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„Nichts da, keine Ausnahmen. Nicht mal für dich, Gänschen", grinste Balu. „Die Kinder wären zu Recht enttäuscht, wenn ich dir das jetzt schon verraten würde."
„Schon gut, ich verstehe schon. Trotzdem bin ich neugierig."
Es war furchtbar, so durch die Dunkelheit zu reiten, durch eine wahre Geisterstadt. Als noch alles normal gewesen war, war Gänschen nie in dieser Gegend gewesen, sie kannte sich hier nicht aus, was ihr jetzt unglaublich zu schaffen machte.
„Was meinst du, wie werden die Brotkrumen aussehen, die sie uns hinwerfen?", fragte sie Balu. „Ich meine, es ist stockdunkel und alles, was Licht erzeugt, lockt die Dinger an."
„Wir könnten uns irgendwas suchen, wo wir die Nacht verbringen", schlug Balu vor. „Die Pferde unterstellen, auf das Tageslicht warten. Die anderen kommen schon mal ein paar Stunden ohne uns aus. Und wenn wir wieder bei ihnen sind, können wir ihnen erzählen, dass wir den besten Sex unsere Lebens hatten."
„Willst du jemanden eifersüchtig machen?", fragte Gänschen.
„Wie kommst du denn auf die Idee?", fragte Balu und zwinkerte ihr zu. „Aber im Ernst, vielleicht sollten wir uns wirklich ein Haus suchen. Wenn diese Bundeswehranlage nicht überrannt wurde, sind sie dort sicher und werden auch erst mal dort bleiben. Sie laufen uns nicht weg."
„Das stimmt", gab Gänschen zu und seufzte. „Von mir aus. Obwohl ich irgendwie das Gefühl habe, dass diese Dinger uns wieder einkreisen werden. Das war schon echt gruselig."
„War es", stimmte Balu zu. „Aber ich fürchte, wir werden nie herausfinden, was sie dazu getrieben hat. Vergiss nicht, wir sind die Normalos, keine Wissenschaftler. Wir können keine Untersuchungen anstellen ... und ob es jemals Forschungsergebnisse zu dem Gehirn der Dinger geben wird – die dann auch noch veröffentlicht werden – ist mehr als fraglich. Wir müssen uns einfach mit unserem Unwissen und den gegebenen Tatsachen abfinden und sollten nicht zu viel hinterfragen. Nichts ist schlimmer als Fragen, auf die man nie eine Antwort erhalten wird."
„Auch wieder wahr. Na gut. Ich werds versuchen. Suchen wir uns was für den Rest der Nacht."
Es dauerte nicht lange, bis Balu und Gänschen fündig wurden.
Sie banden die Pferde an, prüften das Haus und beschlossen, ausnahmsweise keine Wache aufzustellen. Beide brauchten ihren Schlaf und waren müde. Der nächste Tag würde anstrengend genug werden, sie mussten alle Kraft tanken, die sie kriegen konnten.
„Weißt du, was mich wundert?", fragte Gänschen, als sie und Balu nebeneinander im Bett lagen. „Dass ich es bisher geschafft habe, mich nie zu fragen, wem diese Wohnungen, Häuser und Betten wohl gehört haben mochten, in denen wir die ganze Zeit schlafen. Ich dachte, sowas würde viel schwieriger werden ... vor allem, da der Ausbruch, oder was auch immer es war, noch nicht so lange her ist."
„Du tust, was du tun musst", meinte Balu. „Vermutlich weißt du, dass es keinen Sinn hat, wenn du darüber nachdenkst, weil du es ohnehin nicht ändern kannst."
„Vielleicht. Aber irgendwie ... kann ich mir nicht vorstellen, dass es richtig ist. Ich weiß, dass die Leute tot sind oder weg oder ... keine Ahnung. Ich hab einfach das Gefühl, dass ich mehr empfinden sollte."
„Du solltest dir deswegen keine Vorwürfe machen", meinte er. „Es ist, wie es ist. Wir sind die Überlebenden. Wir profitieren nun mal von dem, was die hinterlassen haben, die tot sind. Es ist überall so, die Natur hat es so vorgesehen. Wir müssen es nicht gut finden, aber wir können dankbar dafür sein. Zumindest sehe ich es so. Vielleicht bin ich auch einfach nur abgestumpfter als du, ich weiß es nicht."
„Bist du nicht", widersprach sie. „Nur rationaler als ich."
Gänschen rollte sich auf die Seite und legte einen Arm über Balus Brust.
„Oder hast du was dagegen?", fragte sie. Ihr fiel auf, dass sie das bei Kilian niemals getan hätte. Wäre er hier gewesen, sie hätten vermutlich stumm nebeneinander gelegen und an die Decke gestarrt.
„Ich? Bestimmt nicht", erwiderte Balu. „Ich frage mich nur gerade, wieso du mit Kilian solche Probleme zu haben scheinst. Euch habe ich noch nie so gesehen ... oder habe ich einfach nicht darauf geachtet?"
„Nein, du hast schon Recht. Keine Ahnung." Sie seufzte. „Wollen wir wirklich über sowas reden?"
„Warum nicht, wir haben doch nichts Besseres zu tun. Und nur, weil wir uns mitten im Weltuntergang befinden, bedeutet das doch nicht, dass die ganzen Themen von vor der Sache uninteressant werden, oder?"
„Ich meine ja nur ... das letzte Mal ging es doch nicht so gut aus. Als du meintest, dass du bisexuell bist und Kilian dir gefällt ... dein Freund ..."
Balu schwieg.
„Tut mir leid", murmelte Gänschen. „Ich wollte nicht ..."
„Ist schon gut. Ich hatte es verdrängt, ich hätte nicht davon anfangen sollen. Eigentlich wollte ich dich nur ein wenig ärgern, weil es mit dir und Kilian so offensichtlich ist."
„Ist es das?", fragte Gänschen und seufzte. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Du weißt doch, Extremsituationen ... vermutlich brauche ich einfach Ruhe, um darüber nachzudenken. Und die haben wir nicht. Und nein, jetzt auch nicht. Immer wachsam und so."
Sie drehte sich wieder auf den Rücken.
„Jetzt, wo Lilli in Sicherheit ist ... vielleicht wäre es besser, alleine weiterzuziehen. Gruppen bedeuten Probleme, und sei es nur zwischenmenschlicher Natur. Gut möglich, dass man alleine besser dran ist."
„Sowas will ich gar nicht von dir hören", erwiderte Balu und zog seine Freundin wieder an sich. „Schlag es dir aus dem Kopf. Was sollen wir denn ohne dich machen? Kilian, Finn, Leo, Stella und ich? Lilli hat auch nicht den weiten Weg auf sich genommen, nur, damit du jetzt wieder abhaust. Ja, sie ist bei Florian gut aufgehoben, aber das ersetzt doch nichts. Und alleine wirst du wahnsinnig dort draußen. Nichts da, Gänschen. Und ja, ich bevormunde dich jetzt. Wenn du verschwinden willst, dann nur über meine Leiche. Und ich hoffe doch, dass du mich lieb genug hast, um mir das nicht anzutun."
„Habe ich", versprach Gänschen. „Schon gut. Entschuldige meine komische Stimmung, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Am besten, ich schlafe eine Runde und morgen sieht alles wieder ganz anders aus. Gute Nacht, Balu. Schlaf gut."
„Du auch, Gänschen. Träum schön."

Wecke nicht die Toten: Band 1Where stories live. Discover now