22

200 13 3
                                    

Seine Worte brachten Balu zum Nachdenken.
„Soll ich mich entschuldigen?", fragte er. „Ich dachte, das lockert einfach ein wenig die Stimmung ... wir haben bei Gott wenig genug zu lachen."
„Nachher", sagte Fabian. „Jetzt hältst du mit mir Wache."
Balu seufzte und starrte dann durch das kleine Viereck, das sie an der Fensterscheibe freigelegt hatten.
Es regnete mittlerweile ziemlich stark und die Sicht war eingeschränkt, was hoffentlich auch für die Biester galt, und nicht nur für die potentielle Beute.
Wie die Nächte zuvor blieb alles ruhig, doch Balu wusste nicht, ob das wirklich so gut war. Ihn beschlich der Verdacht, dass die Dinger sich auf etwas Größeres vorbereiteten, so, wie sie Kilian und Leo schon am Supermarkt eine Falle gestellt hatten.
Sie mussten sich wohl mit dem Gedanken anfreunden, es mit strategisch denkenden Wesen zu tun zu haben, die sich nicht so leicht überlisten oder abschütteln ließen. Das machte natürlich auch eine potentielle Zuflucht wahnsinnig angreifbar.
Ihm blieb nur noch die Hoffnung, dass diese Wesen vielleicht wie Schmetterlinge waren und sich irgendwann verwandeln würden – in weniger aggressive oder intelligente Gegner. Es wäre zumindest eine nette Abwechslung.
Als Fabian kaum noch die Augen offen halten konnte, stand Balu auf.
„Ich gehe die beiden Turteltauben mal wecken", sagte er. „Und mich bei der Gelegenheit vielleicht gleich entschuldigen."
Sein Bruder nickte.
„Ich wäre dir sehr verbunden", sagte er. „Ich mag Leo. Und Kilian auch. Wär schade, wenn wegen so eines blöden Witzes das Gruppenklima leidet. Noch dazu, wenn wir jetzt ein Kind im Schlepptau haben."
„Ich habe verstanden", seufzte Balu und ging, um Leo und Kilian zu wecken.
Die beiden lagen friedlich schlafend da, Stella zwischen sich, die halb auf Leo lag. Irgendwie ein niedlicher Anblick, fand Balu, auch, wenn die Umstände natürlich alles andere als schön waren.
Wie vielen Kindern es wohl noch so gehen mochte wie dem Mädchen? Und wie viele wohl nicht so viel Glück hatten, einer freundlichen Gruppe zu begegnen, die sie aufnahm, sondern eins dieser Biester wurden? Eigentlich wollte er überhaupt nicht über so etwas nachdenken, aber diese Überlegungen drängten sich förmlich auf.
„Kilian?", fragte Balu leise und stupste ihn sanft an. „Aufwachen, Wachablöse."
Kilian grummelte ungehalten, richtete sich aber auf und rieb sich die Augen.
„Alles klar", sagte er. „Soll ich Leo wecken oder willst du?"
Balu zögerte.
„Mach du", sagte er dann. „Dich findet Stella nicht so gruselig wie mich."
Kilian schmunzelte nur.
„Leo?", sagte er sanft und strich ihr über die Haare. „Aufstehen."
Sie seufzte und wollte sich strecken, doch Stella hinderte sie daran.
„Ach je", murmelte Leo und löste vorsichtig die Arme des Mädchen von ihr. Zum Glück schlief sie tief und fest und wachte davon nicht auf.
„Gehst du Fabian holen?", bat sie ihn. „Damit er mir die Kleine abnehmen kann?"
„Klar."
Kilian ging ins Nebenzimmer und sprach mit Fabian, der es mit der Ablöse plötzlich nicht mehr so eilig zu haben schien. Er wollte Leo und Balu wohl einen Moment geben, um sich auszusprechen.
Leo seufzte leise und hielt Stella ein wenig fester. Sie hatte keine Lust, mit Balu allein zu sein, sie vermisste Lilli und alle anderen Menschen, die sie irgendwann einmal gekannt hatte. Den Mann, in den sie verliebt gewesen war, zum Beispiel.
„Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe", sagte Balu. „Es sollte ein Scherz werden, aber der ging wohl nach hinten los. Ich wollte dir nicht zu nahe treten und es tut mir leid, dass ich es offensichtlich doch bin. Sei bitte nicht böse auf mich."
„Schon gut", sagte Leo. „Passt schon. Ich will Stella nicht wecken, also vergessen wir das. Denk nur in Zukunft noch mal drüber nach, bevor du dich an einem Scherz versuchst, ja? Danke."
Balu nickte, doch Fabian kam immer noch nicht, um Stella zu nehmen.
„Dann eben nicht", murmelte Leo. „Würdest du sie nehmen?", bat sie Balu. „Damit ich deinen Bruder ablösen kann?"
Balu war nicht überzeugt von der Idee, aber er konnte auch schlecht widersprechen. Er hoffte einfach, dass Stella nicht anfangen würde zu schreien, sollte sie aufwachen.
Also nickte er nur, löste vorsichtig die Arme des Mädchens von Leo und nahm es in die Arme.
„Sie ist schon süß, oder?", fragte Leo. „Mach ihr nicht zu viel Angst. Schlaf gut."
Sie ging zu Fabian und Kilian ins Nebenzimmer und schickte Fabian ins Bett.
„Alles wieder okay mit Balu?", fragte Kilian, als die beiden alleine waren. Er hoffte, dass er leise genug sprach, damit die beiden Brüder ihn nicht hörten.
Leo zuckte nur mit den Schultern.
„Keine Ahnung", sagte sie. „Ist vielleicht auch nicht wichtig. Was soll's."
Kilian war nicht überzeugt, doch er wollte Leo auch nicht dazu drängen, zu erzählen, wieso sie das so aufwühlte. Dennoch machte er sich Gedanken darüber, viel mehr gab es auch nicht zu tun, denn die Gefahr vor der Tür hielt sich in Grenzen.
Er gab es ungern zu, aber die Apokalypse hatte er sich in einigen Punkten spannender vorgestellt. So war sie einfach nur zermürbend.

Wecke nicht die Toten: Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt