XLVII

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Eric ging ohne groß etwas gesagt zu haben und überließ mich somit mich selbst, während meine Gedanken nicht aufhörten über Jennifers Nachricht zu kreisen.
Diese Worte mit dem Wissen gelesen zu haben, dass sie an mich gerichtet waren, spülte meine aufgebaute Sicherheitswand hinunter und löste eine Kettenreaktion an Emotionen aus, die ich absichtlich weggesperrt hatte.
Hatte sie Recht? Hatte Eric deshalb nichts gesagt? Sollte ich mein selbst festgelegtes Vefallsdatum wegwerfen und es jetzt schon durchziehen? Ich wusste es nicht. Und das Gefühl, nicht zu wissen, was ich mit mir anfangen sollte, war eine Höllenqual. Wozu war ich dann überhaupt noch da?
Zu allem Überfluss schrieb mich auch Brad am nächsten Tag an, um wieder zu fragen, was passiert war. Während ich das Gefühl hatte, durch die Hölle zu spazieren, schrieb ich ein brüskes "Nichts.", welches mir jedoch schwer von den Fingern ging.
Ich hasste es ihn anzulügen musste ich feststellen. Vor alles und jedem gingen die Lügen über die Jahre problemlos über meine Lippen und waren obendrein überzeugend. Bei Brad jedoch schmerzte es und es ließ eine Wut auf mich selbst entfachen.

Ich schätzte sogar, dass, wenn ich ihm in diesem Zustand persönlich begegnet wäre, ich wie ein Wasserfall alles ausgeplappert hätte. Und das wäre gar nicht gut gewesen.
Umso besser war es, dass mich meine Mutter krank gemeldet hatte, weil ich sie davon überzeugen konnte, eine Magenverstimmung zu haben. Leider setzte ich diese Ausrede nicht zum ersten Mal ein, weshalb meine Mutter immer skeptischer wurde.
"Vielleicht hat das was mit deiner Psyche zu tun?" warf sie gestern an meinem Türrahmen gelehnt ein, während ich zu keiner Sekunde aus dem Bett krabbelte. Diesmal verschreckte sie meine empörte Reaktion nicht, sonder ließ sie einfach weiter reden. Mir weiter empfehlen einen Psychologen zu besorgen.

Es schmerzte, sich das auch nur vorzustellen. Sobald ich das getan hätte, hätte ich mir eingestehen müssen, die Kontrolle verloren zu haben und das wollte ich noch nicht. Ich war nicht schwach, auch wenn mein Aussehen vielleicht etwas anderes sagte.


Während alle aus dem Haus waren traute ich mich aus dem Zimmer. Nur bekleidet in schwarzen Stoffshorts und einem grauen Bandshirt, dass schon ausgewaschen war, weil ich es über die Jahre fast permanent trug.
Mit flacher Atmung zupfte ich an dessen Stoff, während ich den Flur runten zum Bad ging und die Musik in meinen Kopfhörern nur so schrie, um mich nicht die Stille des Hauses spüren zu lassen, die ich so sehr hasste. Schon oft war ich unter ihr zusammengebrochen oder bekam immer das Gefühl mit jeder Minute von ihr weiter erdrückt worden zu sein. Noch mehr davon brauchte ich nicht.

Unter geschwächten Muskeln drückte ich die Badezimmertür auf, wo meine schlanke Silhouette sofort im Spiegel zu sehen war, der hinter dem Waschbecken fast die gesamte Wand bedeckte.
Das Licht flackerte kurz in dem kleinen Bad, was mein Hirn für einen Moment überforderte, bevor ich die Tür hinter mir schließen konnte.
Es fühlte sich an, als würde mich ein Dämon aus dem Spiegel anstarren, während ich diesem den Rücken zugewendete. Schon oft hatte ich mir rein aus Interesse Theorien oder besagte Legenden durchgelesen, die um das spirituelle Leben handelten. In einen davon wurde berichtet, dass Spiegel mögliche Portale waren. Ein Weg für Dämonen und Seelen leichter zu uns zu gelangen und irgendwie glaubte ich daran. Glaubte, dass mich etwas immer durch einen Spiegel beobachtete, auch wenn es nicht zu sehen war.
Krampfhaft drehte ich mich zum Waschbecken und somit zu meiner eigenen Reflektion. Ich hatte hier sogar mal Bloody Mary ausprobiert. Rein aus Langeweile und Neugier, ob mich tatsächlich ein Mädchen heimsuchen würde, um mich dann im Schlaf zu ermorden.
Natürlich passierte das nicht, aber Dinge fielen in dieser Nacht gerne von alleine um und ich wurde das Gefühl nicht los, eine unglaublich erdrückende Atmosphäre in meinem Zimmer zu spüren.

Jetzt schrack ich zwar vor einem dunkelhaarigen Mädchen in meinem Spiegel zurück, aber es war nur meine Reflektion. So verheult hatte ich mich schon lange nicht gesehen.
Näher tretend bückte ich mich vor, um in meine dunkelgrünen Augen zu sehen, die einfach nur leblos wirkten und blutunterlaufen waren. Dennoch erkannte selbst ich den unglaublichen Schmerz darin, obwohl ich versuchte wieder in meine gewohnte Hülle zurück zu schlüpfen, die Emotionen wie ein schwarzes Loch verschlang. Aber so sehr ich es versuchte, ich konnte diese schweren Gefühle nicht abschalten.
Ich nahm mir noch die Zeit, durch meine verfilzten Haare zu gehen und mein Gesicht mit kaltem Wasser abzuspritzen. Jedoch ließ es mich nicht annähernd besser fühlen, wie normalerweise, weshalb ich anfing meine dürre Figur zu betrachten. Jedoch dauerte es nicht lange bis mein Selbsthass zu groß wurde und ich mit angehaltenem Atem das Bad wieder verließ.



Meine Musik lief non-stop, weshalb mich die Benachrichtigung von meinem Handy zuerst aus dem Konzept brachte. Einen Moment war ich verwirrt, doch griff kurz darauf danach und blickte auf den Display, während ich mit einem Buttermesser in der Hand in der Küche stand und mir eigentlich ein Brot machen wollte.
"Komm raus." stand da von Eric.

Ich zog die Brauen zusammen, während mein zu Matsch gewordenes Hirn versuchte, sich zu konzentrieren. 'Komm raus'?
Wie paralysiert stand ich auf den Fliesen, was mir in den letzten Tagen nicht selten passierte. Mit gekräuselter Stirn sah ich auf zum Wohnzimmerdurchgang, der in den Eingangsbereich führte. War Eric etwa hier?
Etwas in mir sagte, ich sollte nun eine gewisse Emotion entwickeln. Jedoch sagte es mir nicht, welche. Angst? Nervosität? Freude? Lust? Es war mir aber auch schnuppe. Ich hatte in den Tagen teils wieder in meine emotionslose Hülle gefunden, weshalb ich mit benommenem Inneren zur Eingangstür trappte mit dem Handy in der Hand und den Kopfhörern laut Stereo Cross spielend.
Tatsächlich erkannte ich eine Silhouette durch das Kleine Fenster der Eingangstür, was mir den Magen verdrehte. Wieso war er hier? Ich wollte niemanden sehen.

Einmal tief durchatmend versuchte ich mich in die Heather zu versetzen, die Eric bis vor kurzem noch kannte, doch da meine Lunge jegliche Lust zu arbeiten verloren hatte, gelang es mir nicht all zu sehr.
Erstaunlich schwungvoll öffnete ich die Tür und ließ zu, dass kalte Luft mich anpeischte. In knappen Shorts und einem dünnen Oberteil war das gar nicht so angenehm. Vor allem weil ich keinen BH trug und das bei der Kälte schnell sichtbar werden konnte.
Dennoch entschied ich mich, nichts von meinen Bedenken nach außen hin zu zeigen und starrte somit emotionslos, fast grimmig, in Erics dunkle Augen. Er war es tatsächlich.
Ich grub meine nackten Zehen, die ich bis vor kurzem schwarz lackiert hatte, in die kratzige Matte, um mich wachzurütteln.
"Wieso bist du hier?" brummte ich heiser, was ihn eine Braue heben ließ.
Wie oft hatte er eine schwarze Lederjacke an und darunter einen dunkelgrünen Pullover. Diesmal waren aber nicht nur die Ringe das einzige Accessoir an ihm, sondern auch die zwei Ketten, die an seiner schwarzen Jeans baumelten.
Doch noch meine Verwirrung zeigend sah ich zu ihm auf, wo ich ihn dabei erwischte, wie er meinen Körper musterte. Etwas an seinem Blick war eindringlich und ließ mich unmerklich die Shorts ein wenig runterzupfen, auch wenn das wohl kaum einen Unterschied machte.
"Ist was passiert?" versuchte ich es erneut, was ihn zu mir aufsehen ließ.
Er trat einen Schritt näher, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen, und lehnte sich lässig gegen den Türrahmen. "Nicht wirklich. Ich wollte dich auf eine Spritztour mitnehmen."

"Was?" entfuhr es mir ungewollt.
"Kann ich reinkommen?"
Ich zögerte einen Moment. Ich hatte eigentlich nicht die Kraft zu irgendetwas. Andererseits hatte mir Erics Anwesenheit letztens bei meinem Nervenzusammenbruch geholfen, was ich immer noch nicht verstand. Damals hatte ich ihn schon fast gehasst, aber nun konnte ich nichts derartiges mehr fühlen. Ich war sogar schon an ihn gewöhnt.
"Schicke Wunden." riss er mich aus meinen Grübeleien und deutete auf meinen linken Arm. Weil ich kurzzeitig keine Ahnung hatte, was er meinte sah ich stirnrunzelnd auf die Innenseite meines Unterarms, bis es mich wieder, wie eiskaltes Wasser zurück in die Realität zog. "Hast wohl versucht Jennifers Bitte nachzugehen." meinte er darauf über meinem Kopf und ich sah verwirrt zu ihm auf. Er sagte es, als hätte ich gerade nur gefühstückt. "Die habe ich auch." stieß er sich gemächlich ab und trat einfach an mir vorbei in mein Haus.
Dabei legte er seine Hand auf meinen Bauch und strich beim vorbeigehen darüber, was mich erstarren und meinen Magen Purzelbäume schlagen ließ. Diesmal war das kein Versehen, aber ich dachte mir nichts dabei.


Cold WinterWhere stories live. Discover now