LII

53 4 1
                                    

Das merkwürdige an Erics Verhalten war, dass er immer, wie aus dem Nichts, auftauchte und etwas von dir verlangte, nur um im nächsten Moment wieder für Tage abzutauchen.
Freundschaft.
So hatte er die Beziehung zwischen uns benannt. Aber hatten Freunde nicht fast täglich Kontakt zueinander? Vor allem zu Zeiten des Smartphones? Und wusste man nicht mehr von einander?
Grübelnd krümmte ich die Brauen, während ich durch den Schulflur ging und auf mein Smartphone starrte. So musste ich auch nicht Angst haben, Jennifer zu begegnen, die ich keines Falls sehen wollte nach der Nachricht von einer Woche.

"Nach der Schule bei dir."

Und jetzt kam er wieder an und wollte was unternehmen. Aber im Endeffekt war es mir egal. Er gab mir die gewünschte Ablenkung und holte mich aus der quälenden Routine, die ich für Jahre hielt. Da sollte es mich nicht interessieren, was er in seiner Freizeit unternahm. Es war lediglich.. merkwürdig. Nichts weiter.
"Heather." hörte ich plötzlich und wurde weich, aber fest, an den Schultern gepackt. Schon im nächsten Moment machte meine Gefühlslosigkeit einem schlechtem Gefühl Platz, dass meinen Magen rumoren ließ. "Wo warst du letzte Woche? Wieso hast du nicht geantwortet?"
Es war mehr Sorge in Brads Stimme, als Beschuldigung, was mich verwirrte. Wieso sollte ihn mein Wohlergehen interessieren?
Ich schluckte, während ich in seine grün-gräulichen Augen blickte, die mir noch nie so nah waren. Umso mehr lenkte mich in diesem Moment ihre Schönheit ab. Als würde man in ein kristallklares Gewässer inmitten eines Waldes blicken.
"Du sahst letztens gar nicht gut aus." sprach er weiter, wohl in der Hoffnung, mich so zum Reden zu bringen.

"Ich...fühlte mich nicht gut.." säuselte ich gedankenverloren und zwickte mich innerlich, endlich wach zu werden. Aufzuhören, wie eine wandelnde Leiche dazustehen und mein Denken einzuschalten, statt es aufzugeben. Nur, um Brad konzentriert zu begegnen. Doch es gelang mir nicht sonderlich. Immerhin hatte ich es die letzten Jahre nicht ändern wollen. "Deshalb hatte ich mich die Tage krank gemeldet. Wieso?"

Nun war er es, der einen Moment still blieb und mich mit zusammengepressten Lippen ansah. Erst dann lockerte sich sein Griff an meinen Schultern und er ließ die warmen Hände hinunterwandern, bis sie federleicht an meinen Oberarmen stehen blieben und mir einen elektrischen Stoß verpassten, der sich durch meinen Körper bahnte. Fast erschrocken hielt ich die Luft an und konnte kaum die Worte verstehen, die er darauf äußerte. "Ich habe mir nur Sorgen gemacht, als du so plötzlich weggerannt bist und meine Nachrichten ignoriert hast."


Nur langsam sickerte die Information in mich ein, weil ich mit einem anderen Gedanken  beschäftigt war. Plötzlich verglich ich Brads Berührung mit Erics, ohne es wirklich gewollt zu haben. Eric hatte meine Arme schon ähnlich so berührt. Aber bei ihm wurde mir nur warm und meine Atmung flach, während ich bei Brad, wie ein aufgedrehtes Rehkitz reagierte, dass im Sonnenlicht tollte. Alles wurde wohlig, prickelnd und aufregend, auch wenn ich es äußerlich versteckte. Und ich verstand diese Reaktionen nicht. Es war ja nicht so, dass ich nie von Menschen berührt wurde. Hier und da wurde ein Handschlag von mir abverlangt oder eine Umarmung meines Bruders, als auch hier und da versehentliche Streifungen in der Öffentlichkeit. Aber nichts hatte mich je so bewegt.

                Was zur Hölle war mit mir los?

"Tut mir...Leid." war das einzige, dass ich in diesem Moment benommen äußern konnte.
Er seufzte, während er mich fast mitleidig ansah. "Alles gut, ist ja nicht so als wären wir-..." er seufzte. "Habe ich was falsch getan?"
Meine Augen wurden groß. "Nein. Wieso?" fragte ich leise, während ich mich nicht zwingen konnte das Hirn anzuschalten.
Plötzlich nahm ich mein Umfeld wieder war, was daran hätte liegen können, dass uns einige Mitschüler anstarrten. Sofort spannte ich mich an. Oh nein..
"Du warst weggerannt, sobald ich dir zugewunken hatte."

Langsam geriet mein Herz ins toben und ich bekam den Wunsch von hier zu verschwinden. Von den Blicken, von der Aufmerksamkeit. "Brad, wir werden angestarrt." hauchte ich ohne ihn anzusehen. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie auch er endlich um uns sah, doch darauf nur verwirrt klang. "Na und? Dann lass sie doch."
"Ich glaube, wir sollten jeder in unsere Räume gehen. Jetzt." meinte ich wackelig und legte meine Hand, die nicht das Handy hielt, in seine Armbeuge um schwach dagegen zu drücken im Versuch, seinen Griff von mir zu holen. Wenn andere sahen, wie er mich anfasste, würden sie es missverstehen. Sie hätten Brad eingeredet, wie zerkratzt ich war und das wollte ich nicht. Auch wenn es der Wahrheit entsprach. Wir hatten uns so gut verstanden, dass ich auf eine gute Art getrennte Wege gehen wollte. Nicht, durch das blutige Geplapper von anderen.

"Hasst du mich?"

Aus meinen Fluchtgedanken gerissen sah ich ihn erstarrt an. "Was?"
"Gehst du mir plötzlich aus dem Weg, weil du mich nicht leiden kannst? Hat man dir etwas erzählt?"
Noch verwirrter krümmte ich die Brauen. "Mich interessiert nicht, was die anderen sagen." Und doch sah ich mich wieder um. Nun fiel mir das leise Flüstern einiger auf. Sie sollten aufhören! Wieso interessierte es andere, was für einen Dreck andere taten? Warum mussten alle nur ein so langweiliges Leben führen, dass sie sich gleich in die Angelegenheiten anderer einzumischen hatten? Mein Leben war nicht viel besser und trotzdem interessierte ich mich nicht für andere. Ich redete nie hinter dem Rücken anderer. Ich würde es auch nicht tun, hätte ich Freunde gehabt.

"Aber du hasst mich." kam es wieder wie aus dem Nichts und ich blickte verstört in Brads konzentriertes Gesicht. Das Gesicht, bei dem ich nie gedachte hätte, dass es mich direkt ansehen würde. So direkt, wie jetzt. Es war, als hätte er unser Rundum gar nicht gesehen!
Und das packte nur mehr Verwirrung in meinen Schädel, sodass die nächsten meiner Worte nicht aufzuhalten waren.
"Nein! Ich mag dich, aber ich hasse diese Blicke." quiekte ich fast und versuchte erneut seinem Griff zu entkommen. Ich wollte hier weg. Wollte nicht Teil dieser Tratschgruppen sein. Teil dieser Menschheit.

"Beruhige dich." kam es fest von Brad, der wieder meine Schultern packte, aber dabei deutlich einfühlsamer war, als Eric. "Ich dachte, dich interessiert es nicht, was andere sagen."
"Ja, aber ich muss es auch nicht unbedingt provozieren, oder?" hauchte ich und konnte ihn nur schwer ansehen. Die anderen lenkten mich immer wieder ab.
"Willst du wieder außerhalb der Schule reden?" fragte er ruhig und tief.
"Ja." Alles war mir Recht, solange ich nicht hier zu stehen hatte.
"Okay, dann schreibe ich dich an."
"Okay." hauchte ich. Meine Finger kribbelten schon, weil sie schnell eine Tür aufreißen wollten, hinter der ich mich verstecken konnte.
"Und du ignorierst mich nicht?"
Irritiert sah ich in seine Augen. Wieso musste er es nur so sehr in die Länge ziehen? "Nein."
Plötzlich lächelnd streckte er den Rücken. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass er sich zu mir gebückt hatte. "Gut. Dann bis bald." Seine Daumen strichen dabei nochmal beruhigend über meine Schultern, bevor er wegging.
Doch er ließ mich mit einer Mischung aus Panik, Hochgefühl und Scham zurück, was ich kaum aushielt.

Cold WinterWhere stories live. Discover now