Kapitel 10: Der weiße Schein

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Legolas hatte die restliche Nacht Wache gehalten, doch nun wurde es hell und er weckte Gimli und Aragorn noch bevor die Sonne aufging. Sie mussten den Spuren der Hobbits weiter folgen, eine längere Pause als nötig könnte den Abstand, den sie zu den Uruk-hai hatten, zu sehr vergrößern.

So machten sie sich früh auf den Weg und folgten weiter den Spuren auf dem Boden. Während Aragorn sie anführte, war es diesmal nicht Gimli, der aus Erschöpfung und weil er nicht mithalten konnte ganz hinten lief, sondern Legolas.

„Was ist denn los, Junge? Du schaust doch sonst nicht so betrübt!", rief der Zwerg und blickte auf den Elben, der seinen Kopf gesenkt hatte, jetzt aber aufschaute.

„Lass ihn, Gimli, bitte", gab Aragorn sanft zurück, als er merkte, dass der Prinz nicht vorhatte dem Zwerg zu antworten und ihm sicher nicht seine Lasten aufdrücken wollte.

„Er schweigt wie ein Grab, sonst sagt er schon nicht viel, aber heute hat er noch kein Wort von sich hören lassen!", sprach Gimli, woraufhin Aragorn nur genervt seufzte und sich zu ihm umdrehte.

„Bitte, Gimli, lass ihn in Ruhe", antwortete er erneut und warf einen Blick auf Legolas, auf den Boden schaute und versuchte, das Gespräch zu ignorieren.

„Wenn ihn etwas bedrückt, dann kann er doch mit uns reden!"

Jetzt riss der Elb seinen Kopf nach oben. „Du hast keine Ahnung, Gimli! Ihr habt keine Ahnung...!", rief er und seine Stimme verstummte bei dem letzten Satz. Er blieb stehen und sah, wie die beiden ihn jetzt geschockt anschauten, selbst Aragorn.

Ehe der Mann ihn fragen konnte, begann Legolas zu erzählen, ihm war es egal, dass der Zwerg danebenstand. „Ich habe gestern von meiner Mutter geträumt... Von ihrem Tod."

„Legolas..." Aragorns Mund klappte stumm auf, nun verstand er, warum der Elb so reagiert hatte.

„Ich war dabei. Und ich bin schuld", sagte der Prinz knapp und verdeckte sein Gesicht in seinen Händen. Er nahm einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen und fuhr fort. „Ich war ein Elbling, keine fünf Jahre alt, und beharrte darauf noch eine Runde Verstecken mit ihr im Wald zu spielen, obwohl es spät war. Der Palast lag ein ganzes Stück entfernt von uns, aber der Waldteil, in dem wir spielten, war mein Lieblingsgebiet. Sie stimmte zu und so suchte ich mir ein Versteck, doch ein Leuchten von weiter weg faszinierte mich und ich lief darauf zu. Es war eine Falle, dunkle Gestalten umrundeten mich, in meinem Traum sahen sie fast aus wie Nazgûl, rückblickend habe ich keine Ahnung, wer sie gewesen sein könnten. Sie gingen auf mich zu und ich hatte Angst, jedoch kam meine Mutter gerannt, mit nichts weiter, als einem Dolch, aber sie hatte keine Chance. Sie stachen ihr in den Bauch und verschwanden dann, ich lag da und sah meiner Mutter zu, wie sie verblutete...", erzählte er und spürte, wie sich Aragorns Hand beruhigend auf seine Schulter legte.

„Deine Mutter hat dich beschützt... Die Kreaturen haben nur sie getötet, nicht dich... Legolas es tut mir leid, ich wusste nicht, dass du so etwas miterleben musstest...", sprach er sanft und strich über die Schulter des Elben, der leicht den Kopf schüttelte.

„Es ist egal... Ich hatte das Gefühl, darüber hinweggekommen zu sein, nur mein Vater nie. Er hasst mich dafür, einmal sagte er, es wäre ihm lieber gewesen, wenn es mich erwischt hätte, nicht sie", flüsterte er betrübt und sah die Wut und Trauer in den Augen seines Vaters vor sich, als er diese Worte ausgesprochen hatte.

„Legolas...", wollte der Mann antworten, wurde aber unterbrochen.

„Ich sagte dir schon, dass er sich nicht mehr für mich interessiert, jetzt kennst du den Grund", gab er zurück.

„Trotzdem, ich wage zu glauben, dass es in seinem Herzen noch Gutes gibt. Offenbar kam er nur nie über ihren Tod hinweg und ließ seine Wut und Trauer an dir aus, aufgestaute Gefühle lassen ein Herz brechen und Elben verblassen dann. Ich bin sicher, er wäre auch verblasst, doch es muss etwas gegeben haben, was ihn davon abhielt. Und ich glaube, du warst es", antwortete Aragorn ruhig und sah, wie Legolas seinen Kopf wegdrehte, als wolle er die Worte nicht wahrhaben.

Gimli blickte nur zwischen ihnen hin und her, nicht in seinen entlegensten Gedanken hätte er gedacht, dass das, was den Elben belastete, so tief reichte, aber ihn bewegten die Worte des Mannes, der versuchte Legolas zu bestärken.

Legolas schaute schließlich wieder zu Aragorn auf, um seinen mondgrauen Augen zu begegnen. „Ich glaube zwar nicht, dass du recht hast, aber ich hoffe es...", flüsterte er und lächelte leicht.

Ihr Weg führte sie nun in den verwunschenen Fangorn-Wald, alte Bäume mit dicken Stämmen ragten ihre knorrigen Äste der Sonne entgegen, ihre Wurzeln um moosbedeckte Steine geschlungen, die an der Seite des Pfades thronten. Durch die Kronen der Bäume drang nur wenig Licht, von der Sonne, die hell am Himmel brannte, kamen nur einzelne Strahlen auf dem Waldboden an.

Die Atmosphäre war seltsam, gelegentlich hörte man ein lautes Knarren von Holz, sonst herrschte Stille, kein Zwitschern von Vögeln, keine Eichhörnchen die Nüsse knackten, nur das Geräusch, wie der Wind die Bäume bewegte.

„Die Spur endet hier", sagte Aragorn dann und als er sich umdrehte, sah er, wie Legolas mit aufgerissenen Augen um sich blickte.

„Ich spüre etwas... Der weiße Zauberer ist in der Nähe", flüsterte er schließlich und die beiden warfen ihm geschockte Blicke zu. „Haltet eure Waffen bereit, wir dürfen ihn nicht zu Wort kommen lassen", fügte er hinzu und so bogen sie um den nächsten Baum.

Vor ihnen offenbarte sich ein heller, weißer Schein. Augenblicklich schoss Legolas einen Pfeil auf die Gestalt, deren Umrisse man erkennen konnte, doch dieser prallte an einem unsichtbaren Schild ab. Aragorn richtete sein Schwert aus und Gimli zückte seine Axt, aber als sie ebenfalls auf den Schein zugehen wollten, begannen die Griffe ihrer Waffen zu glühen und sie warfen sie schnell auf den Boden. Nun standen sie da, ohne Verteidigung, gegen Saruman.

Verwundert, dass sie bisher noch nicht angegriffen oder ein Zauber gesprochen wurde, rief Aragorn: „Zeig dich!"

Eine tiefe Stimme ertönte. „Ihr seid auf der Suche nach zwei Hobbits."

Der Mann schaute nun eindringlich in die Richtung des Scheines, sich eine Hand vor sein Gesicht haltend, damit das Licht ihn nicht zu stark blendete. „Wo sind sie?"

„Sie sind hier vorbeigekommen", antwortete der weiße Zauberer und erneut fragte Aragorn:

„Wer bist du?"

Schließlich wurde das Licht des Scheines schwächer und was sich offenbarte, ließ ihnen den Atem stocken.

„Gandalf?", sagte Aragorn ungläubig und ging noch einen Schritt auf ihn zu, um sich zu versichern, dass seine Augen ihn nicht täuschten. Der Zauberer stand in einem weißen Gewand vor ihnen, nicht in grau, wie sie ihn kannten. „Wie ist das möglich? Du bist doch... gefallen...?"

Gandalf schmunzelte. Er erzählte von seinem Kampf mit dem Balrog, der nicht geendet hatte, als er von der Klippe fiel. Ihm gelang es, diese Kreatur der Unterwelt zu besiegen, aber dies kostete auch ihm sein Leben. Um seine Aufgabe zu erfüllen, habe man ihn jedoch zurückgeschickt, und so wurde er zu Gandalf dem Weißen, der nun vor ihnen stand.

„Was ist mit den Hobbits? Sind sie am Leben?", versicherte sich Legolas und war froh, als Gandalf nickte.

„Sie sind am Leben, müssen jetzt aber ihren eigenen Aufgaben folgen. Wir sollten uns nun sofort auf den Weg zu König Théoden nach Edoras machen, der Einfluss von Saruman auf ihn ist schon viel zu groß", fügte der Zauberer hinzu.

So nahmen sie einen Pfad, der zur Waldgrenze führte. Aragorn stieg dort auf sein eigenes Pferd und Gimli hinter den Elben. Der Waldläufer wollte Gandalf gerade deuten mit auf Hasufel zu steigen, doch der Zauberer winkte lächelnd ab und pfiff einmal laut, das Geräusch hatte beinahe Ähnlichkeit mit dem Zwitschern von Vögeln.

Plötzlich kam ein weißes Pferd über die Ebene auf sie zu galoppiert und Legolas schaute verwundert zu Gandalf. „Ist das ein Mearas? Oder täuschen meine Augen mich?" Mearas galten als die edelste Pferderasse, ihr Fell war weiß wie Schnee und ihre Augen dunkel, wie die Tiefen der Meere.

„Nein, du täuschst dich nicht, das ist Schattenfell, der Fürst der Mearas", antwortete der Zauberer, während er über das glänzende Fell strich und stieg nun auf das Pferd, er ritt ohne Sattel und Zaumzeug.

„Dann lasst uns keine Zeit verlieren!", rief er und sie galoppierten über die weiten Felder in Richtung Edoras, der Hauptstadt Rohans.

Emel nîn | Aralas FFWhere stories live. Discover now