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Obwohl Gänschen das Schlimmstebefürchtete, blieb es ruhig. Nur in der Ferne war das Geheul derDinger zu hören, aber es war weit genug weg, dass sie sich deswegenkeine Sorgen machen mussten. Vorerst zumindest.

Ihr taten nur die armen Teufel leid,die es erwischt haben musste ... hoffentlich waren es nicht Lilli unddie anderen.

Bei dem Gedanken an ihre Freundin, diesie jetzt schon wieder verloren hatte, stiegen ihr die Tränen in dieAugen, die sie ärgerlich fortwischte. Zum Weinen war jetzt keineZeit. Eigentlich überhaupt nie mehr. Gefühle waren etwas für dieSicherheit, aber Sicherheit war gerade ausverkauft und würdevermutlich auch nicht mehr nachgeliefert werden. Und wenn doch, dannbestimmt nur als billige Kopie, die gerade mal einen Placeboeffektversprach.

Scheiß Weltuntergang.

Natürlich hätte Gänschen esschlechter treffen können als hier mit Balu festzusitzen. MitKilians Bruder zum Beispiel, obwohl sie die Zeit sicher hättennutzen können, um sich besser kennenzulernen. Vielleicht hätte sieso einige Missverständnisse aus der Welt räumen können, aber jetztwar es eben so. Die beiden Brüder waren zusammen, zwei andere dafürgetrennt. Der Lauf der Dinge.

Ein Knacken im Geäst ließ Gänschenaufschrecken und ihr Schwert fester greifen, aber es war nur einFuchs, der sich verirrt zu haben schien. Oder der hier lebte.

Neugierig beobachtete er Gänschen,legte seinen hübschen Kopf schief und näherte sich vorsichtig, biser nur ein paar Meter entfernt von ihr stehen blieb.

Die beiden Pferde schenkten dem Tierkeine Beachtung, offenbar ging also keine Gefahr von ihm aus.Vielleicht hatte der Besitzer dieses Gartens ihn immer gefüttert,sodass der Fuchs an Menschen gewöhnt war.

„Möchtest du mir Gesellschaftleisten?", fragte Gänschen leise. „Was zu fressen habe ichleider nicht für dich, aber du darfst gerne hier bleiben, wenn dumagst."

Als hätte der Fuchs sie verstanden,legte er sich auf den Boden, platzierte seinen Kopf zwischen seinenVorderpfoten und schaute Gänschen mit einem Blick an, den sie nichtdeuten konnte.

Vielleicht kam ihr gerade deswegen dasKinderlied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen" in den Sinn, dasihr auch nur wegen des dämlichen, aber irgendwie auch süßen,Spitznamens, den Balu ihr gegeben hatte, eingefallen war.

Der Fuchs blieb so lange da, bisGänschen fast die Augen zufielen und es Zeit war, Balu zu wecken.

„War nett, dich kennengelernt zuhaben", sagte Gänschen, als der Fuchs im Gebüsch verschwand. „Ichwünsche dir ganz viel Glück in deinem weiteren Leben."

Vorsichtig öffnete Gänschen die Türzur Hütte, damit Balu sie nicht für eins der Wesen hielt undversehentlich angriff, und kniete sich neben ihn.

„Aufwachen", sagte sie leise. „Dubist dran mit Wache halten und ich muss schlafen. Vielleicht hast dusogar Glück und der Fuchs kommt zurück."

„Welcher Fuchs?", murmelte Balu undsetzte sich mühsam auf.

Es war eindeutig, dass er absolut nichtausgeschlafen war, aber der Kaffee musste bis zur Morgendämmerungwarten.

„Ach, nicht so wichtig", sagteGänschen. „Ich hatte nur ein bisschen tierische Gesellschaft. Gehtes oder soll ich in fünf Minuten noch mal wiederkommen?"

Balu schüttelte nur den Kopf.

„Schon gut, ich bin sofort wach. Dumusst morgen ausgeschlafen sein und wir sollten die Pferde nicht zulange ohne Beobachtung lassen. Schlaf schön."

Er stand auf, tätschelte Gänschenunbeholfen den Kopf und ging nach draußen.

Sobald die Tür hinter ihm ins Schlossgefallen war, kuschelte Gänschen sich unter die noch warme Decke,versuchte, nicht an Lilli, Kilian und Fabian zu denken und zuschlafen.

Doch obwohl sie hundemüde war, wollteder Schlaf sich nicht einstellen. Erst, als sie hörte, wie Balu denFuchs begrüßte, wurde sie ruhig genug und schlief mit einem kleinenLächeln auf den Lippen ein.


Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now