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Was ich noch so an meiner Schule hasste? Die Logik beim Sportunterricht. Statt das wir inzwischen unsere Halle verwendeten, durften wir zwei Tage später raus zum Platz, weil doch noch ein wenig Sonne durch die dünnen Wolken schien und auch der blaue Himmel zu erkennen war. Jedoch änderte das nicht viel an den Temperaturen. Es war Ende September, wer kam auf diesen Scheiß?! Leider galt meine Befreiung nicht mehr. Sonst wäre ich so was von auf die Bank gegangen.

Frustriert stand ich mit den anderen am Rand der Wiese, während das Footballteam hinter uns lauthals ihr Training begonnen hatte. Vielleicht sollte ich mir einen Arm brechen, dann wäre ich schön raus aus Sport.
„Ach, Heather." Eine Blondine namens Kelly blickte links von mir in meine Augen, eine die ich sehr wenig leiden konnte, genauso wenig wie ihre Freundinnen daneben, „Mit dem Pferdeschwanz kann man ja endlich dein Gesicht sehen." Die Freundesgruppe kicherte, während ich ihr nur ein falsches gedrücktes Lächeln präsentieren konnte und die Arme verschränkt hielt.
„Und wie ich sehe wählst du immer noch Kindergröße bei deiner Sportuniform aus."

Das Lachen erstarb und sie sah auf ihren Körper hinab. Ich hatte tatsächlich Angst, dass ihr gleich die Brüste aus dem weißen Shirt hinaussprangen. Dann wendeten sie sich einfach ab und blickten wieder zum Lehrer, der uns erklärte, was heute wieder anstand.
Ich hasste Kelly mit am meisten von allen. Erst letztens gewann sie Spaß darin ein Bild einer molligen Mitschülerin in der Schule aufzuhängen und darunter ‚BIG QUEEN' zu schreiben. Natürlich konnte man nicht herausfinden, von wem das kam, aber so gut wie jeder wusste doch, dass es Kelly sein musste. Ihr dauerhaftes Grinsen verriet sie und dieses Mädchen – Gabbie – war doch ihr liebstes Mobbingopfer. Man sollte es ihr heimzahlen.

Ein Seitenstoß rechts von mir riss mich aus den Gedanken. Verwundert blickte ich auf und entschränkte die Arme, als ich Jennifer dastehen sah. Ihre hellbraunen Augen waren direkt an meine grünen geheftet. Natürlich sah sie auch jetzt wunderschön aus. Und mit dem Shirt konnte man ihre trainierte Figur erkennen. „Cooler Spruch." flüsterte sie, „Jedoch solltest du aufpassen, mit wem du dich da anlegst."
Augen verdrehend sah ich wieder voraus. „Mir doch egal, was für einen Kindergarten sie dadurch veranstalten will."
„Naja, dir ist anscheinend alles egal." murmelte sie unüberzeugt und als ich wieder zu ihr sah, war ihr ernstes Gesicht wieder nach vorne gerichtet. Was sollte das jetzt heißen? Natürlich war mir alles egal. Wieso sollte ich meine Nerven an Kleinkram verschwenden? Oder gar an irgendetwas. Es machte keinen Sinn. Aber neben ihrer groben Art, überzeugte Jennifer eh nicht viel. Sie war nicht umsonst so gut mit Eric befreundet. Gott, an den wollte ich nun gar nicht erinnert werden.

Zwar wurde ich für die restliche Stunde in Ruhe gelassen, aber konnte den Blick nie vom Footballspiel wenden. So, wie wahrscheinlich die meisten Mädchen in meinem Kurs. Bei einer Sache unter den ganzen sinnlosen Gesprächen meiner Mitschüler konnte ich bei einer irgendwie zustimmen: Das Footballteam war ganz schön heiß. Jedoch hatte ich besseres zu tun, als dauerhaft irgendwelchen Jungs hinterher zu sabbern. Alleine nächste Woche kamen einige Tests auf. Und weil die Zeit doch so viel Spaß daran hatte, schnell zu vergehen, standen bald auch die ganzen Klausuren an. Große Klasse.


Das Wochenende war wie ein Segen für mich, jedoch konnte ich nicht aufhören, über die Sache mit der gefälschten ID nachzudenken. Ich zog es so weit in die Länge, wie nur möglich, dabei war Donnerstag der Endtag. Und Eric sparte sich nicht seine kostbare Diebeszeit, um mich mit seinen Nachrichten daran zu erinnern. Also stieg mir der Stress den Hals immer höher.
Was ich dabei traurigerweise noch bemerkte, war, dass es sich ungewohnt anfühlte von jemand anderes eine Nachricht zu bekommen, als meiner Familie. Selbst mein kleiner Bruder schrieb mir nicht so viel, wie Erics Mahnungen vorkamen.

Ich entschied, am Donnerstag nicht gleich nach der Schule zu dem Lottogeschäft zu gehen. Meine Eltern sollten sowieso nicht Zuhause sein, um zu fragen, wo ich nach der Schule noch hingehen wollte, weshalb es deutlich angenehmer wäre.

„So: Wann geht's los?" bekam ich innerhalb des Unterrichts die Nachricht und verdrehte stumm die Augen. Heute schwänzte er die Schule nicht, dafür beschäftigte er sich wohl mit etwas besserem als Unterricht.
„Ich gehe am späten Nachmittag. Alleine."

Darauf kam keine Antwort mehr. Wie konnte ich nochmal denken, dass Eric ein chilliger Dude war?

Genervt ließ ich meine Sachen beim Esstisch fallen, nachdem ich endlich raus aus der Schule konnte. Eric hatte seit der letzten Nachricht nichts mehr geschrieben. Wahrscheinlich wartete er nun nur noch meine Antwort ab. Aber zu der musste ich erst einmal kommen.
Frustriert schlürfte ich zur Küche und holte mir ein verpacktes Sandwich raus. Er hatte mir schon versichert, dass wenn der Typ nein sagt, er schon einen Weg finden wird ihn dazu zu bringen, weshalb ich nicht einmal lügen konnte. Ich konnte nur hoffen, dass alles rund laufen würde.
In dem Moment viel die Eingangstür ins Schloss und ich sah Derek, meinen 14 jährigen Bruder, dastehen, der scheinbar genauso viel Motivation vererbt bekommen hatte, wie ich, denn seine braun-grünen Augen sahen mich müde an, während er den Rucksack in einer Hand hielt. „Was hast du da?" brummte er und ließ den Rucksack genauso achtlos auf den Boden fallen, wie ich vorhin, um an mir vorbei zum Kühlschrank zu gehen.
„Sandwich." zuckte ich die Schultern. Mal hoffen, es war nicht seines. Sonst brach wieder die Hölle aus. Doch er meckerte nicht, sondern nahm sich einfach das andere Stück heraus und ging mampfend wieder an mir vorbei.
„Heather?" fragte er während er seinen Rucksack kraftlos hob, bevor er sich zu mir drehte.
„Hm?"
„Kannst du mir 'nen 10er leihen?"
„Bitte was?" kaute ich nicht zu Ende und starrte ihn entgeistert an.
„Ich gehe mit Freunden raus und wir wollen uns Snacks besorgen." gab er matt von sich. Mit den Jahren hatte er es ein ernstes geschafft, ein richtiges Poker-Face zu entwickeln.

„Bei dem miesen Wetter? Heute wird keine Sonne mehr scheinen."

Er zuckt nur die Schultern, ohne den strammen Blick von mir zu nehmen. Er wollte mich hypnotisieren. Das sah ich doch genau. Leider funktionierte es manchmal tatsächlich bei mir, weshalb mir mein Bruder manchmal Angst machte.
„Ihr hängt irgendwo in einer Bude ab, stimmt's?"
Ein Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht, was mich die Augen rollen ließ. Abwendend schmiss ich die Verpackung meines Sandwiches weg. „Mein Portemonnaie liegt vorne im Rucksack. Aber keinen Alkohol!" wusch ich die Hände ab.
Es war nur ein glückliches Danke zu hören und wie er in Rekordzeit das Geld entnahm. „Und keine Sorge. Ich bin nicht wie du und betrinke mich."
Geschockt drehte ich mich langsam zu ihm, doch dann war er schon lachend weggegangen. Er hielt es mir immer noch unter die Nase! Nur weil ich mich vor wenigen Monaten Nachts aus dem Haus geschlichen hatte, um an meinem Stammort ein wenig zu trinken. Es war nämlich keine amüsante Nacht für mich. Und obwohl ich leise war und jeder scheinbar schlief, wurde ich von Derek überrascht, der müde aus der Küche kam und natürlich bemerkte, dass seine Schwester ein wenig das Gleichgewicht nicht im Griff hatte. Der Scheißer hatte mich für's Mund halten um 30 Doller bestochen.

Und nun durfte ich in die Innenstadt fahren, weil ein anderer Scheißer nun genau das gleiche mit mir abzog.

Cold WinterWhere stories live. Discover now