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Eins konnte ich sagen: Die Ersatzlehrerin für Mr Wolter, der ja nach Erics Aktion die Schule gewechselt hatte, machte es einem deutlich einfacher Geschichte zu lernen - auch wenn meine Gedanken schlichtweg nicht von Brad abgehen wollten.
Mrs Rodgers war gerade mal in ihren 30ern und hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Natürlich konnte es anstrengend werden, wenn ein blonder Honigkuchen die ganze Zeit nett und freundlich vor dir stand - vor allem für mich, die eher die ernste und grobe Art von Menschen bevorzugte - aber wenigstens wählte sie Schüler nicht einfach so aus, um ihnen Unbehagen zu bereiten, wie Wolter es tat.

Angestrengt versuchte ich mich auf den Stoff zu konzentrieren, der vorne erklärt wurde, doch es funktionierte schlichtweg nicht. Das einzige, was mir durch den Kopf gehen konnte war die Party mit Brad, welche diesen Samstag stattfand.
Das alles war einfach nur...unrealistisch und eigenartig. Ich wollte es nicht als Date bezeichnen und doch kam mir kein anderer passenderer Begriff dafür in den Sinn. Und wenn es wirklich eins sein sollte, dann wäre es wohl mein erstes. Genauso, wie es meine erste richtige Party werden würde, die ich besuchte. Klar, da gab es noch die mit Eric, aber Brad hatte mir versichert, dass diese keine langweilige Hausparty sein würde, in der nur Musik spielte. Bei dieser stand volles Programm an, weshalb ich mich wohl auch danach werde kleiden müssen. Und alleine das machte mir schon unheimlich zuschaffen.

Stöhnend gab ich es auf mit dem aufpassen und stützte die Stirn gegen meine Faust. Ich hatte diese ganzen Gefühle satt. Ich wollte wieder unbeschwert und emotionslos sein. Da war alles einfacher.
Auch wenn mir diese Emotionen frischen Wind ins Leben ruften.

Ein plötzliches Gefühl an meinem Schulterblatt riss mich aus meiner Verzweiflung und ich blickte verwirrt hinter mich.
Sofort begegnete ich Erics dunklen Augen zwei Tische weiter, bevor ich auf den Boden schaute. Tatsächlich lag dort die kleine Papierkugel mit der ich abgeworfen wurde und bekam Flashbacks zu der ersten Zeit, in der ich schon mal so einen Zettel von ihm bekommen hatte.
Ich schwörte bei Gott ich würde Eric umbringen, wenn er mir erneut einen gruseligen 'Liebesbrief' geschrieben hatte, als ich diesen aufhob, denn ich war immer noch von seinen gestrigen Worten angepisst.

Mit einem letzten bösen Blick zu ihm - der ihn natürlich kalt ließ - drehte ich mich wieder nach vorne und entfaltete das Kneul.


Ich habe das Gefühl unsere Anerston lügt immer mehr. Und ich würde diese gerne nach dem Unterricht am Stammplatz offenbart haben.


Im ersten Moment verwirrt krümmte ich das Gesicht angewidert und spürte meine Wut erneut aufkochen. Was war sein Problem? Und was sollte das überhaupt heißen?
Sofort zerknüllte ich den Zettel in der einen Hand und spürte seinen Blick brennend auf meinem Hinterkopf. Natürlich würde ich mich trotzdem darauf einlassen, aber ich konnte es mir nicht verkneifen, den Kopf ein wenig zur Seite zu richten - mit dem Blick aufmerksam zur sprechenden Mrs Rodgers - und mir geräuschlos einen Finger in den Mund zu schieben um so zu tun, als würde ich kotzen. Das sollte ihm wenigsten zeigen, was ich von seiner Nachricht hielt, ohne, dass ich seine Reaktion dazu ansehen musste.


Obwohl wir gemeinsam zur Raucherecke hätten gehen können, preschte Eric bei Beendigung des Unterrichts wortlos an mir vorbei und verschwand aus dem Raum. So kindisch.
Angepisst packte ich alles zusammen und schulterte meinen Rucksack, wobei ich einen Moment innehalten musste, als ich Jennifers Blick aus den vorderen Reihen an mir merkte.
Sie sagte nichts und machte auch keine Andeutungen zu einem gewünschten Selbstmordes meinerseits, sondern musterte mich nur nachdenklich. Bevor sie jedoch eine Chance zu etwas anderem bekommen konnte schüttelte ich grob den Kopf zu mir selbst und ging mit zugeschnürter Kehle an ihr vorbei. Vielleicht schneller, als nötig, aber ich wusste nicht, wie ich mich bei ihr verhalten sollte. Sie war vielleicht nicht die erste, die mir solche Worte an den Kopf geworfen hatte, aber das änderte bei weitem nicht die Abscheulichkeit dahinter.

Im Flur orderte ich mich dazu an sie einfach zu vergessen und mir zu erlauben über Erics Wunsch zum reden nachzudenken. Mal davon abgesehen, wie absurd er die Nachricht geschrieben hatte: Was meinte er mit dem lügen? Was soll ich bitte getan haben, dass er mir das vorwarf?
Und dann ließ er mich schmoren, indem ich alleine zum Platz lief, statt mit ihm.

Weil es ihm peinlich ist mit dir gesehen zu werden.

Beschäftigt ging ich durch die Mengen und hatte eigentlich das Bedürfnis mir Ohrstöpsel einzustecken, um alles einfach auszublenden. Doch leider dauert der Weg bis zum Stammplatz nicht so lange.
Was, wenn es um Brad ging? Schon letztens hatte er mitbekommen, dass ich mich heimlich mit ihm getroffen hatte. Wurden wir letztens wieder miteinander gesehen? Oder sprachen die Leute darüber uns gemeinsam im Flur sprechen gesehen zu haben? Unwahrscheinlich war es nicht.
Am liebsten würde ich alle anmaulen und sagen, dass sie uns gefälligst in Ruhe lassen sollten, doch bei Eric war es anders. Ich wusste, dass er mir nur klarmachen wollte, dass das mit Brad schlimm enden würde, doch selbst wenn: Es wäre nicht schlimm. Ich hatte endlich die Chance ein anderes Leben kennenzulernen und mein Interesse an Brad näher zu analysieren. Da wäre es mir das Wert. Ein Untergang mehr machte keinen Unterschied.
Jedoch glaubte ich, es Eric wenigsten erzählen zu müssen. Immerhin würde er sowieso davon erfahren, da wäre es besser, wenn er es zuerst von mir hörte. Immerhin waren wir Freunde und nach seinem eigentlich herzlosen Gespräch über Brad war ich es ihm irgendwie schuldig.
Außerdem würde ich irgendwann platzen, wenn ich nicht mit jemanden über all diese Gefühle sprechen würde, die mir so neu waren. Auch wenn Eric davon wohl eher wütend werden würde..

Cold WinterWhere stories live. Discover now