LVI

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Vollkommen überfordert öffnete ich die Eingangstür zu meinem Zuhause und wusste nicht, wie ich mich zu bewegen hatte, ohne das Brennen meiner Haut anzufechern. Der Abend mit Eric war einfach nur...eigenartig. Aber schön.
"Oh, da bist du ja endlich!" kam es plötzlich den Flur herunter und ich blickte zu meiner besorgten Mutter auf, bei der einige Furchen auf der Stirn lagen.
Stutzig beobachtete ich, wie sie vor mir stehen blieb und die Fäuste in die Hüften stemmte.
"Wo warst du?? Ich hatte dir mehrmals geschrieben."

Als hätte sie in einer fremden Sprache geredet, starrte ich sie noch einen Moment an, bevor ich allmählich zurück zum Boden der Tatsachen kam. "Ich..war mit Freunden unterwegs."
Sie hob eine Braue und sah wirklich überrascht aus. Ihre Stubenhocker Tochter hatte Freunde. Oder eher gesagt einen.
Diese Tatsache ließ sie einen Moment stumm dastehen, bevor sie deutlich ruhiger fortfuhr und nun eher verzweifelt aussah. "Das ist schön zu hören...Trotzdem wäre es schön, wenn du erreichbar bleibst und mir im voraus Bescheid gibst, Heather.."
Ich atmete tief durch bevor ich müde nickte. Motorrad fahren konnte einem echt Kraft kosten. "Okay."

Ich setzte schon zum gehen an, als Mom noch einen Schritt näher trat - die Wut auf einmal vollkommen vergessen. "Mit wem warst du denn unterwegs?" Die Neugier in ihren Augen war deutlich zu erkennen, welche mich jedoch dichtmachen ließ. Ich hasste es anderen persönliche Dinge zu erzählen. Selbst meiner Mom. Vor allem, wenn ich nicht wollte, dass Menschen die Beziehung zu mir und Eric kannten. Doch es sollte schlimmer kommen, als sie aufgeregt fragte: "War es dieser Eric von letztens? Seid ihr zusammen?"
Ich grummelte genervt und spannte mich an.
"Du solltest ihn mal zum Essen einladen. Er kam mir wirklich charmant rüber."
Ich hätte lachen können. Beinahe. "Nein. Gute Nacht, Mom." brummte ich nur und stieg die Treppen hoch, damit sie nicht noch mehr peinliche Fragen stellen konnte.


Mit mulmigen Gefühl betrat ich mein Zimmer und machte mir nicht einmal die Mühe, die Lichter anzuschalten, sondern ließ mich schnurstracks auf mein Bett fallen.
Kaputt legte ich mich auf den Rücken und ließ den Tag Revue passieren.
Es war, als wären Erics Hände immer noch an mir, was mich unwohl winden ließ. "Nein, das darf nicht sein." flüsterte ich im Dunkeln zu mir selbst, bevor ich erschrocken die Luft anhielt.
Meine Gedanken mussten einer anderen Person gehören. Ich konnte Eric niemals attraktiv finden. Niemals! Das waren die Gedanken einer Durchgedrehten! Oder eher gesagt, einer anderen Durchgedrehten.

Um diesen fremden Gedanken zu entfliehen, richtete ich mich blitzartig auf und fischte das Handy in Rekordzeit aus meiner Jacke. Vielleicht konnte mich das Internet ausnahmsweise mal ablenken.
Sobald ich den Display erleuchtete, konnte ich all die ungelesenen Nachrichten meiner Mutter erkennen und fing an sie nervös zu löschen, bis eine besondere Nachricht vor meinen Finger flog und ich inne hielt. Sie war von Brad.
Meine Augen wurden riesig, während ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Wie konnte ich mich nur so von Eric ablenken lassen?!
"Okay, da du mich anscheinend nur außerhalb des Schulgebiets leiden kannst, lade ich dich zum Airsoft ein. (Keine Sorge. Dort ist niemand von unserer Schule bei) Wäre das etwas für dich?"

Ich glaubte, ich hätte kotzen können. Gehörte diese Nummer tatsächlich Brad? Ich hätte niemals erwartet, dass er so zielstrebig bleiben und unbedingt etwas mit mir unternehmen wollen würde. Und dann sowas wie Airsoft? War das nicht sowas ähnliches wie Paintball? Mir schwirrten jetzt schon die Gedanken.
Ein frustrierter Laut entkam meiner Kehle bevor ich mich wieder auf eine Antwort konzentrierte. Eigentlich war das gar nicht mein Sport. Generell war Sport nicht meins. Und doch wagte ich es nicht um etwas anderes zu bitten und sagte einfach zu. Ob er schon mal ein Mädchen zu sowas eingeladen hatte? Mir kam es nämlich nicht vor, als wären Brads Freundinnen die Art von Mädchen, die ihre Fake-Nägel und Make-up für sowas riskiert hätten.
Toll. Jetzt wurde mir wieder von meinen Gedanken übel. Verzweifelt ging ich mir durch die Haare und schob die Bilder seiner vorigen Beziehungen beiseite.
Es passierte einfach zu viel. Viel zu viel. Mir würde die Birne bald durchbrennen.


Ich konnte das Wochenende kaum stillhalten, was ich keines Wegs verstehen konnte. Selbst jetzt, wo ich an einem Sonntag in das Gebäude trat, wo Brad sich treffen wollte, hörte das nervöse Kribbeln nicht auf.
So oft, wie ich um mich blickte, hätte jeder misstrauisch werden können, aber ich sah Brad nirgendwo, weshalb ich mit kleinen Schritten zum Tresen ging.
Ein älterer Mann saß dort am Computer und als ich ihn nach Brad Heth fragte, lächelte er freundlich auf und meinte, dass dieser schon in der Halle wartete. "Du bist also das Mädchen, das er erwähnt hatte." meinte er noch und musterte mich neugierig.
Peinlich berührt wurden meine Augen groß und ich umklammerte meine Sporttasche noch fester. Er hatte mich erwähnt?!
Ich brachte nur ein gepresstes Lächeln hervor, bevor ich schon fast fliehend durch den Gang ging, der mir gezeigt wurde.

Dabei passierte ich verschiedene Plastikwaffen an den Wänden, die ganz schön realistisch aussahen. Spätestens jetzt verwandelte sich meine Nervösität in Übelkeit und ich hoffte, das verursachte nicht, dass unser Treffen mit mir über dem Klo enden würde.
Schwer schluckend orderte ich mich stumm an, nicht so nervig und schwach zu sein. Das hier war nichts großes. Brad suchte nur nach Spaß. Für ihn war ich sicherlich nur eine Neuheit mit der er seine Zeit vertreiben wollte, bis ich zu langweilig werden und er sich schon die Nächste suchen würde.
Ganz ruhig bleiben, Heather. Bleib tought. Denn nur so können dich die Menschen nie wieder verletzen. Nicht so, wie damals.

Mit neu errichteten Mauern trat ich durch eine Glastür in die besagte Halle, wo mich sofort laut gerufene Anweisungen erwarteten.
Kurz stockend blieb ich stehen und suchte die Halle verzweifelt ab.
Sie war deutlich größer, als die Sporthalle in meiner Schule. Die Decke musste sogar hier und da von steinernen Säulen gehalten werden und alles war mit bunten Hindernissen oder hölzernen Barikaden vollgestellt.
Die Rufe kamen von zwei verschiedenen Gruppen, die verteilt spielten, und ich wusste, dass das die Mitglieder der Vereine waren, weil schon beim Eingang stand, dass heute nur die Leute Eintritt hatten, die dem Verein angehörten. Und Brad war anscheinend einer von ihnen. Jedenfalls hatte er mir das beim verabreden geschrieben.
Meine Sporttasche fest umgriffen hielt ich mich an der Wand, um den Teams näher zu kommen, welches jeweils 10 Personen hatte.
Brad erkannte ich erst wenige Minuten später mit einer Waffe in der Hand, die mich an einen Revolver erinnerte.
Er trug ein schwarzes Shirt gefolgt von einer dunkelgrauen Jogginghose und trug, so wie jeder eine Weste, die wohl vor den Schüssen schützen sollte, als auch eine Schutzbrille. Na das würde mal ein Tag werden... So, wie ich mich kannte, werde ich einen Schuss direkt in den Schädel abbekommen oder mich selbst treffen.


Als Brad sich nach einer Trainingseinheit suchend im Kreis drehte, erblickte er mich und erstarrte, bevor er anfing zu grinsen. Verhalten winkte ich ihm zu, während er zu mir joggte, doch ließ es schnell sein, weil ich mich dabei einfach bescheuert fühlte. Mit einem Räuspern wartete ich, bis er vor mir stand und schaffte es relativ ruhig rüberzukommen, obwohl mein Innerstes kurz vorm Explodieren war.
Er. Stand. Direkt. Vor. Mir. Außerhalb der Schule und das zum zweiten Mal.
"Schön, dass du es geschafft hast!" meinte er fröhlich und schob die Schutzbrille hoch, die leichte Abdrücke auf seiner Haut hinterlassen hatte. Doch selbst mit ihnen sah er immer noch unglaublich gut aus. "Wie geht's?"
Erneut musste ich mich räuspern, um weiterhin bei der Rolle zu bleiben. "Der Lage entsprechend gut." und versuchte leicht zu lächeln. Bevor ich hier ankam musste ich mehrere Kippen rauchen, um halbwegs normal ankommen zu können.
Mit verzogenen Brauen weichte das Lächeln einem besorgtem Ausdruck. "Warum der Lage entsprechend?"
Ich biss mir auf die Untelippe und zog den Blick zum Betonboden. Wieso sollte ich die Wahrheit verstecken? Ich lügte ihn jetzt schon genug an. "Naja...Ich hatte sowas noch nie gemacht. Da habe ich Angst, dich vor deinem Verein zu blamieren."

Unsicher blickte ich auf, wo ich geradeso miterlebte, wie sein besorgter Ausdruck verschwand und er gar schon erleichtert wirkte. "Ach so." kicherte er, was tausend Schmetterlinge in meinem Brustkorb bewegte, "Mach dir keine Gedanken darum. Ich selbst komme nicht oft her und bin nur ein Teil des Vereins, weil ich als Kind mit den meisten Mitgliedern befreundet war. Und auch, weil mein Dad mit dem Trainer einen sehr guten Kontakt hatte. Sonst bin ich selbst nicht sonderlich gut beim Airsoft."
Dabei grinste er mich so strahlend an, als wäre soeben die Sonne aufgegangen und ich fühlte mich plötzlich so mikrig vor ihm, wie noch nie bei jemanden zuvor.

"Wenn du magst, kannst du dich umziehen gehen." kam er von seinen Gedanken zurück und deutete zur Wand hinter mich. "Wir haben schon ein wenig trainiert, aber werden definitiv noch mehrere Spiele spielen. Außerdem sind alle darauf gespannt, dich kennenzulernen."
Brad strahlte richtig, während ich nun jegliches Blut aus meinem Gesicht weichen spürte und schlucken musste, um meinen Fluchtinstikt zu verdrängen. Mir wäre es lieber gewesen, hätte er letzteres für sich behalten..

Cold WinterWhere stories live. Discover now