt, was darauf schließen ließ, dass es mit Männern keine sondern guten Erinnerungen verband.
„Scheint, als hätte ich einen neuen Freund gefunden", lächelte sie und strich dem Pferd über den Hals. „Was meint ihr, wollen wir dann weiter? Jetzt, wo wir unsere Rucksäcke nicht mehr selbst tragen müssen?"
„Einverstanden", sagte Kilian.
„Können wir nicht auf ihnen reiten?", fragte Stella enttäuscht.
„Noch nicht, Spätzchen", sagte Rotkehlchen. „Schau mal, die beiden hatten so lange ihre Sättel auf, dass sie angefangen haben zu bluten. Das muss erst mal heilen. Aber dann könnt ihr auf ihnen reiten, versprochen."
„Das ist wie in Balus Geschichte", plauderte Stella weiter. „Weißt du noch? Da kommen auch zwei Pferde vor und jetzt sind sie hier!"
„Ja, da stimmt wohl", grinste Balu. „Sieh mal einer an, ich wusste nicht, dass ich in die Zukunft sehen kann."
„Willst du vielleicht noch eine Geschichte erzählen, in der diese Wesen vom Erdboden verschwinden?", fragte Fabian. „Wenn die dann auch noch wahr wird, wirst du unser neuer Prophet und kannst eine eigene Religion begründen."
„Lass mal, Brüderchen, du weißt doch, damit habe ich nichts am Hut", widersprach Balu. „Aber ich versuche mein Glück heute Abend."
„Nein!", protestierte Stella. „Wir wollen wissen, wie die Geschichte mit den Königinnen ausgeht! Wen die erste Königin heiraten wird und ob ihre Schwester auch Ritter hat, in die sie sich verliebt hat!"
„Genau, erst wird eine Geschichte fertig erzählt und dann kommt die nächste – denk dir schon mal was aus", schmunzelte Rotkehlchen. „Kommt, sehen wir zu, dass wir hier wegkommen. Wir haben immer noch ein Ziel."
Die anderen nickten.
Rotkehlchen nahm den Schimmel am Zügel, während Kilian sich um den Rappen kümmerte.
So viele Vorteile die Pferde auch brachten, so viele Nachteile gab es. Sie hatten keinen Tierarzt, der sich kümmern konnte, keinen Hufschmied ... sie konnten nur hoffen, dass sie die beiden so natürlich wie möglich halten konnten, dass Probleme wie das Feilen der Zähne oder die Hufbearbeitung wegfielen.
„Aber darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist", sagte sie leise und strich dem Pferd über den Hals. „Willkommen in unserer kleinen Familie, ihr zwei."
„Wie weit ist es eigentlich noch bis zu deiner Freundin?", fragte Balu.
Rotkehlchen zuckte nur mit den Schultern.
„Ich kann es dir sagen, wenn wir am nächsten Richtungsschild vorbeikommen", antwortete sie. „Ich fürchte allerdings, dass es noch zu weit ist."
„Wir schaffen das schon", meinte Kilian zuversichtlich. „Wir finden alle, die wir suchen. Und noch mehr, wie wir jetzt wissen. Wir dürfen nur die Hoffnung nicht aufgeben."
Rotkehlchen seufzte.
„Hast du noch mehr Kalendersprüche auf Lager?", fragte sie.
Sie hatten immer noch nicht über den gestrigen Abend geredet, aber das müssten sie wohl. Die Luft zwischen ihnen war noch nicht geklärt und das machte sich nun bemerkbar.

Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now