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„Hallo", sagte Finn schüchtern.
Die drei lächelten ihn an.
„Also, Finn", sagte Fabian. „Wir gehen jetzt zu dir nach Hause, stellen unsere Sachen ab und suchen dann deinen Bruder. Okay?"
Der Junge nickte, nahm Leos Hand und ging mit ihr zu dem Haus, auf das er gezeigt hatte.
Die Tür war nur angelehnt, was die Gruppe ein wenig beunruhigte, doch drinnen schien alles friedlich zu sein.
„Hast du etwas dagegen, wenn wir uns hier mal umsehen?", fragte Balu. „Nicht, dass sich einer der Schreier unbemerkt hier eingeschlichen hat."
„Okay", antwortete Finn. „Aber ... ich hab nicht aufgeräumt, bitte nicht schimpfen, ja?"
„Ach was." Balu lächelte ihn an. „Ich räume auch nie auf, ich schimpfe ganz sicher nicht. Und wenn einer der anderen schimpft, schimpfe ich zurück, versprochen."
Leo fragte sich, wie Finns Eltern wohl gewesen sein mussten. Als sie ein Kind gewesen war, hatte sie auch nie aufgeräumt, aber auf den Gedanken, jemanden zu bitten, deswegen nicht böse mit ihr zu sein, wäre sie nie gekommen.
Balu nahm Fabian mit auf seine Erkundungstour, sodass Stella, Leo und Kilian bei Finn blieben.
„Also, Finn ... wo könnte dein Bruder denn sein? Hat er erzählt, wo er hinwollte? Oder weißt du einen Platz, an dem er ganz sicher nicht ist, weil es da zu gefährlich ist oder es nichts zu essen gibt?", fragte Leo.
„Die Bücherei", antwortete er. „Und ich glaube, alles, was rechts von unserem Haus liegt. Aber ich bin mir nicht sicher."
„Okay, ist ja nicht schlimm. Pass auf, zwei von uns werden nach Leo suchen, die anderen zwei bleiben bei dir und Stella. Gibt es jemanden, bei dem ihr lieber bleiben würdet?"
„Balu!", antwortete Stella wie aus der Pistole geschossen. „Ich will die Geschichte zu Ende hören!"
Kilian und Leo mussten sich ein Lachen verkneifen.
„Okay, Prinzessin", schmunzelte Kilian. „Und wer soll der zweite sein?"
Stellas Blick wanderte zwischen Leo, Fabian und Kilian hin und her. Plötzlich schien sie zu zögern.
„Ihr habt mich nicht weniger lieb, wenn ich einen Namen sage, oder?", fragte sie unsicher.
Leo ging in die Hocke und nahm das Mädchen in die Arme.
„Unsinn", sagte sie. „Jeder von uns hat dich genauso lieb wie vorher."
„Dann sollst du hierbleiben", antwortete sie.
Das überraschte Leo, sie hatte fest damit gerechnet, dass die Kleine „Fabian" sagen würde. Aber wahrscheinlich war es besser so, denn Kilian und Fabian konnten sich besser verteidigen.
Sie sah zu Kilian, der davon nicht allzu begeistert schien.
„Okay", sagte Leo. „Ich bleibe mit dir, Finn und Balu hier und wir hören uns die Geschichte zu Ende an. Einverstanden?"
Fabian nickte, Kilian auch, wenn auch sehr unwillig.
Leo stand auf und umarmte ihre beiden Freunde, küsste dann Kilian auf die Wange.
„Komm heil wieder", sagte sie leise. „Und keine Alleingänge, kein unnötiges Risiko und kein Abhauen. Ich brauche dich schließlich noch. Okay?"
„Okay", versprach er und lächelte flüchtig. „Wir beeilen uns und finden Finns Bruder."
„Er heißt Leo", erinnerte Finn ihn.
„Wir finden Leo", korrigierte Kilian sich amüsiert. „Versprochen."
Fabian und er machten sich nur mit ein paar Flaschen Wasser auf den Weg, falls sie sich irgendwo verschanzen mussten, aber sie hofften, bald wieder zurück zu sein. Bald würde es dunkel werden und dann würden sie einen Unterschlupf finden müssen.
Nachdem die beiden weg waren, setzte Balu sich auf das Sofa und sah Leo und die Kinder an.
„Also ... Stella wollte, dass ich die Geschichte weiter erzähle", sagte er. „Was meinst du, kannst du Finn sagen, was bisher passiert ist?", fragte er das Mädchen. „Sonst versteht er ja den Rest nicht."
Stella nickte und erzählte Finn von der Prinzessin in dem verlassenen Königreich und der Königin mit ihren Rittern. Natürlich ließ sie auch nicht aus, dass die Königin in einen der Ritter verliebt war, Balu aber nicht verraten durfte, in wen.
„Ganz genau", schmunzelte Balu. „Also ... Nach langer Zeit erreichte die Gruppe einen dunklen Wald. Die Ritter fühlten sich nicht wohl bei dem Gedanken, ihn zu betreten, auch die Prinzessin hatte Angst, denn die Bäume waren schwarz wie die Nacht, knorrig und kahl. Kein Wald, wie sie ihn aus ihrem Königreich kannte, voller Vögel, Rehe und Eichhörnchen. Er wirkte gleichzeitig tot und lebendig und böse. Doch die Königin zögerte keinen Augenblick, sondern betrat das Gehölz entschlossenen Schrittes und ihren Freunden blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Sobald sie den Wald betreten hatten, waren keine Geräusche mehr um sie herum und es war nicht der kleinste Funken Licht zu sehen."
„Ist der Wald böse?", fragte Stella und rutsche ein wenig näher zu Leo.
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht", sagte Balu. „Ihr werdet es schon früh genug erfahren – aber glaubst du wirklich, die Königin würde ihre Freunde absichtlich in Gefahr bringen?"
Stella schüttelte den Kopf.
„Na, siehst du", schmunzelte Balu und fuhr mit der Geschichte fort. „Keiner der Ritter, auch nicht die Prinzessin oder die Königin, wussten, ob die anderen noch da waren oder schon längst von diesem unheimlichen Wesen, das sich als Wald getarnt hatte, verschluckt worden war. Doch nach Stunden, zumindest kam es ihnen so vor, erreichten sie eine Lichtung – und dort stand ein großes Haus, fast so groß und prächtig wie ein Palast. Aber nur fast."
„Sie dürfen da nicht hingehen!", unterbrach Stella wieder, während Finn nur gebannt an Balus Lippen hing. „Da wohnt bestimmt eine böse Hexe!"
Balu jedoch lächelte nur geheimnisvoll und erzählte weiter.
„Die Königin ging zielstrebig auf das Haus zu und ihren Freunden blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen, obwohl sie der Meinung waren, dass ein einsames Haus in einem finsteren, gruseligen Wald nichts Gutes bedeuten konnte. Doch die Königin klopfte sogar noch an die Tür! Die Ritter waren bereit, ihre Schwerter zu ziehen, doch es öffnete keine böse Hexe die Tür – sondern die Schwester der Königin. Sie hatte diesen Wald errichtet, um sich und die Bewohner zu beschützen. Und er sah nur so gruselig aus, damit nur derjenige, der Mut und Vertrauen hatte, ihn durchquerte. Ein schöner, freundlicher Wald hätte keinen Schutz geboten, denn niemand hätte Angst davor gehabt, ihn zu durchqueren."

Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now