XIII

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Das Gespräch mit Brad wollte mir bis zum nächsten Morgen nicht aus dem Kopf gehen. Ich überdachte jede Sekunde und jedes Wort, was oft zum Selbstschämen führte.
Es war frustrierend, wie schlecht ich manchmal mit Menschen umgehen konnte. So viele redeten ohne Pause, wurden geliebt für ihre Offenheit, aber ich schien das alles nicht zu können.


Ein kurzer Druck unter meinem Auge riss mich aus meinen Gedanken und ich sah blinzelnd auf, wo ich Dereks Blick neben mir am runden Frühstückstisch erblickte, der von unserem Vater tadelnd angesehen wurde.
"Was?" äußerte ich nicht ganz bei mir, während Dad seine Brille richtete.
"Derek man spielt nicht mit Essen.."
Dem komischen Druck nachgehend, den ich gespürt hatte, schaute ich auf den Tisch und entdeckte eine Minitomate vor meinem Teller.
Sofort verzerrte ich das Gesicht und hebte sie hoch, um sie ihm mit fragendem Blick zu präsentieren. "Dein Ernst?"

Das Grün in seinen Augen fing an zu strahlen, während das Braun mehr Wärme auszusenden schien, das mit seinem belustigten Grinsen intensiviert wurde.
Grummelnd schmiss ich die Tomate zurück, was ihn lachend zusammenzucken ließ, und versuchte meinen Neid über seine Augen zu verstecken. "Du hast nicht auf uns reagiert! Da musste ich doch was machen." kicherte er und legte die Tomate auf den Tisch.
"Wir wollte nur wissen, ob du Lust hättest heute nach der Schule mit zum Angeln zu kommen." seufzte Dad doch konnte sich das Zucken der Mundwinkel nicht unterdrücken. Er strich sich über den Drei-Tage-Bart, um es zu verstecken. Seine heutige braune Weste wies jetzt schon Flecken auf, weil er die Gewohnheit hatte, sich daran die dreckigen Finger abzustreifen. Manchmal fragte ich mich ehrlich, wie Mom und Dad sich gefunden haben. Mom war immer darauf aus, gut auszusehen, während Dad immer in zu alter Kleidung umherlief und sich nicht annähernd so strickt benahm, wie sie es tat. Liebe war echt komisch.
"Werden wir morgen dann krank geschrieben?" Ich war zwar nicht heiß darauf, Stunden mit den Männern meiner Familie auf einem Boot Mitten im Nichts zu verbringen, aber es wäre eine gute Möglichkeit dem peinlichem Gespräch mit Brad gestern zu entgehen, als auch die Dämonen der Schule einen erneuten Tag nicht ertragen zu müssen.
"Nein." antwortete er bestimmt mit den warmen braunen Augen und ich verdrehte die Augen. Oh.
"Dann nicht."
"Du bist blöd." maulte Derek.
"Tja, das liegt in der Familie." murmelte ich und biss vom Sandwich ab.
"Was liegt in der Familie?" kam Mom herein, während sie sich ihre Juwelenohrringe einsteckte.
Erstarrend kämpfte ich dagegen nicht am Verschlucken am Essen mein Ende zu finden. "Sie wollen heute angeln." antwortete ich hingegen.
"Ja, und Heather hat keine Lust!" beschwerte sich mein nerviger Bruder.
"Was? Meiner Meinung nach solltet ihr innerhalb der Woche nirgends hingehen. Ihr sollt euch gefälligst auf die Schule konzentrieren."
Jetzt ging wieder die Argumentation mit Dad los, doch diesmal ließ sie schneller locker. Anscheinend war sie wirklich spät dran.


Zurück in der Schule konnte ich nicht anders, als heimlich nach Brad Ausschau zu halten. Nicht, weil ich ihn sehen wollte. Nein, weil ich ihm aus dem Weg gehen wollte, sobald ich nur einen Fitzel von ihm sehen würde.
Doch er kam mir nicht über den Weg. Dafür Eric. Sogar mehrmals. Und jedes Mal merkte ich seine Abneigung, die mir nur recht war. Es waren lediglich seine feindseligen Blicke, die mich störten, wenn wir über den vollen Flur hinweg Augenkontakt machten.
Mein innerstes versuchte Panik zu machen, doch der Rest unterdrückte das, weil er der Meinung war, dass Eric unbedeutend wäre. Wir sollten ihn einfach nicht beachten.

In unserem gemeinsamen Geschichtskurs beachtete er mich dann gar nicht. Genauso wenig, wie Jennifer, was mich erleichterte. Ich wollte, dass alles wieder zum alten zurückkehrte. Ich wollte wieder ignoriert werden.

Mit den Gedanken mal wieder nicht im Unterricht wurde mir klar, dass ich nach der Schule das Haus für mich selbst hatte. Diesmal würde mein Bruder nicht da sein und meine Mom arbeitete normalerweise bis zum späten Nachmittag. Das hieß, ich konnte fast alles tun, was ich wollte. Sofort kamen mir Zigaretten und Alkohol in den Sinn, doch ich verwarf das schnell, weil das letzte Mal knapp war. Fast hätte mich mein Lallen verraten und das Risiko wollte ich nicht nochmal eingehen.
Freunde hatte ich keine, die ich fragen konnte, und Natalie würde ich ganz sicher nicht nach all den Jahren anschreiben, um sie einzuladen. Wir waren mal Freunde, bis ich ihr zu emotionslos wurde und sie anscheinend selbstsüchtigere Ziele verfolgte. Zusätzlich hatte ich sie schon Jahre nicht gesehen, weshalb ich nicht verstand, wieso ausgerechnet sie bei der Idee in meinem Kopf ankam.
Etwas traf mich am Kopf und riss mich augenblicklich aus den Gedanken. Erstarrt merkte ich, wie mein Blick die ganze Zeit auf das Whiteboard gerichtet war, während der Lehrer etwas erklärte, dass ich aus dem Kontext nicht verstand.
Verwirrt sah ich an mir herunter und auf dem Gang neben mir lag eine Papierkugel. Schon fast verstört verzog ich die Brauen und sah mich nach dem Übeltäter um. Normalerweise gehörte ich nicht zu denen, die schikaniert wurden. Die anderen hatten genug Angst oder Desinteresse vor mir, dass sie sich das nicht wagen würden.
Aber doch. Da gab es eine mögliche Person und dessen Augen trafen sofort auf meine. Verdammter Eric..! Heute hatten die nervigen Typen es wohl mit dem abwerfen.
Mit ernster Miene deutete er auf das Stück Papier und ich ließ meine Verwirrung darüber kurz ausspielen, bevor ich sicherstellte, dass niemand hinsah und hob es auf. Nicht, dass eh wen interessieren würde, was wir zwei Weirdos taten.

Schon neugierig entfaltete ich den Zettel, doch konnte nichts gegen die Unruhe tun. Eric machte nie halbe Sachen, weshalb ich stark bezweifelte, dass das ein Liebesbrief mit vielen Herzchen war.
Und sobald ich die Worte laß, blieb nur noch eine Unruhe, gar schon Panik übrig.

Wie kannst du jeden Tag in einer Lüge leben?

Erstarrend überlaß ich es immer wieder. Doch es vertrieb mir nicht die Verwirrung, als auch der Scham. Was sollte das bedeuten? Worauf spielte er an?
Es juckte mich ihn anzusehen, doch ich sträubte mich dagegen. Dieser Kerl würde mir jetzt definitiv nicht mit zwei Tischen und einem Gang zwischen uns detailliert erklären, was seine Nachricht zu bedeuten hatte. Dafür fing meine Fantasie an zu spielen.
Eine dunkle Vorahnung machte sich in mir breit: Was, wenn er die Worte von letztens nicht vergessen hat, die meine Schattenseite zum Vorschein gebracht hatten? Es hatte verraten, dass ich Tag ein Tag aus mit etwas kämpfte. Vielleicht hatte er sich darüber Gedanken gemacht und- Ach, was redete ich da! Eric würde sich um andere nie Gedanken machen, weshalb ich das also ausschließen konnte.
Da war es wahrscheinlicher, dass er einfach etwas draufgekritzelt hat, um mich zu nerven. Oder philosophisch wirken wollte und irgendeinen aus der Nase gezogenen Scheiß versuchte aufzutischen, um gebildet zu wirken. Tja, ich hasste solche Angeber und Eric: Da wusste ich schon, dass er definitiv keine Intelligenz besaß, mit der er hätte zu Anfang überhaupt prahlen können.

Zwar hatte ich dennoch keine Antwort, aber ich beschloss, mich davon nicht verrückt machen zu lassen. Er war es nicht wert. So, wie ich es bei den meisten sah, weshalb ich jegliche Anspannung, die mit diesem Zettel verbunden war abwimmelte. Ich würde ihm niemals Macht über mich geben. Eine Warme Masse schien über meine Sinne zu fließen und stellte meine schnelle Atmung gefährlich langsam.
Mit einem unterschwelligen Zorn in meiner emotionslosen Miene fing ich an den Zettel zu zerreißen und achtlos in meine Federtasche rieseln zu lassen.
Nicht einmal seine Reaktion wollte ich sehen, weshalb ich einfach voraus sah und zum Unterrichtsschluss einfach abgehauen war.
Er folgte mir nicht.

Cold WinterWhere stories live. Discover now