Kapitel 21: Endlose Dunkelheit

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Es vergingen zwei Wochen. Legolas saß auf seiner Fensterbank, den Kopf an die Scheibe gelehnt und schaute sehnsüchtig nach draußen. Über seine Wangen perlten heiße Tränen, sie fühlten sich wie Feuer auf seiner Haut an.

Er konnte nicht aus dem Palast. Seinem Vater wollte er kein einziges Mal noch unter die Augen treten, wenn er versuchen würde mit ihm zu reden, hätte er sowieso keinen Erfolg. Die Wachen befolgten den Befehl streng, Legolas hatte keine Chance nach draußen zu kommen.

Er fühlte sich wie ein Gefangener in einem Gefängnis, nur dass er nie etwas tat. Das Einzige, was er wollte, war wieder die Freiheit, zurück bei der Gemeinschaft zu sein, in Aragorns Armen zu liegen und gemeinsam gegen die Dunkelheit zu kämpfen.

Letzteres tat er zwar gerade, aber sein innerer Kampf gegen die Finsternis war völlig erfolgslos. Sein Zimmer verließ er kaum oder gar nicht, Legolas sprach mit niemandem und er war vollkommen erschöpft, vor dem Schlaf sträubte er sich vehement.

Doch sein Körper war ausgelaugt, die Augenlider fielen schwer nach unten und sein ganzes Gesicht brannte von den Tränen, die er vergossen hatte. Die Wunde an seinem Bauch, die er eigentlich als verheilt geglaubt hatte, begann vor einigen Tagen wieder zu schmerzen und es wurde immer heftiger.

Aber diesmal war er zu schwach, um dem Schlaf zu entkommen.

Berge, überall Berge. Schroffe Felsen und Nebel, der sich in die Täler gelegt hatte. Es war bewölkt, die dicken grauen Wolken ließen keinen Sonnenstrahl durch.

Der blonde Elb stand auf dem Gipfel, ganz oben. So hoch, dass man fast hätte die Wolkendecke berühren können. Die Welt unter ihm grau, als wäre jegliche Farbe aus ihr herausgezogen worden. Nichts außer Stein und Fels umgab ihn noch. Kein Baum, kein Tier, kein Leben. Alles fühlte sich leer und so weit entfernt an.

Er drehte sich um und sah dort plötzlich seinen Vater stehen, in einem dunklen, beinahe unheimlichen Umhang, sein Blick kühl, wie immer, nur dass diesmal Wut zu erkennen war.

„Ich habe immer besseres von dir erwartet... Doch du hast mich enttäuscht. Du enttäuschst mich mit deiner Dummheit, deiner Schwäche, vergießt Tränen wie ein kleines Kind... Und zusätzlich wagst du es, dir einen sterblichen Mann als Liebhaber zu nehmen? So jemand verdient es nicht, mein Sohn zu sein, denn du bist ein nichts. Und nun gehe dorthin, wo du hingehörst", sprach er mit tiefer, von Bosheit durchzogener Stimme, streckte seine Hand nach vorn aus und stieß seinen Sohn in den endlosen, finsteren Abgrund.

Der Prinz hatte nicht die Zeit zu protestieren. Er konnte sich nirgendwo festhalten und so fiel er. Er fiel tiefer, weiter und durch den Nebel hindurch. Weiter, immer weiter nach unten. Die Kälte zerrte an seinem Körper, er verlor das Gefühl in seinen Händen. Sie wurden weiß und erstarrten, wie das Eis, über einem See im Winter.

Aber er fiel weiter, immer weiter nach unten. Es wollte nicht aufhören. Da war es: Das scheinbare Ende, die Dunkelheit. Sie verschluckte ihn und jeder noch so kleine Lichtstrahl verschwand. Es war wie als wäre der Nebel plötzlich tödlich schwarz geworden.

Jegliche Kraft hatte ihn verlassen. Er konnte nichts tun, nichts als zu warten. Zu warten auf das Ende, den Aufprall. Schmerz durchzog seinen Körper. Wie ein Stich in den Bauch. Da war es, das Ende. Endlich. Nur wenige Meter noch.

Legolas schreckte auf. Sein Körper zitterte unermüdlich, er hatte das Gefühl immer noch zu fallen. Er atmete schnell, viel zu schnell und Schweiß rann über seine Stirn. Plötzlich durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Er stieß ein gequältes Wimmern aus und presste seine Hände auf den Bauch, bis er merkte, dass seine Finger nass wurden.

Als er sie hob, sah er Blut daran, das an seinem Bauch durch den Stoff der Tunika sickerte, genau von der Wunde, die ihm schon in den letzten Tagen Schmerzen bereitete, doch nun war sie offenbar wieder aufgerissen.

Emel nîn | Aralas FFWhere stories live. Discover now