XVI

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Ich wusste, dass ich mich nicht unterkriegen lassen und Erics Verhalten einfach als kleinen Kurzschluss betrachten sollte. Aber es kam viel zu unerwartet, dass mich das selbst noch am nächsten Tag beschäftigte. Seine Worte waren so rätselhaft und verwirrend, wie das angebliche System der Illuminati. Und so wie zur berühmten Verschwörungstheorie konnte ich auch hier keine Antwort finden. Wann sollte ich bitte etwas falsch gemacht haben, um das zu verdienen? Weil du du bist? Verkrampfend ging ich den Flur in Kopfhörern runter. Ich hasste diese Stimme wie die Pest.


Jeder heutige Unterricht verging so schleppend und schmerzhaft, dass ich schon kurz davor war mich auf den Toiletten einzusperren und erst rauszukommen, wenn die Schule leer war.
Ich merkte deutlich, dass mein Verstand wieder einer seiner behinderten chemischen Reaktionen hat passieren lassen, die mich ankotzten. Heute waren es Unwissenheit, Stress und ein klein wenig Selbsthass, die zusammen in einer vor Gift müffelnden Tonne meines Hirns geschmissen und vermischt wurden, sodass Ober-Beschissene-Suizid-Laune entstanden war.
Ich wollte nicht einmal die Pausen auf dem Hof verbringen, wo man noch die vielen gefärbten Blätter betrachten konnte. Anscheinend verlor ich nämlich den Verstand, denn ich setzte mich in das offen gelegte Forye und beobachtete von meiner Metallbank aus Merthys Pflanzenstand, der heute schon deutlich weniger anzubieten hatte, als gestern. Anscheinend ging es gut weg. Komischerweise spürte ich ein schweres ziehen in mir, als ich die süßen Kakteen ansah und sogar lebende Minirosen in dunklen Handgroßen Töpfen, die einem das Herz nur erwärmen konnten. Irgendwie verlangte die Sehnsucht in mir, mir wenigstens eine Pflanze zu holen, doch mein Geldbeutel sagte etwas anderes, weshalb ich nur den Anblick zum Trost haben konnte. Doch wirklich trösten tat es mich nun auch nicht. Es ließ mich sogar noch beschissener fühlen und ich spielte schon im hintersten Bereich meines Hirns damit die letzte Stunde einfach zu schwänzen, weil ich nicht sagen konnte, ob ich nicht durchdrehen würde.


"Heather?"
Vollkommen in meiner Depriphase hatte ich die Stimme kaum richtig wahrgenommen, doch sah dennoch auf, wo ich auf zwei atemberaubend grün-graue Augen traf.
Innehaltend wurde ich wacher.
"Was ist denn passiert?" fragte mich Brad, während er seinen Rucksack auf einer Schulter hatte und lässig mit der einen Hand fersthielt. Seine Brauen waren besorgt verzogen, doch seine breiten Schultern drängten sich dennoch in meine Aufmerksamkeit.
Deutlich aufmerksamer drückte ich den Rücken durch und sah ihn verwundert an. "Was sollte passiert sein?"
"Naja, du siehst traurig aus." Traurig war noch weit untertrieben, doch ich schüttelte einfach den Kopf und verfluchte mich dafür kein falsches Lächeln aufbringen zu können, da meine Muskulatur heute einfach zu unmotiviert dafür war.
"Es ist alles bestens."
"Sicher?" plötzlich setzte er sich neben mich und stellte seinen schwarzen Rucksack vor die Füße, an denen weiße Sneaker von Pumpa prangten. Sie schrien nach Geld.
Doch weil ich einfach keine Lust hatte noch weiter lügen zu müssen, als ich es so schon tat, blieb ich still, was einen kurzen komischen Moment verursachte.
"Du trägst deine Haare heute nicht nach hinten, wie ich sehe."
Verwirrt hob ich die Brauen und sah in sein Gesicht, dass mich beobachtete, während er sich an seinen Knien abstützte. "Ich...Eh-..Ich trage sie selten nach hinten."
"Schade. Deshalb hatte ich dich nie so richtig bemerkt." lächelte er matt und sah voraus.
Sollte das ein Kompliment sein? Nein, eher eine Beleidigung, oder? Aber wie konnte er das mit einem so friedlichen Gesicht sagen?
"Ich..." sprachlos suchte ich nach den richtigen Worten, "Ich fühle mich komisch, wenn ich die Haare oben habe. Sieht beschissen aus."
Es machte mich perplex, dass ich gerade wirklich mit einem Typen, der fast jedes Footballsspiel gewann, eher für sein oh-so-männliches Verhalten bekannt und gebaut wie Hercules war, über etwas mädchenhaftes, wie Haare, redete.
"Nein, tut es nicht. So kommst du eher zum Vorschein." lächelte er wieder zu mir gerichtet.
"Ich will aber nicht zum Vorschein kommen." entgegnete ich barsch, was ihn die Brauen verziehen ließ.
"Wieso?"
Doch ich konnte nur die Schultern zucken.
Er fing an mich eingehend zu mustern, was mich nervös machte. Ich war einem solchen Interesse an mir nicht gewohnt, weshalb ich nicht wusste, wo ich hinzusehen hatte oder wie ich überhaupt atmen sollte. Mein Herzschlag war leicht, doch schnell und das machte mich kirre. Bei jedem anderen wäre es mir egal gewesen. Ich wäre einfach aufgestanden und in meinen nächsten Kurs verschwunden, auch wenn dort lauter idiotische Jugendliche hockten, die nichts besseres als labern und das werfen von irgendwelchen Gegenständen zu tun hatten. Aber es war leider Brad. Der Typ, den ich sonst immer nur von weitem beobachtet hatte und mir immer ausgemalt hatte, wie es sein würde ganz normal mit ihm zu sprechen. -Wenn er denn nicht mit seinem Leben prahlte.
Plötzlich spürte ich seine Hände an meinen Haaren und erstarrte, während er den vorderen Part nach hinten hielt. Die behutsame Berührung ließ mein Herz einen Schlag aussetzen und nun war ich vollkommen verloren. "So siehst du viel besser aus." kommentierte er lächelnd. Doch anscheinend merkte er meine Unruhe davon und ließ es schief lächelnd los. "Sorry. Ich wollte nur sichergehen, dass das Mädchen, in das ich damals gerannt bin auch wirklich du warst."
Es nicht besser wissen senkte ich die Lider emotionslos, was ihn aufgrinsen ließ. Aber er konnte nicht wissen, was für ein Chaos er dadurch in meinem Inneren verursachte. Oder was für eine Hitze nun von den Stellen ausging, die er berührt hatte.
"Du bist immer alleine, oder?"

Aus den Gedanken gerissen spürte ich die Hitze in meine Wangen steigen. Für Brad war das Einzelgängerleben ein unbekanntes Terrain. Als der beliebteste der Schule waren Leute wie ich für ihn ein unbegreifliches Baugebiet, weshalb mir klar war, dass er es nicht verstehen würde, wenn ich es ihm erklärte. "Ja, weil ich nichts mit anderen zu tun haben möchte."
"Aber das ist doch Verschwendung. Du verpasst dadurch witzige Momente mit anderen."
Mit erhobener Braue sah ich ihn wieder an, was ihn zum lachen brachte. Und dieses Lachen löste einen wohligen Wall in mir aus, den ich noch nie bei jemanden gespürt hatte.
"Gucke mich nicht so an, Heather." Gott, wie schön es war, ihn meinen Namen aussprechen zu hören. Was war dieses Gefühl? "Es ist nun mal so. Wenn du dich auf andere einlässt würdest du auch mal lachen. Es ist doch einsam und öde dauerhaft alleine zu sein, oder nicht?"
Überlegend sah ich auf meinen Schoß. Einsam und öde. Tatsächlich beschrieb das meinen Lebensstil recht gut, aber mich auf den Scheiß anderer einzulassen würde mich noch viel mehr stören. Ich brauchte das nicht. Aber natürlich würde ich das vor ihm nicht zugeben damit er nicht noch vollends davon überzeugt war, dass ich komisch war. Also zuckte ich die Schultern. "Ich komme klar."
"Aber es ist eine Verschwendung deiner Person."
"Ist es nicht." raunte ich leise, ohne ihn anzusehen. Ich kam nie gut mit Menschen zurecht und das half meiner Person keines wegs. "Es ist für alle das beste, wenn ich mich so unauffällig, wie möglich verhalte."

Wieder blieb es still und ich fing an zu überdenken. War das wieder eine dumme Äußerung, die ich mir hätte sparen sollen? Wird er jetzt wieder aufhören mich anzusprechen?
"Warte kurz hier." meinte er kurz darauf und ging für einen Moment fort.
Irritiert sah ich zu, wie er zu Merthys Stand ging und einige Worte mit ihm wechselte. Sie verstanden sich auf anhieb gut und lachten sogar, bevor Brad auf die Pflanzen deutete.
Wie schafften andere das nur? So frei und wie auf Kommando mit anderen zu reden? Vor allem Brad gehörte zu denen mit einer guten Zunge. Und ich wette diese Zunge konnte noch vieles mehr.
Erstarrend weitete ich die Augen und spürte, wie meine Wangen im nächsten Moment heiß wurden.
Von mir selbst beschämt legte ich das Gesicht in die Hände und konnte nicht fassen, dass meine innere Stimme das ein ernstes behauptet hatte.

"Bin wieder da." hörte ich es neben mir und mein Blick schellte zu Brad, der sich wieder neben mich setzte. Mit wurde ein kleines Sukkulent in violett hingehalten.
Ich konnte es nur verständnislos ansehen.
"Nimm sie. Ist für dich."
Mit gekrümmten Brauen sah ich zu ihm auf. "Wieso?"
"Damit du wenigsten etwas heute hast, dass dich aufmuntern kann."
Die Luft anhaltend sah ich wieder auf die süße Pflanze und nahm sie mit tauben Fingern entgegen. Er hat mir zum aufmuntern eine Pflanze geschenkt? Ich kam nicht über den Fakt hinweg.
"Ich hoffe, sie gefällt dir. Ich muss jetzt nämlich weiter. Aber wir sehen uns sicherlich nochmal." sattelte er seinen Rucksack und verschwand mit einem letzten sanften Lächeln.
Verdattert konnte ich ihm nicht einmal antworten.

Sollte ich gerührt von dieser Geste sein? Denn irgendwie kam es mir vor, als wollte er mir nur einen Freund schenken, da ich doch keine besaß.
Obwohl ich normalerweise eine Leere gespürt und angenommen hätte, dass die Person sich nur lustig über mich gemacht hatte, konnte ich das minimale Wummern in meiner Brust nicht ignorieren, während ich die Pflanze in meinen Händen anstarrte. Vielleicht hatte er sich insgeheim auch über mich lustig gemacht. Man konnte nie hinter die wahren Intentionen einer Person sehen und Brad war selbstverliebt genug, um sowas abzuziehen, aber etwas sagte mir, dass es vielleicht doch nur eine nette Geste war.

Auch wenn ich das nicht wirklich feststellen konnte, löste es ein schwaches für andere nicht sichtbares Lächeln auf meinen Lippen aus und ich spürte die Verbindung zu dieser Pflanze auf Anhieb. Egal, wofür sie tatsächlich stand - Sie war von Brad. Und alleine deshalb würde ich sie jetzt nicht wegschmeißen.

Cold WinterWhere stories live. Discover now