XI

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Ich hatte eigentlich wichtigeres zu tun, wie für die immer näher kommenden Klausuren zu lernen, aber dennoch verließ ich kaum das Bett und hörte nicht auf unter lauter Musik Dinge zu zeichnen, die mir in den Sinn kamen.
Doch heute wollte mir nicht einmal das aus meiner schlechten Laune helfen. Eric verursachte eine solche Wirkung auf mich, dass ich ihn am liebsten nie getroffen hätte.
Frustriert legte ich den Zeichenblock zur Seite und musste gegen eine innere Leere ankämpfen, die wieder drohte, mich zu überfallen.
Mein Verlangen nach Alkohol wuchs stetig und gefährlich.


Weil meine Mutter es am nächsten Morgen satt hatte, dass ich die Tage noch mehr in mich gekehrt war, als normalerweise, machte sie es sich zur Aufgabe, mich zu terrorisieren.
Mit strenger Stimme zog sie mich aus dem Bett, damit ich es nicht wieder wagte, zu spät zu kommen und zwang mich so viel zum gemeinsamen Frühstück zu essen, dass es schon mehr war, als ich die letzte Woche zu mir genommen hatte.
„Sieh doch, wie dünn du geworden bist!" meckert sie hinter meinem Stuhl, während sie meine vorderen Haare zurück steckt, „Du isst zu wenig, Heather."
„Ich esse genug." murmelte ich gereizt und schob den Teller überfüllt von mir, während mein Bruder das Spektakel unbehaglich beobachtete.

Sie seufzte nur frustriert und ließ den Rest meine Haare einfach offen. „Fertig?" motzte ich leise.
„Ja, wenigstens kann man jetzt dein Gesicht sehen. Ich kann nicht fassen, was ich da großgezogen habe." murmelte sie und ging zur Kaffeekanne, um sich etwas in die Thermotasse zu gießen.
Mir war bewusst, dass sie das nur sagte, weil sie mich liebte, aber dennoch zwickten mich ihre Worte. Mir war schon seit einiger Zeit klar geworden, dass ich zu einem Menschen mutiert war, der sein Leben trostlos und unerfüllt leben würde. Ich hatte größtenteils aufgegeben mir Ziele zu setzen, die ich am Ende nicht durchziehen würde.

Diesmal fuhr sie Derek und mich zur Schule. Zwar dauerte das länger, aber Dad musste früher raus und Derek hätte es niemals akzeptiert, dass ich zur Schule gefahren werde, während er den muffigen Schulbus nehmen musste. Ab nächstem Jahr würde er auf meine Schule hochgestuft werden und das freute mich keines Wegs. Er sah mich so schon als Niete an und wenn er erst sah, wie ich tatsächlich in der Schule unterwegs war, würde er so weit es geht Abstand zu mir nehmen, um sein versprechend gutes Image zu bewahren. Er war jetzt schon das Liebling mehrerer seiner Mitschüler und wenn er erst anfing, etwas aus dem zu machen, würde er sicherlich zu Brad Nummer zwei werden.
Diese Vorstellung rief einen Kotzreiz in mir auf. Und doch konnte ich das lungernde Kribbeln in meinem Bauch nicht ignorieren.


Klasse. Die heutige Fahrt mit meinem Bruder ließ mich nun nicht die Augen von Brad nehmen, während er in der Pause vor unserem Biounterricht mit den Schülerinnen sprach, die nicht aufhörten, ihn mit klimpernden Wimpern anzustarren, als wäre er eine Art Gott.
Natürlich bekam ich mit, wie er ihnen von seinem letzten Urlaub erzählte, indem er doch so männlich einen Rover durch den Matsch fuhr und gefährlichen Abhängen zwischen Bäumen durchfahren musste.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Derek irgendwann zu einer Person, wie ihm werden sollte. Ich hoffte, dass ich bis dahin noch unter den Lebenden sein würde. Dann würde ich ihn nämlich sowas von zusammenschlagen.
Andererseits könnte es ihm nicht Schaden einen so protzigen Rücken zu besitzen, wie Brad, der durch das dunkle Shirt schien. Damit könnte er sicherlich denen eine rüberhauen, die dauernd dachten, etwas besseres zu sein. Ich wette, er könnte es dann sogar mit Eric aufnehmen und ihm eine Lektion erteilen, wenn ich ihn darum bitten würde.
Und mit dem festen Blick, den er sich von Brads schönen Augen abschauen könnte, würde er jeden einschüchtern können. Dann würde ich jedem den Mittelfinger ins Gesicht strecken und aufhören mich vor allen zu verstecken, weil sie mir dann nichts anhaben könnten. Sie würden nicht einmal ein Wort äußern können, um mich zu stressen. Ich müsste nur Derek vor mich schieben.
Aber diese Vorstellung war unrealistisch. Derek würde kein so starkes Kinn tragen, wie Brad es im Moment tut. Er würde keines Wegs so selbstbewusst und stark auftreten, wie der Typ, den ich im Moment betrachtete.

Den ich im Moment betrachtete? Oh Gott. Mit heißem Gesicht hielt ich mir die Hand vor's Gesicht und schloss beschämt die Augen. Das konnte doch nicht schon wieder geschehen. Wieso muss Brad auch nur so eine anziehende Aura besitzen?
Schnell fing ich mich wieder und setzte darauf an, Brad diesmal nicht im Unterricht zu beobachten, während er nur zwei Tische weiter vorne links von mir saß. Komischerweise strengte sich der Athlet an, auch immer vorne zu sitzen, um dem Unterricht so gut es ging folgen zu können. Ein Makel, seines so verachtenswert perfekten Images.

Cold WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt