XXXVII

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Das war's also. Jennifer redete nicht mehr mit mir. Nicht mal ein schiefes Lächeln oder das Heben der Hand, wenn wir aneinander vorbei kamen. Und das nur wegen Eric? Hatte sie doch Angst vor ihm? Oder war ihr der Kontakt mit mir zu anstrengend?
Ich würde es niemals herausfinden und um ehrlich zu sein wollte ich es auch nicht wirklich. Es war Schade nicht mehr mit ihr zu reden, aber wenn ich bedachte, wie sehr sie mich ausquetschen wollte, bevor Eric ankam, versuchte ich es als ein gutes Ende zu betrachten. Sicherlich hätte sie mich noch mehr in die Enge getrieben, nachdem ich sie meine andere Seite hatte sehen lassen. Und sowas hasste ich.
Ich sollte Eric danken.

Teilnahmslos öffnete ich meinen Spind, der mit Nichts beklebt oder dekoriert war, wie bei meinen nervenden Mitschülern. Es stand lediglich ein schwarzer Schriftzug, den ich vor einem Jahr wütend reingekritzelt hatte, nachdem Kelly mich wieder mit ihren Kommentaren provoziert hatte.
Sluts die faster, than the average.
Während ich damals große Genugtuung gespürt hatte, die selbst bis heute schwach angehalten hatte, betrachtete ich es jetzt nur mit einem ausdruckslosem Gesicht.
Seit es klar war, dass Jennifer den Kontakt abgebrochen hatte und Brad mir doch nicht schrieb, fühlte ich mich wieder so leer, wie die Jahre zuvor und ich fragte mich, ob es je verschwinden würde. Dabei hatte ich schon im Kindesalter nicht viel gespürt. Ich wollte nie viel von Menschen. Alleine fühlte ich mich wohl.

Das zweiphasige Vibrieren meines Handys riss meinen Blick vom Spind.
"Heute steht Regy an." - Eric.
Keine Frage. Eine Feststellung. Ich fragte mich, was passieren würde, wenn ich Eric absagen würde, jedoch würde ich es jetzt nicht machen. Ich hatte nichts zu tun und wollte dieses leere Gefühl in mir irgendwie loswerden.
"Wann und wo?" erkundigte ich mich mit gerunzelter Stirn und schloss vorsichtig den Spind, als auch schon die Antwort kam.
"Nach dem dritten. Ich bin schon hier, weshalb du alleine fahren musst."

Aus den Wolken gefallen riss ich ein empörtes Gesicht. "Ich fahre doch nicht den ganzen Weg mit dem öffentlichen Verkehr!"
Damit war die Sache wohl auch schon gegessen. Ich würde keinen Umweg für diese Typen machen. Auch wenn Eric die einzige Person war, mit der ich freiwillig Zeit verbrachte. So unrealistisch sich das auch anfühlte. Aber seit dem Gespräch neben der Brücke hatte ich ein echtes Interesse an Eric und seinen Intentionen. Und an seinem Charakter. Ich hatte bisher keinen kennengelernt, der dasselbe, wie ich durchmachte, und Eric konnte diese Person sein.
Vielleicht brauchte ich nur mit mehr Menschen zu reden, um eine zu finden, aber das hatte zwei Haken.
Erstens: Ich hatte keine Lust auf Kontakte. Eric war lediglich...ein Sonderfall. Zweitens: Ich bezweifelte sehr, dass sich jemand hier finden würde, der ein Verständnis für meine Gefühle aufbringen konnte. Sonst wären alle nicht so herzlos zueinander.
Außerdem hätte es dann auch nicht den Fall vor drei Jahren gegeben, wo sich ein Mädchen das Leben genommen hatte. Helen. Sie war damals 16 und eher unscheinlich. Jedenfalls war das, was ich von ihren Schullkameraden damals zu hören bekommen hatte. Immehrin war ich neu hier. Davor redete niemand über sie. Danach jeder, bis es langweilig wurde.
Mit dem Blick nicht wirklich beim Spind fragte ich mich, ob es bei mir genauso sein würde.

                        Sie würden es nicht merken.

Das erneute Vibrieren holte mich zurück.
"Dann kann ich dir nur Meltrid anbieten." - Eric.
Sofort kam mir der emotionslose Ausdruck des Typens auf, der mich immer ansah, als wäre jeder nur eine Fruchtfliege in seinen Augen. Wären seine Augen nicht so strahlend blau, hätte ich seinen Blick als den Alles-Tötenden bezeichnet.
Ich tippte schon eine Nachricht an Eric zurück, in der ich klar machte, dass ich keines Falls mit diesem Typen fahren wollte, doch hielt inne.
Wenn ich dem absagte würde ich heute nur in meinem Zimmer hocken und mich von meinem zurzeit anhaltendem Gefühl auffressen lassen. Dann wüsste ich schnell womit der Tag heute enden würde.

Verzweifelt starrte ich auf das Handy in meinen schwarz lackierten Händen und schluckte schwer. Alleine der Gedanke an all die Dinge, die mich Zuhause erwarten würden ließ meine Augen heiß werden.
Nein. Das alles wollte ich gar nicht. Nochmal schluckend schloss ich die Augen und spürte das verräterische Ziehen in meiner Schläfe.
Scheiße.


Mit einem unerklärlichen Druck auf der Brust hielt ich mich mit den Haaren ein wenig versteckt und ging mit schnellen Schritten aus der Schule.
Ich wusste, dass alle um mich laut waren, doch ich hörte sie nicht. Ich war zu beschäftigt hier so schnell wie möglich zu verschwinden und Meltrid zu finden, der auf einer Bushaltestelle hier in der Nähe warten sollte.
Mein Herz schlug schnell, ohne mir den Grund zu verraten. Ich schluckte die Übelkeit hinunter und hielt den Blick auf dem Asphalt unter mir, bis ich endlich da war.
Jedoch war niemand da. Nicht einmal ein Schüler, da die die andere Haltestelle benutzten, die Näher dran war. Diese hier wurde kaum genutzt, was meine Frage nur noch unwichtiger zu beantworten machte. Ich sollte so weit laufen nur damit niemand sah, dass Meltrid mich einsackte.
An sich konnte ich es verstehen. An sich war es mir egal. Aber dennoch machte es mich innerlich ein wenig wütend. Vor allem, als ich schon 15 Minuten dastand und sich dennoch niemand blicken ließ. In solchen Momenten wäre Meltrids Nummer hilfreich. Dann könnte ich seinen Arsch anmotzen, ohne vor ihm stehen zu müssen.

Als ich aufgeben und mich nicht länger zum Deppen machen wollte, hielt ein silberner Toyota vor mir und ich hörte, wie dessen Entriegelung aufsprang.
Ein Teil von mir seufzte erleichtert, der andere motzte. Grob riss ich die Tür auf und stieg stumm ein.
Erst nachdem Meltrid den Gang umgelegt hatte und auf's Gas gab, sprach er auf. "Nicht einmal ein Hey?" Seine Stimme brummte kühl genug, um mir klar zu machen, dass es ihn eh nicht geschert hätte.
Mit verkreuzten Armen starrte ich die Windschutzscheibe nieder und versuchte die Bilder in meinem Kopf zu unterdrücken, in denen ich Meltrid eigenhändig erdrosselte. "Nicht, nachdem ich so lange warten musste." brachte ich es heraus.
"Sorry, Prinzessin." lächelte er abschätzig, "Aber ich habe nicht vor, mir meinen Ruf durch dich zerstören zu lassen, weshalb wir warten mussten, bis wirklich alle weg waren."
Ich konnte mir die Mischung aus Lachen und Schnauben nicht unterdrücken.
Sofort wurde seine Miene wieder eisig. "Schnall dich an. Ich habe keinen Bock Eric zu erklären, warum du plötzlich mit gebrochenem Nacken auf der Straße liegst und mich dann seinem Stress stellen."
Kurz stach ein schwacher Blitz in meiner Lunge bei dieser Vorstellung, die ich jedoch schnell wegdrückte. Sollte das passieren, sollte es mich nicht interessieren. Dennoch tat ich, was er verlangte. "Du hast es aber auch, alle grob zu behandeln." brummte ich stattdessen.

Seine Augen blitzten auf und wieder entstand ein schiefes Lächeln auf seinen Lippen. Diesmal zeigte es ein Grübchen. "Die Frauen fahren drauf ab." zuckte er die Schultern und bog in eine Seitenstraße.
Angewiedert verzog ich die Lippen. "Verschone mich mit deinen Bettgeschichten."
"Langweiler."

Ich sah ihn böse funkelnd an, doch er achtete nicht auf mich. Bis eben, hatte ich gar nicht gemerkt, dass er sich heller, als sonst angezogen hatte. Ein weißes Shirt und eine gefütterte Jeansjacke in strahlendem blau. Es stand seinem blondem Haar. Keine Frage. Aber sein Charakter blieb derselbe. Dunkel und dreckig. Ich konnte nicht fassen, dass sich Mädchen von ihm überhaupt berühren ließen. Ich konnte schon kaum in seinem Wagen sitzen.

Die Stille hielt an und war tausend Mal unangenehmer, als die mit Eric in seinem Wagen, weshalb ich nach einem Ausweg suchte. Die Fahrt würde noch dauern.
"Ist dieser Wagen auch geklaut?"
Mit erhobenen Brauen richtete er das Gesicht halbwegs zu mir, bevor er sie krümmte und einen Zeigefinger hob, andem ein fetter silberner Ring steckte. "Erstens: Das ist meiner. Geschenkt von meinem Dad und legal. Zweitens: Ich tue solchen Dreck, wie Eric und die anderen, nicht. Ich würde mich nie auf ein solches Niveau runterlassen, Anerston. Es ist armseelig."
Ich wollte kotzen. Er behandelte mich, als wäre er der Erwachsene und ich das Kind. Jedoch konnte ich nur frustriert seufzend und den Blick wieder nach vorne richten. "Dann können wir hier sicherlich Musik anmachen."

Er griff nach einer stummen und ellenlangen Minute zum Armaturenbrett und ließ die vielen silbernen Ringe an seinen Fingern, selbst unter dem bewölkten Himmel scheinen.
Jedoch sollte ich bereuen das gesagt zu haben, denn die ganze Fahrt über spielte grauenhaftes Metal. Laut. Und Meltrid lehnte jegliche Musikvorschläge meinerseits ab. Es schien mir, als würde er es absichtlich tun, um im Stillen seinen Spaß an meinem Leiden zu finden.

Cold WinterWhere stories live. Discover now