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Die Kinder murrten zwar leise, taten aber, was ihnen aufgetragen wurde. Der Tag war immerhin anstrengend gewesen und sie waren müde.
Es dauerte auch nicht lange, bis die Erwachsenen sicher sein konnten, dass sie eingeschlafen waren.
Leo, Vera und Viktor, die sich nicht mehr zu den Kindern zählten, waren bei Balu und den anderen geblieben. Sie wussten, dass sie ihre Situation besprechen mussten, genauso wie das weitere Verfahren.
„Also", begann Balu, sobald er sicher war, dass sie ungestört bleiben würden. „Wie sieht unser weiteres Vorgehen aus? Immerhin gibt es kein Handbuch, was einen Lösungsansatz vorgibt, wir können also nichts richtig oder falsch machen. Gut, eigentlich schon, aber ihr wisst, was ich meine."
„Wir haben Kinder dabei", sagte Rotkehlchen. „Nomadisch leben wird schwer, noch dazu, wo diese Wesen so gut hören können."
„Dann suchen wir uns ein Haus?", fragte Lilli. „Bauen uns eine Festung auf?"
„Oder wir bauen uns irgendwo Hütten in der Einöde", schlug Leanda vor. „Ich persönlich würde Abstand von Städten nehmen, obwohl wir natürlich davon ausgehen müssen, dass diese Dinger wandern."
„Und uns früher oder später finden werden", sagte Viktor. „Es wäre sicherer, nomadisch zu leben."
Rotkehlchen seufzte. Er hatte wahrscheinlich Recht, aber sie alle stammten von Menschen ab, die seit Jahrtausenden sesshaft gewesen waren. Es würde unglaublich schwer werden, sich wieder an das Nomadentum zu gewöhnen, noch dazu mit Finn, Ellie, Elliot und Stella, die schneller erschöpft waren als die Erwachsenen.
„Außerdem haben wir nicht die Möglichkeiten, uns eine wirklich sichere Festung aufzubauen", gab Florian zu bedenken. „Natürlich, wir könnten uns ein Gefängnis suchen, wie in „The Walking Dead", aber dabei sollten wir nicht vergessen, dass bei uns garantiert nicht so viele Waffen gelagert sind. Wenn überhaupt. Ganz davon abgesehen natürlich, dass wir ohnehin weniger bewaffnet sind als die Amerikaner. Am ehesten könnten wir noch einen Militärstützpunkt aufsuchen ... da wären wir vermutlich auch vor radioaktiver Strahlung geschützt, wenn die Atomkraftwerke den Geist aufgeben."
„Du meinst, wir sollten am besten eine Bunkeranlage aufsuchen?", fragte Kilian.
„Zumindest einen Ort, wo es so etwas gibt", nickte sein Bruder. „Nur zur Sicherheit."
„Weiß denn auch jemand, wo wir so etwas finden?", fragte Emma. „Ich meine, das klingt alles super, aber ... was tun wir, wenn da schon andere sind? Oder wenn das Militär noch da ist? Die wären bestimmt alles andere als begeistert, wenn wir da plötzlich vor der Tür stehen und rein wollen."
„Das weißt du nicht", erwiderte Lilli. „Ich finde, wir sollten nicht davon ausgehen, dass andere Menschen eine potentielle Gefahr sind ... ich meine, wir sind doch soziale Wesen und es wäre sinnlos, sich gegenseitig umzubringen. Diese ganzen Serien sind in diesem Punkt total unrealistisch, meiner Meinung nach."
„Trotzdem sollten wir vorsichtig sein", meinte Leanda. „Gut möglich, dass es Auseinandersetzungen um Ressourcen gibt, je nachdem, wie viele Menschen es noch gibt."
Lilli sah nicht überzeugt aus, aber sie widersprach nicht.
„Wo gibt es denn die nächste Militäreinrichtung?", fragte Fabian und sah Kilian an. „Weißt du da irgendwas?"
„Erndtebrück", antwortete Kilian. „Könnte hier in der Nähe sein ... aber sonst gibt es eigentlich überall welche, die Frage ist dann nur, wie groß sie sind. Aber fürs Erste reicht ja auch was Kleines ... bis wir beschlossen haben, was wir tun wollen. Die Kantinen könnten noch gut ausgestattet sein ... und Medikamente gibt es dort auch, glaube ich."
„Das klingt nicht schlecht", meinte Emma. „Falls noch nicht alles geplündert ist, heißt das. Und wir da überhaupt reinkommen. Wie weit ist es von hier?"
„Drei Tage, wenn wir gut durchkommen, sonst fünf", überschlug Kilian. „Das Ding hat noch einen alten Bunker, der zugänglich ist, da könnten wir erst mal sicher sein."
„Okay", sagte Balu. „Wenn niemandem was Besseres einfällt, machen wir uns morgen oder übermorgen auf den Weg dorthin. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn wir vorher unsere Provianttaschen füllen und uns ein wenig ausruhen. Ich glaube, keiner von uns hatte in der letzten Zeit genug Schlaf."
Rotkehlchen nickte.
„Klingt gut", sagte sie. Zwar bereitete ihr der lange Weg Bauchschmerzen, aber was hatten sie zu verlieren? Irgendein Ziel mussten sie schließlich haben und es war ja nicht so, als wäre der Weg zu Lilli kurz gewesen.
Leanda war die erste, die aufstand und sich streckte.
„Ich setze für heute bei der Wache aus", sagte sie. „Ich brauche Schlaf. Vor allem, wenn wir morgen rausgehen wollen. Ausgeschlafen bin ich von größerem Nutzen als müde."
„Noch jemand, der schlafen möchte?", fragte Balu. „Sonst können wir uns auch nach Gruppen aufteilen, das erspart lange Diskussionen."
„Klingt gut", stimmte Emma zu. „Dann kümmern wir uns morgen um den Wachdienst."
Lilli zögerte noch. Eigentlich hätte sie gerne mit Rotkehlchen zusammen Wache gehalten, einfach, um noch ein bisschen reden zu können – und um sich später von ihr in den Schlaf kuscheln zu lassen. Allerdings sah sie ein, dass Balus Vorschlag gut war. Vielleicht leistete Rotkehlchen ihr nach Ende ihrer Schicht ja trotzdem Gesellschaft.
„Dann bis morgen. Schlaft gut", verabschiedete Balu die Gruppe um Leanda und lächelte ihnen flüchtig zu. Er wusste, dass er etwas kurz angebunden war, aber diese neue Situation war ihm noch nicht so ganz geheuer. Für seinen Geschmack waren sie zu viele Menschen, zu viele, auf die er aufpassen musste. Noch dazu, wo sie jetzt noch mehr Kinder hatten als vorher. Außerdem war er sich nicht sicher, ob er Florian und den anderen trauen konnte. Natürlich, er und Lilli kannten Kilian und Rotkehlchen, aber ... irgendetwas störte Balu. Auch Leanda konnte er nicht einschätzen.
„Balu?", riss Rotkehlchen ihn aus seinen Gedanken. „Magst du mit mir Wache halten?"
Kilian hatte sich nach einigem Ringen dafür entschieden, erstmal bei seinem Bruder zu bleiben und hatte sich für die erste Schicht entschuldigt.
„Klar", antwortete er. „Sehr gerne."
Damit hatte er immerhin die Gelegenheit, ungestört mit ihr über die Neuankömmlinge sprechen zu können. Balu hoffte, dass Rotkehlchen seine Bedenken nachvollziehen konnte und sie die Menschenkenntnis besaß, die er ihr zutraute.
„Gute Nacht", verabschiedete sich Fabian von ihnen und zog Leo sanft mit sich. Er hatte gedankenversunken auf seinem Platz gesessen und schien nichts von dem mitbekommen zu haben, was in den letzten fünf Minuten besprochen worden war.
Balu würde ihn später fragen, worüber er nachgedacht hatte.
Rotkehlchen und er gingen zu einem der Fenster, von dem sie gut hinaus auf die Straße schauen konnten, und legten sich auf die Lauer.

Wecke nicht die Toten: Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt