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Balu nickte.
„Da du mich nicht kaltblütig ermordet hast ...", lächelte er. „Obwohl du jede Möglichkeit dazu gehabt hättest."
„Gut." Leo bemühte sich um ein Lächeln und ging dann hinauf ins Obergeschoss, um erst Fabian und dann Kilian zu wecken.
„Dem entnehme ich, dass Balu und du gut miteinander ausgekommen seid?", fragte Fabian, sobald er halbwegs wach war. „Sonst wäre ich vermutlich schon tot oder mein Bruder hier oben."
„Sind wir", bestätigte Leo. „Ich glaube, ich mag euch. Und freue mich, dass ihr uns begleitet. Es sei denn, du belehrst mich eines Besseren."
Fabian stand auf, fuhr sich einmal durch die Haare, um sie halbwegs zu richten und streckte sich.
„Glaub mir, das habe ich nicht vor", erwiderte er dann auf Leos Bemerkung. „Ich bin ehrlich gesagt echt froh, nicht mehr allein mit meinem Bruder zu sein. Eine Gruppe bietet mehr Schutz – und nebenbei auch mehr Schlaf, sobald wir einander genug vertrauen. Ich sehe immer ganz gerne die Vorteile. Bis später dann und schlaf gut", wünschte er dann, bevor er sein Schwert an sich nahm und nach unten ging.
Leo begab sich nach nebenan, um Kilian zu wecken.
„Hey", sagte sie leise und strich ihm vorsichtig über die Wange. „Aufwachen, Kilian. Du bist dran mit der Wache."
Er schreckte auf, möglicherweise hatte er gerade schlecht geträumt und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren.
„Geht es dir gut?", fragte er dann und betrachtete sie kritisch. „Er hat dir nichts getan, dich nicht angefasst oder irgendwelche Bemerkungen gemacht?"
Sie lachte leise.
„Nein", versprach sie. „Nichts von alledem. Wir haben uns ein wenig unterhalten, während wir Wache gehalten haben. Er ist nett. Ich hoffe, dass wir ihnen vertrauen können, aber er hat mir keinen Grund gegeben, es nicht zu tun."
„Gut", sagte Kilian, zögerte kurz, und nahm Leo dann doch in die Arme. Sie war zwar überrascht, erwiderte die Umarmung aber.
„Ist alles okay?", fragte sie leise und strich ihm über den Rücken. „Soll ich die Wache mit Fabian halten?"
Er schüttelte den Kopf.
„Entschuldige", sagte er, ließ sie aber nicht los. „Es ist nur ... es ist bestimmt die Extremsituation, aber ... ich hänge wahnsinnig an dir und habe unglaubliche Angst, dass dir etwas passieren könnte. Heute Nachmittag, als du verschwunden warst ..." Er beendete den Satz nicht, aber Leo erinnerte sich nur zu gut daran, wie er sich an sie geklammert hatte, als sie wieder aufgetaucht war.
„Ich gehe nicht weg", sagte sie. „Und hey ... ich habe jetzt drei starke Männer bei mir, die mich beschützen können, obwohl das eigentlich echt sexistisch ist. Mir kann also gar nichts passieren, oder?"
„Ja ...", sagte Kilian, klang jedoch nicht überzeugt. Dann ließ er sie los. „Entschuldige ... ich muss dir vorkommen wir ein kompletter Idiot. Ich sollte mich in Zukunft ein bisschen mehr zusammenreißen."
„Unsinn", widersprach Leo. „Hey, das hier ist eine Extremsituation, wie du schon gesagt hast. Und dein Verhalten ist vollkommen okay. Du kommst mir nicht vor wie ein Idiot, im Gegenteil. Ohne dich wäre ich ziemlich aufgeschmissen gewesen." Sie lächelte ihn an. „Lass uns morgen oder so darüber reden, wenn du magst. Aber Fabian wartet unten auf dich und Balu ist wahrscheinlich mindestens genauso müde wie ich. Wir haben noch ein paar Tage zusammen vor uns und die nächste Wache können wir gerne zusammen halten. Dann haben wir alle Zeit der Welt."
Sie strich ihm noch einmal zärtlich über die Wange und hauchte einen Kuss darauf.
„Weck mich, wenn irgendwas sein sollte, ja? Bis morgen früh, Kili."
Als ob nichts gewesen wäre, kuschelte sie sich in das noch warme Bett und schlief fast augenblicklich ein.
Es kam ihnen zwar nicht so vor, aber die letzten Tage waren unfassbar anstrengend gewesen. Ihre Körper waren den ständigen Stress, dem sie als potentielle Beute ausgesetzt waren, einfach nicht mehr gewohnt und reagierten nun entsprechend darauf.
Leo wurde erst wieder wach, als ihr jemand eine Tasse Kaffee unter die Nase hielt.
„Frühstück", sagte Kilian. „Ich war mal so dreist und habe mir den Kaffee aus deinem Rucksack genommen."
„Schon okay", sagte Leo und setzte sich auf. „Dankeschön ... war alles ruhig? War Fabian nett zu dir?"
Kilian lächelte sie an.
„Alles gut, danke. Hast du gut geschlafen? Wir sollten so schnell wie möglich wieder los, vor allem, weil wir unterwegs mal Vorräte einsammeln sollten ... Balu und Fabi haben zwar ein bisschen was dabei, aber ... momentan fressen wir dir die Haare vom Kopf. Du hast für eine Person gepackt und jetzt sind wir zu viert. Wir sind dir ziemlich was schuldig, da ist Vorräte organisieren noch das mindeste, was wir tun können."
Darüber hatte Leo noch überhaupt nicht nachgedacht. Hätte Kilian es nicht erwähnt, wäre es ihr auch weiterhin entgangen, dass sie die Hauptversorgerin der Gruppe war.
„Das wäre großartig", sagte sie und trank einen Schluck Kaffee, bevor sie aufstand. „Geht es dir eigentlich wieder besser?", fragte sie. „Ansonsten ..." Sie stellte die Tasse auf den Nachttisch und breitete die Arme aus. „Ich könnte noch eine Umarmung vertragen."
Kilian lächelte und tat ihr den Gefallen. Er kannte es eigentlich nicht mehr, sich so sehr körperlich versichern zu müssen, dass es jemandem gut ging, nur als Kind war es so gewesen.
„Danke", sagte er, als er sie losließ. „Aber jetzt sollten wir wirklich runter, die beiden warten sicher schon auf uns."
Leo nickte, nahm ihre Tasse an sich und folgte Kilian.
„Guten Morgen", wünschte sie Balu und Fabian, die beide ebenfalls vor einer Tasse Kaffee saßen. „Kilian meinte, ihr helft mir bei der Suche nach Proviant, wo ihr mir schon alles wegfuttert?"
Sie lächelte die beiden an, um zu verdeutlichen, dass sie deswegen keineswegs böse war, doch die Männer sahen sie nur ernst an.
„Sowas ist eigentlich nicht okay", sagte Balu. „Es tut uns leid, wir haben einfach nicht darüber nachgedacht, dass Lebensmittel nicht mehr an jeder Ecke zu haben sind."
„Hey, ist schon okay", versicherte Leo. „Ihr seid meine Gruppe, wir sorgen füreinander. Wir helfen uns. Und solange ihr mich nicht die ganze Arbeit allein machen lasst, teile ich gerne alles was ich habe mit euch. Ihr hättet mir den Kram auch einfach abnehmen können, aber das habt ihr nicht. Wir suchen einfach Rucksäcke für euch, dann nimmt jeder, so viel er tragen kann und wir teilen alles gerecht. Keiner von uns hat doch damit gerechnet, dem anderen über den Weg zu laufen. Alles halb so wild, wirklich. Und danke, dass ihr Frühstück gemacht habt und ich so länger schlafen konnte."

Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now