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„Danke, dass du mich hergebracht hast, Leo. Wirklich. Ab hier kannst du mich alleine lassen. Ich will dich nicht länger aufhalten, du hast bestimmt besseres zu tun."
Sie war kurz davor, dieses Angebot anzunehmen, doch andererseits sträubte sich etwas in ihr, Kilian so zurückzulassen. Von den Gefahren, die auf sie warteten, mal ganz abgesehen.
„Kommt nicht in Frage", sagte sie deshalb. „Du schuldest mir was, schon vergessen? Deinetwegen habe ich mein Leben riskiert und wertvolle Zeit verloren. Ich könnte schon längst auf dem Weg Richtung Köln sein."
Kilian seufzte.
„Okay. Was willst du?", fragte er. „Ich habe nichts bei mir außer meiner Waffe und die gebe ich nicht her, tut mir leid. Ganz davon abgesehen, dass du damit ohnehin nicht umgehen kannst. Du hast sie vorhin nicht mal entsichert."
„Ich wusste doch, da war was", murmelte Leo. „Aber egal, ich will deine Waffe auch gar nicht. Ich will, dass du mich begleitest."
„Was?" Kilian konnte nicht glauben, was er da hörte. „Wieso?"
„Weil man sich zu zweit besser verteidigen kann, ganz einfach", antwortete Leo. „Außerdem ist man zu zweit weniger alleine. Und das kann in diesen Zeiten verdammt wichtig sein ... einfach jemanden zu haben, mit dem man reden kann. Der einfach nur da ist." Sie zuckte mit den Schultern. „Außerdem ist mein Orientierungssinn echt schlecht. Oh, und die anderen Männer, die hier rumlaufen und vielleicht nicht so nett sind wie du, sind auch noch ein Grund. Ich will hier draußen nicht mehr Angst haben müssen als nötig, wenn du verstehst, worauf ich hinauswill."
Kilian nickte.
„Okay", sagte er. „Ich komme mit. Ich wüsste ohnehin nicht, wohin mit mir, meine Eltern sind ausgewandert, ich habe keine Ahnung, wie es ihnen geht, ob sie noch leben. Also ... danke, schätze ich."
Er tat ihr unheimlich leid, aber sie wusste nicht, was sie tun sollte. Konnte es nicht sein, dass sein Bruder vielleicht einfach nur auf Geschäftsreise war, was auch immer er arbeitete?
Leo schaute nach unten, doch es lag keine Fußmatte auf dem Boden. Also gab es auch keinen Schlüssel, der darunter hätte versteckt sein können. Aber ...
„Siehst du sein Auto hier irgendwo?", fragte sie und schaute sich um. „Oder was auch immer er gefahren hat?"
Kilian erwachte aus seinen trüben Gedanken und sah sich um.
„Nein", sagte er. „Nur sein Motorrad, und das hätte er genommen, wenn er geflüchtet wäre. Wenn das Auto weg ist, bedeutet das, dass er gar nicht hier war, als das alles passiert ist!"
Doch sein erleichtertes Lächeln fiel sofort wieder in sich zusammen.
„Das heißt, er könnte überall sein ... und ich habe keine Ahnung, wo. Er ist Trucker, weißt du? Ich hatte keine Ahnung von seinen Dienstplänen, ich bin einfach auf gut Glück hergekommen und jetzt ..."
„Brechen wir die Tür auf."
Sie hatte keine Ahnung, ob das funktionieren würde und noch weniger, wie sie die Wesen im Treppenhaus loswerden sollten, aber irgendwas musste sie tun, um Kilian wieder auf Kurs zu bringen."
„Weißt du denn, wie das geht?", fragte Kilian. Er klang überrascht.
„Vermutlich so gut wie du", antwortete sie auf gut Glück. „Hey. Wenn er Tourenfahrer war ... er hatte doch bestimmt irgendwelche Stammrouten, oder nicht? Die wären doch ein guter Anfang. Aber ich muss zuerst zu meiner besten Freundin, das habe ich ihr versprochen. Falls sie noch lebt. Falls sie auf mich wartet. Deinem Bruder traue ich mehr Überlebenskunst zu als ihr. Wenn du mich zu ihr begleitest, werde ich mit dir deinen Bruder suchen gehen, das verspreche ich. Aber ich muss zuerst meine Freundin in Sicherheit bringen – und darüber werde ich auch nicht diskutieren."
Er sah aus, als wollte er widersprechen, doch Kilian merkte, wie ernst es Leo damit war. Ihre Eltern hatten ein gutes Händchen für ihren Vornamen gehabt.
„Heißt du eigentlich wirklich Leo oder ist das nur eine Abkürzung?", fragte er, ohne auf das Gesagte einzugehen.
„Das ist mein richtiger Name", antwortete. „Meine Eltern ..." Sie stockte. Lebten sie noch? Sollte sie in der Vergangenheitsform von ihnen sprechen?
„Unisexnamen waren gerade in Mode", sagte sie dann einfach nur.

Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now