thirty nine

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Auch wenn Felix selbst unfassbare Angst hatte und Hannahs Worte ihm ebenso wenig geholfen hatten, versuchte er wenigsten Chan ein bisschen an Kraft zu geben und griff nach seiner Hand. Kaum merklich zuckten die Mundwinkel des Älteren nach oben, der sich nun ein bisschen sicherer fühlte. Und auch seine negativen Gefühle verschwanden zu einem gewissen Grad, sodass er sich endlich traute sich erklären zu können, um sich gegen die Worte seiner Mutter zu wehren.

"Auch wenn ich in euren Augen ein Nichtsnutz bin und alles falsch gemacht habe, weiß ich für mich selbst, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, mich von dem ganzen Scheinleben zu entfernen. Wenn du mir eins auswischen willst, mach' es. Aber lass' dabei Felix aus dem Spiel. Du kannst mich schlagen, du kannst mich mit deinen Worten verletzen, das ist mir alles egal, aber lass mich mein Leben leben, wie ich es will." Etwas überrascht von den Worten, zog seine Mutter nur eine Augenbraue in die Höhe und verschränkte dabei ihre Arme. Für einen kurzen Augenblick dachte sie, dass sie wohl kaum was aus ihrem Sohn herausbekommen konnte. Als Felix an seiner Seite stand, ihm Mut gab, schien er wie ausgewechselt zu sein, viel selbstsicherer, als sie ihren Sohn kannte und so langsam kam sie selbst zum Zweifeln.

"Wir mussten eine Menge Geld zahlen, damit die Polizei dich als tot erklärt.", sprach nun sein Vater und wirkte ein wenig unsicher bei der Sache, "Wenn du in Australien geblieben wärst, wäre es kein Problem gewesen. Aber als du dann mit deinen australischen Pass zurückgekommen bist, wurde die Polizei direkt alarmiert und war drauf und dran den ganzen Fall wieder aufzurollen, hätten wir das Ganze nicht gestoppt. Du musst wissen, dass wir dir nie Schaden wollten. Wir haben uns nur Sorgen um dich gemacht. Du bist unser Sohn."

Mittlerweile war es jedoch zu spät für jegliche Entschuldigungen. Die Wunden, die Chan mit sich herumtrug, waren tief und so bezweifelte er, dass er jemals eine Entschuldigung, die von seinen Eltern kamen, annehmen konnte. Jedenfalls fühlte er sich nicht in der Lage dazu. Dass sie ihm allerdings ermöglichen ein für ihn normales Leben zu führen, ließ seine Wunden ein wenig verblassen. Er wusste, dass alles schlimmer hätte kommen können. Dafür sollte er ein wenig dankbar sein.

"Es war eine dumme Idee. Doch es tut mir nicht wirklich leid, irgendwie habt ihr das euch selbst zu zuschreiben."
"Zwar toleriere ich deine Entscheidung, doch ab den heutigen Tag trennen sich unsere Wege. Und eine Bedingung hab' ich noch. Auch wenn die Polizei dich für tot erklärt hat, stimmt die Leiche nicht mit deiner DNA zusammen. Dementsprechend suchen sie nach wie vor noch nach deiner Leiche oder nach dir als Person und es wäre wirklich besser, wenn du Korea wieder verlässt. Sie brauchen Beweise und wenn irgendwas von dieser ganzen Geschichte ans Licht kommt, dann stehen wir noch vor einem viel größeren Problem. Wir wollen dich nicht loswerden, sondern es wäre die klügere Entscheidung. Für dich..." Die Augen der Frau wichen zu Felix, seufzte kurz. "Für euch."
"Er geht noch in die Schule und ich glaub nicht, dass er wegen mir zurück nach Australien will."

Um alle legte sich eine Stille, die erdrückend war. Chans Worte hatten Felix ein wenig verletzt, obwohl er genauso wusste, dass dieser es nur gut meinte mit dem, was er sagte. Für ihn war die Entscheidung durchaus schwerer gewesen, als sie es für den Schwarzhaarigen war und obwohl er seit vier Jahren in Korea war, fühlte es sich befremdlich an sich vorzustellen, wie ein Leben in seiner alten Heimat aussehen würde. Felix hatte sich an die Kultur hier so gewöhnt gehabt, als wäre er hier groß geworden. Das war er aber nicht.

"Ich habe niemals nein dazu gesagt.", entkam es dem Jüngeren kleinlaut. Es waren die ersten Worte, die Chans Familie gehört hatte und alle von ihnen hatten erwartet, dass seine Stimme ganz anders klang. Die ältere Frau schien am meisten darüber sprachlos zu sein, die bisher kein Blatt vor den Mund genommen hatte. Ihr Bild schien sich allmählich zu ändern. Nicht, dass sie es befürwortete, aber sie sah, wie Chan wirklich glücklich mit seiner Entscheidung war, er nichts bereute, was er getan hatte. So glücklich hatte sie ihn lang nicht mehr gesehen, es war sogar das erste Mal, dass er ihr derartig widersprochen hatte und ihr deutlich gemacht wurde, dass sie ihren Sohn gehen lassen musste. Die Entscheidung als Eltern waren die Falschen gewesen, irgendwo hatten sie dann doch ein Herz dafür, ihrem erstgeborenen Sohn nicht das Leben zur Hölle zu machen.

"Passt auf, ich werde noch einmal mit dem Zuständigen deines Falls reden und alles versuchen herauszögern. Chris muss aber aus Korea raus, es ist zu deiner Sicherheit und auch zu der deines Freundes"

So ganz wusste Felix nicht, wieso sein Freund Gefahr laufen sollte. Welche Bedrohungen auf ihn warteten, doch er traute sich das nicht in die Runde zu fragen. Vielleicht könnte es ihm Chan später beantworten, genauso wie seine Eltern wissen konnten, dass er am Leben war. Womit er sich aber nicht anfreunden konnte, war, dass man ihm quasi zu einer Entscheidung zwang. Er wurde regelrecht dazu gedrängt, zusammen mit Chan diesen Schritt zu gehen, weil ihre Zukunft in Gefahr sein würde. Irgendwie fühlte er sich nicht bereit dazu, weil er noch in die Schule ging und alles gewohnte ihm dann genommen werden würde. Sein Umfeld, seine Umgebung, alles. Noch nicht einmal Hyunjin hatte er, bei dem er sich ausheulen konnte, wenn ihm alles zu viel wurde. Einzig und allein Chan wäre an seiner Seite und wer wusste, was aus ihm werden würde, wenn sich ihre Wege in Zukunft doch trennen würde? All das stand in den Sternen.

Erneut bekam Felix bei dem Gedanken an seine Zukunft Angst, obwohl er diese mit der Zeit in den Griff bekommen hatte. Gerade war er sich nicht sicher, ob die Beziehung mit Chan nur negative Dinge mitbrachten oder ob es doch noch etwas geben würde, auf das er sich freuen könnte.

𝗦𝗸𝘆 ✧ CHANLIX Where stories live. Discover now