XLVIII

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Schwer schluckend schloss ich die Eingangstür und folgte Eric ins Wohnzimmer, der sich selbst Einlass gewehrt hatte. Aber das machte mich nicht wütender, als seine angebliche Beichte.
Mit verschränkten Armen stellte ich mich unter den türenlosen Durchgang und beobachtete, wie er sich entspannt an der Armlehne der Couch niederließ.
"Du hast diese Narben nicht." knurrte ich leise, "Über sowas lügt man nicht, nur um dazuzugehören. Das ist abartig, Eric."
Er verdehte die Augen, während er sich die Jacke abstreifte und atmete leise aus. Ohne Vorwarnung schob er seinen linken Ärmel hoch und streckte mir seinen Unterarm entgegen.
Ungläubig trat ich vor ihn und starrte einen Moment darauf, bevor ich große Augen machte.
Tatsächlich zierten ihn nur wenige Tage alte Schnitte und sogar alte Narben.
Teils geschockt sah ich in seine Augen unter denen ein zufriedenes Grinsen prangte. "Pass auf, was du sagst, Anerston." schob er den Ärmel zurück und saß gebuckelt da, während er sich umsah.
Aber wieso? Wieso hatte er auch alte Narben. "Wieso sind da frische bei?" fragte ich atemlos. Meine Welt wurde immer unverständlicher. Eric? Der, der sich aufführte, wie der größte Alpha? Der so selbstbewusst und stark auftrat und in diesem Moment die Schule schwänzte?

"Uninteressant. Ich bin eigentlich hier, um dich einzusacken, nicht, um unsere Probleme zu bereden." meinte er leichthin, bevor er mich wieder ansah.
Ich brauchte einen Moment, um mich umzustellen. "Wohin einsacken?"
Er grinste wieder auf, während er den Kopf in den Nacken legen musste, um mich anzusehen. Ohne es bemerkt zu haben, hob er die Hände und packte mich sanft an der Hüfte. Überrumpelt entschränkte ich meine Arme und legte die kalten Hände stützend auf seine, die mich noch näher zu ihm zogen. Ich wusste nicht, ob ich sie wegschieben sollte oder es vollkommen in Ordnung war. "Die Wahl überlasse ich dir." flüsterte er verschwörend und grinste mich von meinem Bauch aus an.
Was war mit ihm los? Wieso war er letzte Zeit so zärtlich? Der Schock darüber ließ einen Kloß in meinem Hals bilden und das Kribbeln, dass um den Bereich seiner Händer herrschte, machte mich schwach auf den Beinen.
"Entweder zeige ich dir einen ruhigen Ort außerhalb der Stadt oder  wir beide schalten mal den Kopf ab und haben richtig Spaß." sprach er weiter, aber als sein Daumen anfing über den Saum meines Shirts zu streichen, das so dünn war, dass es selbst jeden minimalen Luftzug direkt durchspüren ließ, schaltete sich mein Denken ab.
"Spaß?" säuselte ich, als hätte ich dieses Wort zum ersten Mal gehört.
"Und wie. So ähnlich, wie mit Wolter und der Connor. Ein richtiger Adrenalinkick. Das hat dir doch gefallen oder etwa nicht?" Seine dunklen Augen glänzten zu mir empor, als würde er versuchen mich mit einem Teddybären-Blick zu umgarnen.
"Schon." antwortete ich stockend.
"Also wählst du die Ablenkung?" grinste er tiefer.
Ablenkung. Ein leicht hergesagtes Wort, dass für mich jedoch eine große Bedeutung hatte. Es war schon wie ein Codewort, dass mich in einen Zustand versetzte, der mich sofort alles ablegen und nur der einen Sache folgen ließ.
Da ich zu überrumpelt von Erics Verhalten war, nickte ich bloß.
"Na dann." stand er auf, ohne mich loszulassen, weshalb seine Brust meine streifte und ich den Atem anhielt. "Dann tröddel nicht weiter rum und zieh dich um." drängte er mich mit seinem Oberkörper an meinen nach hinten, sodass ich ein wenig stolperte. "Auch wenn mir dieser Aufzug bei Weitem mehr gefällt." raunte er leise, was mir einen Schauer verpasste, der bis in die Knochen ging. Was passierte hier?

Geschockt starrte ich zu ihm herauf, doch er grinste mich nur schief an, während seine Augen amüsiert loderten.


Total aus der Rolle schloss ich die Eingangstür hinter uns, als eine leichte Briese über mich fegte. Ich hatte nur eine schwarze Jeans und meine typische gepolsterte Jeansjacke an, die schon ein wenig verwaschen war. Hinter dem offenen Reißverschluss zeigte sich ein schwarzer Pullover auf dem eine lange Kette prangte.
Genau diese nahm er gedankenverloren zwischen die Finger und betrachtete den Anhänger. "Schick." meinte er anerkennend, "Genau mein Stil."
Der Anhänger war ein umgedrehtes Kruzifix.
"Komm." meinte Eric, der mir zu gut gelaunt war, aber der Fakt, dass er darauf meine Hand nahm, war noch seltsamer.
In meinen gefütterten Boots stampfte ich mit ihm die Verandatreppe hinunter und grübelte. War es normal, dass ein Typ sich so verhielt? War das noch freundschaftlich? Ich wusste es wirklich nicht, weil ich noch nie männliche Freunde hatte, geschweige denn einen Freund mit meinen 17 Jahren. Und es war nicht so, dass ich Eric als etwas anderes als einen Kumpel sah.
Ich entschied in diesem Moment einfach die Schultern zu zucken und dieser Sache ihren Lauf zu geben, ohne zu wissen, wo das irgendwann wirklich hinführte.

Wir liefen stumm die Straße runter, ohne, dass ich Erics gestohlenen Wagen entdecken konnte. Dabei fing ich erst jetzt aus meiner Trance zu kommen und mich zu fragen, was er eigentlich vor hat.
"Erfährst du, wenn wir da sind." antwortete Eric mir.
Ich hoffte, es hatte nichts mit Schweinedärmen oder Ritualen zu tun. Auch wenn ich die insgeheim immer interessant fand.

Wir blieben vor einem schwarzen Motorrad stehen, dass mir sehr bekannt vorkam. "Ist der nicht von Regy?" fragte ich immer noch neben der Spur.
"Jo." bekam ich nur lässig zugewand, genauso, wie einen schwarzen Helm.
"Du willst mich verarschen." hauchte ich, was ihn mich einen Moment mit erhobener Braue ansehen ließ. Dabei schwenkte er seinen Helm von einer zur anderen Hand.

Cold WinterWhere stories live. Discover now