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Doch Stella schüttelte den Kopf.
„Ich brauche nicht so viel", sagte sie. „Du musstest vorhin Leo suchen, das war bestimmt anstrengend. Außerdem kannst du mich nicht tragen, wenn du zu wenig isst. Da werde ich lieber getragen."
Und um ihre Worte zu unterstreichen kuschelte sich das Mädchen an Kilians Brust und war kurz darauf eingeschlafen.
„Da scheint dich aber jemand gern zu haben", schmunzelte Balu. „Ich denke, das ist das Zeichen, ab ins Bett mit euch. Fabian und ich machen die erste Wache."
„Alles klar", sagte Leo und streckte sich, bevor sie ihren männlichen Namensvetter ansah. „Und wir beide müssen uns dringend was überlegen, bevor es zu einem totalen Namenschaos kommt. Hast du vielleicht einen zweiten Vornamen oder sollen wir dich immer Leo Zwei nennen?"
Er sah sie nur finster an, offensichtlich war er nicht für Späße dieser Art aufgelegt.
Leo seufzte und machte es sich dann so bequem wie möglich. Irgendwie war niemand auf die Idee gekommen, die beiden Jungs zu fragen, ob sie für die Nacht ein Bett benutzen durften, aber das war ihr gerade nur recht. Selbst, wenn sie die Wahl gehabt hätte, hätte sie ihre neue, kleine Familie nicht allein gelassen.
„Einen Arm hätte ich noch frei", sagte Kilian leise, um Stella nicht zu wecken. „Also, wenn du magst ... dagegen habe ich bestimmt nichts. Und falls ich wieder die fixe Idee haben sollte, abzuhauen, würdest du es sofort merken."
„Das ist Erpressung", lächelte Leo, folgte aber der Aufforderung und machte es sich an Kilians Seite bequem. „Danke."
„Gerne", erwiderte er. „Schlaf gut. Und ... träum schön, Leo."
„Du auch", erwiderte sie und schloss die Augen – bevor sie jemand in die Seite pikste.
„Dürfen wir zu euch kommen?", fragte Finn schüchtern. „Wir gehören doch jetzt zu euch, oder?"
„Aber klar", sagte Leo. „Komm her. Aber dann wird wirklich geschlafen, Kilian und ich müssen schließlich noch Wache halten."
Finn schwieg gehorsam, rollte sich zwischen seinem Bruder und Leo zusammen und war eingeschlafen.
„Scheint, als hätten wir ein paar Beziehungsschritte übersprungen", scherzte Kilian, doch Leo ging überhaupt nicht darauf ein.
Plötzlich fühlte sie sich gar nicht mehr so wohl zwischen ihm und Finn.
„Gute Nacht", sagte sie nur und drehte sich von ihm weg.
Kilian bereute sofort, was er gesagt hatte, obwohl es natürlich nur ein Scherz gewesen war.
„Tut mir leid", murmelte er. „Das war nur Spaß."
„Ich weiß nicht, was schlimmer ist", erwiderte Leo leise, und das stimmte auch. In ihrem Kopf hatte Kilians Bemerkung ein riesiges Chaos verursacht, dass sie erst einmal ordnen musste.
Sie dachte an das, worüber sie und Balu gesprochen hatten. Beziehungen waren gerade absolut nicht zu gebrauchen und viel zu kompliziert. Darum konnten sie sich kümmern, wenn sie in Sicherheit waren, aber nicht früher.
Und überhaupt, wie stand sie eigentlich zu Kilian? Ja, sie mochte ihn, aber konnte da wirklich mehr sein? Oder lag es nur an der Extremsituation ... oder daran, dass es keine anderen verfügbaren Männer mehr gab? Gut, da war noch Fabian, aber ...
Kilian biss sich auf die Zunge, damit er nicht nachfragen konnte, was diese Bemerkung bedeutete. Fürs Erste hatte er Leo genug gegen sich aufgebracht, er wollte nicht riskieren, dass es noch schlimmer wurde. Vielleicht konnte er am nächsten Morgen oder während ihrer Wache etwas in Erfahrung bringen ... falls sie dann überhaupt noch mit ihm redete.
Kilian legte sich ein wenig gemütlicher hin und schloss die Augen.
Erst, als Leo seine gleichmäßigen Atemzüge hörte, entspannte sie sich und schlief selbst ein.
Als Balu sie zu ihrer Wache weckte, fühlte sie sich überhaupt nicht ausgeruht, aber Pflicht war Pflicht. Die anderen verließen sich auf sie, egal, wie müde sie war.
Leo, der ebenfalls aufgewacht war, bemerkte, wie sehr sie sich abmühte. Er konnte sich denken, wieso ihr Schlaf nicht so erholsam gewesen war wie er hätte sein sollen, aber er behielt es für sich.
„Bleib liegen", sagte er. „Ich kann auch Wache halten. Finn lässt dich sowieso nicht gehen."
Das stimmte immerhin. Sein kleiner Bruder hatte im Schlaf die Arme um Leo gelegt und weigerte sich, sein neues Kuscheltier loszulassen.
Leo sah den Teenager an, ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, einem halben Kind ihre Schicht aufzudrücken. Aber bevor sie etwas sagen konnte, war er schon aufgestanden und hatte sich zu Kilian gesellt, der schweigend seinen Posten bezogen hatte.

Wecke nicht die Toten: Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt