XXXII

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Ich verstand nicht wie, aber der Ärger meiner Eltern für mein Schwänzen, war nicht so drastisch, wie erwartet. Sie hatten sich eher Sorgen gemacht, da ich so lange weg war, ohne erreichbar zu sein.

Deshalb ging die Beschaffung meines ersten Smartphones schneller und ich war sofort damit überfordert. Es war ungewohnt, nicht zu drücken, sondern zu tippen. Nichts mehr aufzuschieben und mehr Funktionen zu haben, als man brauchte.
Es beschäftigte mich den ganzen Tag in der Schule.
Seufzend hörte ich auf mir illegal Songs runterzuladen und gab auf. Es war mir schlichtweg zu anstrengend.
Mit trägen Augen blickte ich durch den Flur, bis ich Jennifer erblickte. Nicht wirklich wissend, was ich tun sollte, hob ich einfach die Hand beim vorbeigehen, doch sie kam lächelnd auf mich zu, nachdem sie Eric hat für mich stehen lassen.

Ich ignorierte ihn absichtlich, während ich den Blickkontakt zu Jennifer hielt, weil ich nicht wusste, wie ich mich sonst zu verhalten hatte. Und wenn er keine Mühe machen wollte, mir entgegen zu kommen, wieso sollte ich es dann?
"Hey, hast du heute nach der Schule Zeit?" fragte sie mich mit großen kastanienbraunen Augen, die bei dem lockeren Pferdeschwanz nur noch mehr aus ihrem schmalen Gesicht hervorstachen.

Mein Puls überschlug sich und ließ somit all die Sorgen und Bedenken durch meinen Körper jagen. "Ja." antwortete ich belegt, "Wieso?"
"Einige Freunde von mir und ich wollen auf unserem Footballfeld ein wenig Ball spielen und im Anschluss Bier trinken, da es jetzt nicht mehr benutzt wird."
Skeptisch musterte ich sie. Jennifer konnte mich doch nicht einfach so und ohne hinterlistige Gründe einladen. Oder..? Und doch faszinierte es mich.
"Keine Sorge. Eric weiß nichts davon und wird somit nicht da sein." senkt sie mit ahnenden Grinsen den Blick, "Also?"
Verdutzt zog ich die Brauen zusammen. Wieso sollte sie denken, dass ich nicht-..Innehaltend wurde mir etwas klar. Eric musste wohl jegliche Treffen geheim gehalten oder schlecht geredet haben, wenn schon Jennifer dachte, wir wollten nichts voneinander. Eigentlich gut, aber auch merkwürdig. Wozu dieser Aufwand? Bin ich so peinlich?
Ja.

Ich konnte es nicht vermeiden den Blick über Jennifers Schulter schwenken zu lassen, direkt auf Eric, der desinteressiert am Handy war, bevor ich sie wieder ansah. "Ok. Ich komme mit." meinte ich entschlossen. Und kam gegen den Fakt zugesagt zu haben sofort nicht an.

Seit Jahren hatte mich ein Mädchen nicht gefragt, ob ich mich treffen möchte. Geschweige denn meine Nummer bekommen.


Der Fakt, Jennifer und ihre Footballfreunde nach der Schule zu treffen, beschäftigte mich so sehr, dass ich im Unterricht zwar nach vorne starrte, doch keinen Gedanken daran verschwenden konnte.
Sie hatte mir noch Ort und Zeit des Treffpunks geschrieben und das war's.
Ich würde lügen, wenn ich meinte, dass es mich nicht misstrauisch machte, aber ich versuchte nicht zu sehr darüber nachzudenken, sondern mich einfach darauf einzulassen. Dass letzte Treffen mit Eric hatte mir gezeigt, dass es was gutes bringen konnte und nicht schlimmer werden konnte, als sich Zuhause allein mit seinen Gedanken in die Decke einzumurmeln. Ich hatte also nichts zu verlieren.


Dennoch nutzte ich mein Handy zur Ablenkung vor meinen Gedanken in der großen Pause und merkte, wie gut es war, dass meine Eltern wenigstens schon einen Vertrag für mich abgeschlossen hatten. Ich hatte mich nie groß mit etwas in den letzten Jahren beschäftigt, weshalb ich keine Ahnung hatte, was zurzeit wirklich Hip war, was in der Politik geschah oder sonst was, was mit der Gesellschaft in Verbindung kam.

"Hey, Heather." leckte eine warme Stimme plötzlich über mich und ich blickte verschreckt von meinem Platz hoch.
Brad stand lächelnd vor meinem leeren Tisch und stellte mir eine von den beiden Kaffeebechern hin, die er hielt.
Verdutzt blieb mein Blick kurz auf diesem, bevor er wieder zu Brad ging. Doch meine Kehle war verschlossen. Ich konnte von dem Typen mit dem engelsgleichen Grübchen und breiten Schultern nicht wegsehen, weshalb er wohl entschied stattdessen weiterzusprechen.

"Weil du letztens nicht mit mir in ein Café gehen wolltest, habe ich entschieden, dir wenigstens diesen zu bringen, in der Hoffnung mit dir reden zu können." hob er seinen Becher vielsagend, "Deshalb musst du dich wohl mit dem ranzigen aus der Caféteria zufrieden geben."

Nur schwer wendete ich den Blick von ihm auf den Becher, der anscheinend meiner war und konnte die Lippen vor Schock nicht schließen.
War das wirklich noch der arrogante Footballspieler, der nur an sich selber interessiert war? Ich konnte mich nicht erinnern, dass er sich je so viel Mühe gemacht hatte ein Mädchen auf die falsche Fährte zu führen, nur, um ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Und doch passte es nicht zusammen. Brad und ich.. Wir waren wie Tag und Nacht. Und das konnte ich mit Klarheit sagen, ohne ihn richtig zu kennen. Und obwohl ich skeptisch war, konnte ich das sanfte Herzflattern nicht aufhalten.

Seufzend hob ich das Gesicht wieder zu ihm. "Brad, das ist keine-"  "Ich glaube nicht, dass es eine schlechte Idee ist. Ich will einfach nur reden. Ist das dann gleich ein Schwerverbrechen?" lächelte er sanft zu mir runter.

Auf der Unterlippe kauend sah ich runter auf den dampfenden Becher und hatte keine Worte. Alles in mir schrie vor Abneigung, doch ein anderer Teil hörte sich an, wie ein Meerschweinchen auf Crack.
"Darf ich?" zeigte er auf den Platz mir gegenüber, was mich noch mehr versteifen ließ, als ich es so schon war.
Er ist arrogant und selbstverliebt!
Er ist es gewohnt, alles zu bekommen, was er will!

Innerlich zuckte ich vor der Stimme in meinem Kopf zusammen. Sie hatte recht. Ich hatte Brad zwar immer gern angesehen, aber nie wollte ich mit ihm reden. Vor allem, weil mich Menschen störten, die nichts außer sich selbst kannten. Aber waren die letzten Begegnungen mit ihm wirklich so verlaufen? Ich kann mich nicht erinnern, dass er je bei mir geprahlt hatte.
Außerdem hatte er sich Sorgen gemacht. Oder jedenfalls kam es so rüber. Und er hatte mir eine Pflanze geschenkt, die mich bis heute immer wieder ein wenig aufmunterte.
Und er hatte dir jetzt extra einen Kaffee gekauft. Wer hatte das je für dich gemacht?
Seufzend schloss ich die Augen. "Ja, setz dich ruhig." murmelte ich und umgriff den Becher, dessen Wärme sich wohlig in mir verbreitete.


Zufrieden schmunzend nahm er Platz, bevor er sich mit den Unterarmen auf dem Tisch abstützte. Es kam mir surreal vor. Das sollte nicht passieren. Und ich war mir ziemlich sicher, dass jetzt schon etliche Augenpaare auf uns lagen, auch wenn sie mich nicht interessierten. Mich beschäftigte eher die Frage: Wozu der Aufwand? Ich bezweifelte sehr, dass Brad groß Spaß haben würde mit mir. Und sollten wir tatsächlich Freunde werden (was so unwahrscheinlich, wie die Rückkehr von Beethoven war) würde es zu nichts führen. Ich wäre nicht lang genug auf diesem Planten, um mich jetzt noch mit jemanden zu verbinden.

"Wie geht es dir?" fing er unschuldig an, was mich hätte schnauben lassen sollen. Es war eine Frage, die ich inzwischen wie ein Roboter beantworten konnte.
"Gut. Auch wenn du mich verwirrst."
"Ach, ja?" hob er amüsiert die Brauen, "Wieso das?"
Ich ließ mir Zeit, weil ich nicht wusste, wie ich das in die richtigen Worte packen sollte. "Normalerweise spricht mich niemand freiwillig an. Und dass ausgerechnet du das tust, kommt mir unlogisch vor."
"Unlogisch?" spielt er kurz verwirrt, bis ihn mein Blick seine aufgesetzte Miene aufgeben ließ und er seufzte. "Du meinst wahrscheinlich, dass ich doch so beliebt bin und nichts mit.." Er suchte nach dem richtigen Wort.
Seit wann scherte es ihn, wie er sich anderen gegenüber ausdrückte? "Einem Außenseiter, wie mir, zu tun haben sollte?" beendete ich es für ihn, was seinen warmen Blick wieder auf meinen stummen richten ließ. "Ja, das meine ich damit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Auftreten schreit: Sprich mit mir! Ich bin so gesprächig, wie ein Wasserfall, und kann es kaum erwarten dich zum lachen zu bringen!" Ein wehmütiges Lächeln begleitete meine bitteren Worte.
Dennoch zucken seine Mundwinkel. "Ach, wirst du nicht? Ich dachte, du würdest mich in den Tot schwafeln, damit ich endlich meinen Frieden von allem finde."

Ich konnte nur die Augen verdrehen und einen Schluck des Kaffees nehmen, der mein Gesicht verziehen ließ. "Okay, du hattest recht. Der Kaffee hier schmeckt eindeutig ranzig."
"Tja," zuckte er selbstgefällig die Schultern, "Du wolltest es ja nicht anders." Aber das strahlende Grinsen darauf zeigte, dass er nur Witze machte, was mich verstummen ließ.
"Du magst zwar zu den leisen Menschen gehören, aber ich glaube, dass viel mehr hinter deiner Fassade steckt, als du preisgibst." ließ er die Bombe einschlagen, was mich ihn mit großen Augen anstarren ließ. "Und ich würde die andere Seite gerne kennenlernen." legte er den Kopf schief, obwohl ich diejenige war, bei der die Welt schräg gestellt wurde. "Wenn du es denn zulässt."

Cold WinterWhere stories live. Discover now