Aller Anfang ist schwer *4*

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„Hallo, ihr Pioniere!" Greg begrüßte Alany und Jamie mit einem breiten Grinsen, als sie das Haushaltscenter betraten, und schlug Jamie unsanft auf die Schulter. Gregs Gesicht war gebräunt, da er sich viel draußen aufhielt und er hatte eine stämmige Figur, die gut zu seinem gemütlichen Charakter passte. Jamie klagte Alany oft sein Leid über Greg, da er es zum Leidwesen der gesamten Mannschaft der Nottingham Lions auch auf dem Fußballfeld gemütlich angehen ließ. Alany konnte sich zum Beispiel daran erinnern, wie Greg ein paar Meter vor dem Tor der „Butterfield Warriors" anhalten musste, weil er völlig außer Puste war, und so ein Tor vergeigt hatte.

Greg trug wie immer seine Arbeitskleidung, eine Jeans und ein grünes T-Shirt mit einer riesigen aufgedruckten Sonnenblume, an das ein Namensschild angeheftet war. „Wie geht's so? Habt ihr euch schon ein wenig eingelebt?", forschte er nach. 

Jamie grinste. „Ein einziger Tag reicht dazu nicht aus, aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Was meinst du, Lenny?"

Alany boxte ihn sanft in die Seite und wandte sich anschließend gut gelaunt an Greg. „Es würde helfen, wenn wir Töpfe hätten, gestern wären wir beinahe verhungert!" Diesen Wink verstand Greg sofort und wies ihnen den Weg in die Küchenabteilung.

Vor dem Regal mit den Töpfen hielten sie inne. An Jamies verwirrtem Blick war deutlich zu erkennen, dass er keine Ahnung hatte, wozu die unterschiedlichen Modelle verwendet wurden. Er war in einem Haushaltsgeschäft komplett fehl am Platz. Also machte Alany sich daran, ein paar verschieden große Töpfe auszuwählen.

„Es wäre leichter, wenn ich eine Mutter hätte, die sich um diesen Frauenkram kümmern würde. Leider wird Tante Caroline uns jetzt nicht mehr so viel im Haushalt helfen können", dachte Alany, während sie die Töpfe in einen Einkaufswagen legte.

Nachdem Jamie und sie den ‚Pflichtteil' erledigt hatten, konnten sie zum angenehmeren Teil ihrer Shoppingtour übergehen. Gemeinsam steuerten sie den Bereich für Gartenbedarf an und suchten sich ihren Weg vorbei an Spaten und Saatgut, kleinen Bäumen und Gartenscheren. Jamies Laune besserte sich sichtlich. In der Gartenabteilung hatte er sich schon immer zu Hause gefühlt, denn „dort riecht es nach körperlicher Arbeit und nicht nach Desinfektionsmittel", wie er Alany gerne erklärte. Auch Alany mochte den Gartenbereich, da sie ein Frischluftmensch war und gerne draußen arbeitete.

Nach kurzer Suche leisteten einige Blumen und Gartengeräte den Töpfen im Einkaufswagen Gesellschaft und Alany und Jamie begaben sich zur Kasse. Greg schien enttäuscht darüber zu sein, dass sie bereits gingen, doch Jamie tröstete ihn mit der Ankündigung, das Training der Lions am folgenden Tag trotz des Umzugsstresses abhalten zu wollen.

Die Nottingham Lions, das Training, genau. Alany fiel es wie Schuppen von den Augen. Wie hatte sie nur den Saisonbeginn vergessen können? Gut gelaunte Amateurfußballer, die ihren Sport nicht bierernst nahmen und eher auf ein wenig Party aus waren. Johlende Freunde am Spielfeldrand- Bierflaschen schwenkend, so wie es sich für echte Fans gehörte- und die weiblichen Fans, die es auf ihren Vater abgesehen hatten. Alanys Meinung nach war das Team der Lions die genialste Erfindung seit Menschengedenken, auch wenn ein Feind von Schlamm und blauen Flecken wie Mariah das nie verstehen würde.

                                                            *

Wieder zu Hause verstaute Alany die Töpfe in einem Einbauschrank und schickte Jamie auf die Suche nach Servietten fürs Mittagessen. „Volltreffer!", verkündete er schließlich stolz, als er mit einem kleinen Päckchen in der Hand zur Küchentür hereinspazierte. „Frisch aus dem Bestand der Notfallkiste der Lions."

Alany nahm ihrem Vater das Päckchen Servietten ab. Sie waren grün wie der Rasen auf dem Spielfeld und mit kleinen Fußbällen verziert. Wieder einmal hatte die Notfallkiste sich als nützlich erwiesen. Ins Leben gerufen hatte sie Torwart Anthony Blair, nachdem ein paar Spieler der Cheltenham Ladybirds- einem Fußballteam aus einem kleinen Dorf in der Nähe- das Team der Nottingham Lions spontan zu einem Spiel herausgefordert hatten. Da die ‚Aftershowparty' nach dem Spiel dürftig ausgefallen war, weil niemand Snacks oder Getränke hatte beisteuern können, hatte Blair die Einrichtung einer Kiste mit ‚Notproviant' angeregt. Seitdem gab es die Notfallkiste, die vorsorglicherweise zu jedem Training mitgeschleppt wurde. Sie war stets mit Knabbereien der Spielerfrauen und manchmal der Spieler selbst gefüllt, wobei man den Unterschied deutlich schmeckte. Ab und zu kam es vor, dass die Kiste bereits vor der ‚Aftershowparty' an Inhalt eingebüßt hatte. Alany verdächtigte Greg, doch bisher hatte sie das Rätsel um den verschwundenen Proviant aufgrund akuten Beweismangels nicht lösen können.

Die Ladybirds... Alany hoffte, dass sie den Lions einen erneuten Spontanbesuch abstatten würden, denn das letzte Spiel der beiden Mannschaften hatte Jamie zu  Höchstform auflaufen lassen. „Hey, ihr Ladies und Balletttänzer! Macht euch eure hübschen Röckchen nicht auf dem Spielfeld dreckig!", hatte er damals gerufen.

Alany grinste beim Gedanken an dieses Spiel, denn sie hatte sich dank ihres Vaters vorzüglich unterhalten. Einerseits waren die Ladybirds selbst schuld an Jamies Hänseleien, da sich kein Fußballclub, dessen Spieler noch halbwegs bei Verstand waren, Ladybirds nannte. Andererseits sprach es gegen die sportliche Fairness, Witze über die gegnerische Mannschaft zu reißen.

„Denkst du an unsere Schlammschlacht mit den Ladies, Lenny?" Jamie, der im Gedankenlesen einsame Spitze zu sein schien, schob Alany sanft aus dem Weg.

„Schlachtgeheul verbunden mit Neandertalergebärden trifft es eher", stichelte Alany, entschloss sich aber dazu, ihren Vater nicht weiter aufzuziehen. Für Jamie wäre es wahrscheinlich angenehmer, wenn sie seine Nerven nicht gleich an seinem zweiten Tag als einziger Erwachsener im Haus überstrapazierte. Wenn sie nur nicht so gern sarkastisch wäre!

„Wetten, dass das Essen dieses Mal nicht anbrennt?", fragte Jamie nun in einem herausfordernden Tonfall, während er einen Topf auf den Herd stellte. Seit Onkel Richard die Spaßliste eingeführt hatte, auf der er pingelig genau vermerkte, wie oft sein kleiner Bruder das Essen anbrennen ließ oder zumindest dafür sorgte, dass der Rauchmelder einen Fehlalarm auslöste, fühlte Jamie sich beim Kochen unter Druck gesetzt. Der Umzug hatte anscheinend nichts daran geändert, obwohl er in seinen eigenen vier Wänden vor diesem kleinkindhaften Spiel Ruhe hatte.

„Einverstanden", erwiderte Alany. Dann ließ sie sich schwungvoll auf der Arbeitsfläche neben dem Herd nieder. Von hier aus würde sie aufpassen, dass ihr Vater nicht schummelte.

Langsam füllte Jamie den Topf mit Wasser und stellte ihn zurück auf die Herdplatte. Anschließend drehte er den Zeiger hoch, damit das Wasser schneller aufkochte -Geduld war keine seiner Stärken- und wartete ab.

„Wasser aufkochen ist mega einfach, eigentlich unmöglich, das zu versauen", überlegte Alany. „Eigentlich", flüsterte das Teufelchen in ihrem Kopf.

„Oh!" Offensichtlich hatte Jamie entgegen seiner Vorsätze taggeträumt. Als Bestrafung für seinen kurzen Ausflug ins Reich der Fantasie sprudelte das heiße Wasser über und lief über die Herdplatte. Der Modellversuch ‚Jamie in der Küche ohne irgendwelche Komplikationen' drohte im ersten Anlauf zu scheitern.

„Mist! Warum hat sich die Küchenwelt gegen mich verschworen?", fluchte Jamie und riss den Topf von der Kochplatte, sodass noch mehr Wasser überschwappte. „Gib mir eine zweite Chance, immerhin waren noch gar keine Spaghetti drinnen!", bat er Alany, während er den Topf abstellte, die Hitze herunterdrehte und nach einem Lappen zum Aufwischen suchte.

„Du hast Recht", stimmte sie ihm zu. „Na gut, ich gebe dir noch einen Versuch!"

Offensichtlich nervös wischte sich Jamie den Schweiß von der Stirn und begann von Neuem. Diesmal klappte alles wie am Schnürchen und er verbrannte sich nicht einmal die Finger, als er die Spaghetti in den Topf gleiten ließ. „Ich hätte nie gedacht, dass Hausarbeit eine solche Schinderei ist!", jammerte Jamie, während er sichtlich genervt mit einer Gabel in der weicher werdenden Spaghettimasse herumstocherte. „Seit zehn Jahren übe ich mich im Kochen und meistens geht es trotzdem schief."

„Es ist nicht deine Schuld, dass Tante Caroline dich kaum an den Herd gelassen hat!", tröstete Alany ihn und rutschte von der Küchenplatte herunter. „Und Onkel Richard sollte sich mal selbst anschauen, er kann ja nicht mal Zwiebeln schneiden ohne zu heulen wie ein Schlosshund. Kopf hoch! Mich hat der Küchengott auch ausgelassen, als er das Kochtalent verteilt hat!"

Jamie kicherte. „Küchengott! Wo hast du nur all diese Metaphern her? Ich wette, Shakespeare wäre beeindruckt."

„Du Spaßvogel!" Alany boxte Jamie spielerisch in die Seite. Manchmal ging er ihr mit seinen Neckereien gehörig auf die Nerven.

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now