XXVI

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"Du suchst dir jetzt sofort einer meiner dezenten Ohrringe aus, Heather. Sonst zwinge ich dir beliebige auf, sodass du dich noch mehr zum Schwachmaten machst, als nötig." kam es sachte aus den rosé farbenen Lippen meiner Mutter, die selbst damit beschäftigt war, sich vor dem Spiegel vorsichtig Juwelen an die Ohrläppchen zu heften.
Sie drückte es aus, als würde sie über das Wetter sprechen, doch nach all den Jahren mit mir konnte ich die unterdrückte Wut dahinter raushören.
"Dann mache ich mich eben zum Affen. Und wenn schon!"

Ich trug so schon schwarze Nylonstrumpfhosen zu einem steifen knappen Rock und eine rosé farbene Bluse meiner Mutter, die einen gewagten Ausschnitt besaß. Das zu dem heutigen Familienessen zu tragen, war schlimm genug, aber auch noch Schmuck? "Die werden mich sowieso kritisieren. Das tun sie immer." maule ich neben ihr und betrachtete die Ansammlung an Ohrringen, die sie auf der Kommode im Flur verteilt hatte.
"Aber nur, weil du immer dasselbe trägst. Du machst nichts aus dir." sagte sie erheblich weicher. "Es ist doch nur für einen Abend. Morgen ist Freitag und somit Schule, weshalb wir auch nicht lange bleiben werden."
"Ich verstehe nur nicht wozu der Aufwand ist. Wir sehen sie sowieso selten. Da ist es mir doch egal, was sie von mir halten oder was ihnen nicht gefällt." brummte ich.

Mit den hellgrünen Dingern an ihren Ohren, die perfekt zu dem engen Kleid passten, drehte sie sich zu mir und gab mir einen Blick, als wäre ich kindisch, bevor sie tief durchatmete und mir ein schiefes Lächeln gab. "Genau deshalb musst du in der Zeit, wo ihr euch mal seht, gut in Erinnerung bleiben, damit sie sich jedes Mal auf's Neue auf dich freuen." täschelte sie mir die Schulter.
Wirklich weitergeholfen hatte es mir nicht, weshalb ich umso glücklicher war, als Dad nach ihr rief und sie unser Gespräch beenden musste. Ich hätte sowieso nur widersprochen.

Unmotiviert starrte ich auf ein paar Juwelen, die so klein und kühl erschienen, dass sie nicht zu auffällig wirkten. Dabei kam mir Brad wieder in den Sinn, der mir seit unserem Gespräch im Kopf spuckt.


Während draußen der Nebel sich breit machte gelangten wir zu dem Haus einer in Rente gegangenen Schriftstellerin, die nichts besseres zu tun hatte, als andere erfolgreiche Schriftsteller zu nerven und ihre alten Schriften anderen auf den Sinn zu drängen.
Ungeduldig wippte ich mit den Beinen, die unter solchen Temperaturen definitiv mehr bedeckt sein wollten, und lenkte meinen genervten Blick auf meinen Bruder, der für das seltene Zusammentreffen meiner verhassten Familie in einen dunkelblauen Sacko gezwenkt wurde und somit fast männlicher wirkte, als unser Vater, der wieder wie ein Nerd angezogen war. Jedoch ein herausgeputzter Nerd. Doch bevor ich es kommentieren konnte, wurde uns die weiße Tür geöffnet und wir standen meiner Oma gegenüber, die so schick angezogen war, wie es für eine so alte Frau nur möglich war. Mit ihr verglichen kamen mir die Ohrringe meiner Mutter, die neben den silbernen Ringen das einzige Schmuck an mir waren, mikrig vor. Sie trug nämlich mehrere Lagen an Halsketten und so große Klunker an den Ohren, dass ich schon befürchtete, sie würden ihren gebuckelten Gang nur noch mehr verstärken.

Ihre warme Krähenstimme begrüßte uns, bevor wir ihr alle mit einem Kuss auf die linke und dann auf die rechte Wange unseren Gruß ausschenkten. Und wirklich jeder von uns. Es war ein Brauch für sie, den wir nicht zu unterbrechen wagten, weil sie sonst noch zur Furie werden konnte.
Leider wich ihr arschkriecher Verhalten mit den Jahren einer groben Persönlichkeit, weshalb selbst ihre aufgesetzten Lächler -die sie nicht nur berühmten Stars in Interviews gegönnt hatte- immer seltener wurden. Da war mir ihr viel zu strenger miesepetrieger Ehemann schon fast lieber.

"Bereit dich zu blamieren, Prince Charming?" murmelte ich so leise, wie möglich, zu meinem Bruder, während wir hinter unseren Eltern den Flur entlang schliffen.
Ich musste in diesem Moment unbedingt meine Nerven beruhigen und das ging am besten, wenn ich sie anderen raubte.
Im genauso leisen Ton erwiderte er. "Dadurch, dass du hier bist, wird die Blamage sowieso nicht auf mich fallen." und versuchte die Lippen dabei kaum zu bewegen, während er voraus starrte.

Angepisst starrte ich ihn an, was er im Augenwinkel zu bemerken schien, denn er grinste wohlgetan auf.
Schwachmat.


"Ach Madison! Schön dich wiederzusehen." Es war Tante Gloria die meine Aufmerksamkeit auf sich brachte, während sie meine Mutter fest umarmte. Für andere würde es innig aussehen, aber jeder hier im Raum konnte die steife Haltung erkennen. Oder sie übersahen es absichtlich und ich war die einzige, die sich ihre Wut davon aufbringen ließ. Denn eines stand fest: Gloria hasste ich von allen am meisten. "Und die Kleinen sind auch hier! Wie ich euch vermisst habe!" löste sie sich abrupt und grob von meiner Mutter, um dieselbe Heuchlerei bei uns durchzuziehen.
Ihr Parfüm war wieder beißend, was mich den Atem anhalten ließ, bis sie sich endlich von mir löste. Man erkannte genau, wie sie sich in ihrem hellblau glitzernden Kleid äußerst nobel und besonders fühlte. Leider konnte es ihren versauten Charakter nicht verschönern, der nichts als Lügen kannte.
"Und wie ich sehe wirst du Erwachsen! Du siehst endlich einigermaßen schick aus!" grinste sie eine Nummer zu fett und legte die Hände großspurig aneinander.
Das magere Lächeln in meinem Gesicht gefror, während ich meinem Selbsthass diesmal nicht erlaubte hochzukommen, um Tante Gloria eine Genugtuung zu geben.

Mein über dem Lächeln hängenden tödlichen Blick ließ ich zu Mom huschen, die wenige Schritte hinter Gloria stand. Sofort hob sie den Zeigefinger und starrte mich mahnend nieder. Sie wusste genau, wie ich zu unserer Familie stand, aber für sie schluckte ich den bissigen Kommentar hinunter.
"Es ist ein besonderer Abend oder nicht?" brachte ich nur steif heraus und blickte wieder in die grauen Augen meiner Tante.
"Da hast du natürlich Recht. Es ist nur...untypisch. Aber meine Güte, Heather! Du bist richtig mager geworden!" sagte sie einen Tick zu laut, was kein Versehen sein konnte. "Ich meinte letztes Jahr vielleicht, dass du abnehmen solltest, aber so krass solltest du nicht auf mich hören."
Sie spielte.
Und das mit scharfen Klingen.
Aber sie waren bei Weitem nicht so scharf, wie meine.

Ich konnte den Funken an Neid und Genugtuung durch das Schlecht Machen von anderen genau in ihren Augen erkennen, die versuchten bemitleidend zu wirken. Diesen Charakterzug hatte sie defintiv von Oma geerbt. "Deine Mutter sollte unbedingt besser kochen. Sonst fällst du uns noch um! Du musst unbedingt von meinem Hackbraten essen, den ich mitgebracht habe! Der wird dich umhauen."

Natürlich nutzte sie die Gelegenheit mit ihren angeblichen Kochkünsten anzugeben, die ich jedoch Meilenweit nicht sehen konnte. Aber dass sie sich wieder wagte, meine Mutter schlecht zu machen, nur, weil ich nicht essen wollte, versetzte mir einen Schwerthieb in den Rücken.
"Und wie ich sehe hast du deine Lippen ein erneutes Mal aufspritzen lassen." entgenete ich es mit einem so süßen Lächeln, wie es mir nur möglich war.

Jetzt war sie an der Reihe, ihr so schon kaltes Lächeln gefrieren zu lassen und mich eine Genugtuung spüren zu lassen, die ich äußerlich nicht zeigte. Ich legte mich vielleicht gerne an, aber so törricht war ich nun auch nicht. Ich genoss in der Stille. Auch wenn ich theoretisch nichts zu verlieren hatte.

Schon zu diesem Zeitpunkt konnte ich sagen, dass mich niemand in diesem Raum vermissen würde. Nicht Grandma, nicht Grandpa und definitiv nicht Tante Gloria mit ihrer Familie.
Meine Eltern würden schon darüber hinwegkommen. Vor allem wusste ich das durch den verärgerten Blick, den sie mir in diesem Moment gaben.
Obwohl ich in Moms Augen erkennen konnte, dass sie mein Verhalten zu Gloria nicht so sehr verachtete, wie sie es zum Anschein machte. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es sein musste jemanden wie die zur Schwester zu haben.


Als Derek sich desinteressiert zu unserem 11 jährigen Cousin abwandte, vergaß ich die Anspannung im Raum und ließ auch Glorias eisige Blicke an mir herunterprasseln, als wäre sie nicht mehr anwesend.
Stumm beobachtete ich, wie sich Erleichterung in ihm breit machte, weil er jemanden in der Familie hatte, der halbwegs seinem Alter gleichte. Ein leichtes Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht und verursachte Andeutungen eines Grübchens, die mit dem Alter sicherlich ausgeprägter sein werden, während er belanglos über etwas anfing zu reden, dessen ich jedoch kein Ohr schenkte.
...
Derek könnte mich vermissen.
Aber nicht lange.
Ab einem gewissen Alter wird sein Leben aufregend genug sein, um mich in Vergessenheit wiegen zu können. Ich konnte jetzt schon sagen, dass er eine prächtige Jugend vor sich hatte. Eine weitaus bessere als meine.

Cold WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt