VIII

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Ein neuer Tag, eine neue Hölle. Doch die Hölle schien sich wie ein Deja-vu abspielen zu wollen. Total verpennt zur Schule gefahren werden und sich den ganzen nervigen Stimmen aussetzen lassen, die mir bald den Schädel zersprängen würden, schien ein Alltag zu sein.
Heute spürte ich eine besonders große Abneigung gegen jegliche Person, weshalb ich pausenlos in Kopfhörern herumlief und desinteressiert den Gang hinab starrte, um ja niemanden ins Gesicht sehen zu müssen.
Manchmal fühlte es sich so an, als würde alles und jeder sich insgeheim über mich lustig machen. Als würden, sobald sie mich sahen, fiese Worte in ihren Köpfen entstehen, die sie zu gerne an mich richten wollen würden. Und auch wenn es reinster Schrott war und es mich nicht interessieren würde, wenn es der Wahrheit entsprach, konnte ich nicht aufhören, es mir jedes Mal einzubilden, wenn ich in der Öffentlichkeit war. Manchmal fragte ich mich ein ernstes, wieso ich mir nicht schon längst eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte.

Doch ein Paar an Gesichtern erregten dann doch meine Aufmerksamkeit in der Masse, als ich zum zweiten Unterricht gehen wollte. Sie gehörten Jennifer und Eric, um genau zu sein. Und beide schienen ein eher unangenehmes Gespräch bei den Schließfächern zu führen, bis etwas ihre Aufmerksam erhaschte. Oder eher jemand. Und, verdammte Scheiße, dieser Jemand war ich. So unfassbar es auch klingen mochte.
Zuerst starrte mich Jennifer eindringlich an und schien nicht zu verstehen, wieso ich überhaupt existiere. Am liebsten hätte ich laut aufgelacht und gesagt: „Hey, ich weiß selbst nicht, wieso es mich gibt, aber was soll man tun?", aber ließ es, als auch Eric sich ihrem Blick folgend langsam umdrehte und noch an den Schließfächern gelehnt über seine Schulter blickte.
Meine Beine wurden beim Laufen steif, doch ich entgegnete seinen intensiven Blick nicht lange, sondern versuchte einfach in meine alte Rolle zurück zu finden und weiter geradeaus zu starren, während ich an ihnen vorbeiging. Dabei konnte ich mir jedoch leider das Augenrollen nicht verkneifen. Toll, jetzt sah ich, wie eine Bitch aus. Danke, Heather. Gern geschehen.


In meiner letzten Pause schlürfte ich zu Halsey mit Nightmare durch die Gänge, bis ich nahe des Haupteinganges den Stand für den heutigen Kuchenbasar erblickte. Mann, die gaben sich echt Mühe, um Spenden zu sammeln.
Unbemerkt wurde ich langsamer, um mir die großzügige Auswahl an Gebäck anzusehen, dass die Mädels mit einem süßen Lächeln verkauften.
Ich wollte schon weiter, selbst wenn mein Magen protestierte, als jemand in mein Blickfeld sprang und verhalten winkte. Verdutzt blieb ich abrupt stehen und entfernte den linken Hörer, um überrascht in die strahlend blauen Augen von Merthy, unserem Schulsprecher, zu sehen, der mich angrinste. „Was?" stammelte ich.
„Ich meinte: Hey, Heather!"
„Warte, du kennst meinen Namen?" brummte ich verwirrt.
Er hob eine blonde Braue, ohne das Grinsen zu verlieren. „Klar. Ich kenne so einige. Und du schaffst es, immer besonders herauszustechen."
Überfordert verkrümmte ich die Brauen und sah ihn unverhohlen an. Das passte eigentlich gar nicht zu dem Image, dass ich trug. „Das bezweifle ich." murmelte ich und musste wieder den Blick über das Gebäck fliegen lassen, bevor ich den Schulstreber wieder fixierte. Er lachte nur verhalten.
„Jedenfalls..Ich wollte dich auf unseren Stand mehr aufmerksam machen. Du schienst von unserer Auswahl ganz schön angetan zu sein." Beschämt sah ich weg, doch ließ es mir nicht anmerken. „Hättest du Lust, etwas zu kaufen? Das ganze Geld wird dann für gute Zwecke verwendet." kam er mir näher.
„Ahhh..Nee, du. Ich würde es später nur bereuen."
„Wieso das?" Nun schien er der Verwirrte zu sein und lehnte sich zurück.
Schulterzuckend sah ich wieder auf die ganzen aufwendig dekorierten Cupcakes, die ganzen Cheesecakes und Sahnetorten. Oh Gott. Satans Verführung. „Ich muss so schon mit meinem Geld aufpassen und würde jedes Kalorien spüren, sobald es in mir landet."
Er lachte, was mich stutzig machte. „Ach, komm. Probiere wenigstens einen." legte er den Arm um mich und zog meine schockierte Visage zum Tisch. Berührungen war ich nun gar nicht gewohnt. „Die Mädels haben sich echt viel Mühe gemacht, weißt du? Es reichen nur drei kleine Euro."

Gebannt starrte ich das farbenfrohe Essen an und spürte, wie mir der Speichel im Mund zusammenlief. Oh nein....


Merthy war ein echter Mistkerl. Okay, war er nicht. Er war der wohl netteste der Schule. Aber dennoch war ich pissig auf ihn! Wütend stopfte ich mir den zweiten Cupcake in den Mund, den er mir nicht einmal auffaseln musste. Ich konnte einfach nicht anders, sobald er mich hatte.

Nun durfte ich grimmig zu meinem letzten Unterricht für heute gehen, welchen ich so schon hasste. Sport. Ausgerechnet am letzten Schultag der Woche und in einer solchen kühlen Luft, dass ich dem Sportlehrer am liebsten den Mittelfinger gezeigt hätte. Doch kontrollierte mich und ließ somit die Hände unter den Armen, um mich wenigstens etwas zu wärmen, während wir auf die Anweisungen warteten.
Dabei war Jennifer wieder die Alte und ignorierte alles und jeden. Auch wenn es mir vorkam, als würde sie mich hin und wieder mustern.
Solange wir die Hampelmänner nach unseren Aufwärmrunden machten, überlegte ich schon, was ich tun würde, sobald ich Zuhause ankam. Nach hause, zu meinem wohl verdienten Wochenende, doch mich erwartete nichts als Leere. Zuhause war nichts und ich wusste, dass ich in einer der Nächte sicherlich wieder zusammenbrechen würde. Ich spürte so etwas immer im voraus.
„Mr. Eggens? Können wir mit diesen blöden Hampelmännern aufhören und endlich weiter machen? Meine Brüste schmerzen schon." jammerte Kelly, was mich die Augen verdrehen ließ. Ich selbst wusste, was sie meinte, aber sich gleich deswegen zu beschweren kam mir lächerlich vor. Dennoch nutze ich die Gelegenheit, um selbst aufzuhören und das Gespräch der beiden zu ignorieren, indem ich auf das Footballfeld blickte. Das Team hatte wieder sein Training und es war hypnotisierend zuzusehen, wie sich die ganzen muskelbepackten Typen gegenseitig in den Dreck rammten. Dabei stieß sich Brad komischerweise hervor, der seinen Helm abgenommen hatte und die Spieler konzentriert ansah, während er zur nächsten Position joggte. Mann. Wie es wohl sein musste in seinem Körper zu stecken?

Das Klatschen meines Sportlehrers ließ mich zurück in die Welt kommen und ich wendete den Blick vom Spiel ab. Anscheinend hatte Kelly auch diese Argumentation gewonnen, denn sie klatsche mit ihren Freundinnen mit einem triumphalen Grinsen ein, bis ihr Blick auf meinen traf. „Oh, keine Sorge. Irgendwann finden wir auch ein passendes Training für dich, Heather. Solange kannst du ruhig mit den 6. Klässlern weitermachen." Ha. Ha. Würg. Die sollte sich echt von mir fernhalten..

Cold WinterWhere stories live. Discover now