Liebe ist wie Bungeejumping *8*

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Nachdem Alany an diesem Nachmittag aus dem Schulbus gesprungen war, machte sich ein Kribbeln in ihrem Bauch bemerkbar. Vergeblich versuchte sie, es zu ignorieren, während sie die wenigen Meter zu ihrem Haus zurücklegte. Ihr Bauchgefühl betrog sie nicht, denn Milan stand vor ihrer Tür, als sie das Haus erreichte.

Die Szene erinnerte Alany an einen Märchenfilm: Milan lächelte und sah inmitten all der bunten Blumen, die Tante Caroline kurz nach dem Einzug im Vorgarten gepflanzt hatte, aus wie der Star eines Teeniefilms. Selbst mit Sporthose, T- Shirt und verstrubbelten Haaren sah er umwerfend aus, er gehörte definitiv zu den Jungs, die sich nicht anstrengen mussten, um alle Blicke auf sich zu ziehen.

Oh nein, sie tat es schon wieder. Kaum erblickte Alany Milan, verwandelte sie sich in das hoffnungslos verliebte Mädchen ohne Sinn für Realität.Egal, denn Milans Lächeln wurde breiter, als er sie erblickte. 

„Hi." 

Wie konnte man ein simples ‚Hi' bloß so unwiderstehlich und schüchtern zugleich klingen lassen, wie Milan es tat?

„Hi, du...", versuchte Alany ein Gespräch zu beginnen, gab aber auf, denn ihr Hirnkasten schien automatisch auf standby geschaltet zu haben. Am besten sie hielt den Mund, damit sie sich nicht blamierte.

„Ich hab erst nicht kapiert, dass du mich angerufen hast, Alany. Ich dachte, es wäre Constantin", sagte Milan entschuldigend. „Tut mir leid, dass ich vergessen habe, dir von meiner Fortbildung zu erzählen." Dabei hielt er ihr eine wunderschöne Sonnenblume hin und strahlte sie mit seinen Augen an.

„Danke." Alany spürte wie sie rot anlief und ihre Beine sich in Wackelpudding verwandelten. Wenn Milan sie noch einmal anlächelte, würde er wahrscheinlich tatsächlich von seinen Fähigkeiten als Rettungssanitäter Gebrauch machen müssen. Sie roch an der Sonnenblume und traute sich nicht, den Blick wieder zu heben.

„Wie wär's mit einem Spaziergang?" 

Nun sah Alany doch auf und lächelte Milan an.

„Wenn ich dich sehe, geht die Sonne auf", erklärte er ihr und musste lachen. „Du magst meine Stimme und ich dein Lachen, also sind wir quitt, meinst du nicht?"

Alany konnte gar nicht mehr aufhören zu strahlen, denn Milan war nicht nur charmant, sondern nahm auch ihr peinliches Telefonbekenntnis mit Humor.

„Klar", erwiderte sie schüchtern und schlug ihm vor, über die nahe gelegenen Felder zu laufen. Inzwischen war es Herbst geworden, weshalb das Getreide im Sonnenlicht golden schimmerte. 

Milan willigte ein und folgte ihr auf dem schmalen Trampelpfad, der neben ihrem Haus begann. „Warte doch mal!" Lachend holte er zu ihr auf. Alany hatte nicht bemerkt, dass sie zu schnell ging. „Anscheinend rennst du vor mir davon", neckte Milan sie und nahm ihre Hand.

Alany kam es so vor, als durchfloss genau in dem Moment, in dem Milan seine Finger um die ihren schloss, ein Stromstoß ihren Körper. Ein wohliges Kribbeln breitete sich von ihren Fingerspitzen bis in den Rest ihres Körpers aus. Zunächst überlegte sie, ob sie etwas sagen sollte, doch sie wollte diesen besonderen Moment nicht zerstören. Milan und sie warfen sich einen langen Blick zu und Alany realisierte, wie sehr sie in ihn verliebt war. Am liebsten hätte sie ihn mit ihren Blicken verschlungen und auch Milan konnte den Blick nicht von ihr abwenden.

Eine Weile lang wanderten sie schweigend durch die Felder und ließen sich von den mannshohen Getreidehalmen kitzeln. Dann kamen sie an einem winzigen Teich an, an dem einige Heuschrecken ein Konzert veranstalteten.

„Es ist so idyllisch hier." Alany ließ Milans Hand los und ließ sich rücklings ins Feld fallen, um die warmen Sonnenstrahlen zu genießen. Milan legte sich neben sie. „Ich wünschte, Mariah..." Oh nein, sie könnte sich ohrfeigen. War sie tatsächlich im Begriff, diesen perfekten Augenblick durch ihr loses Mundwerk zu zerstören?

Milan rettete die Situation zu Alanys Erleichterung galant. „Lass uns nicht über deine Cousine reden", bat er und lehnte sich auf seinen Ellenbogen, sodass er sie ansehen konnte. „Im Moment gibt es für mich auf der ganzen Welt nur dich und mich." Und dann küsste er sie ohne jede Vorwarnung. 

Alany hatte noch nie jemanden geküsst. Hätte Milan sie vorgewarnt, wäre sie überfordert gewesen, doch so erwiderte sie seinen Kuss einfach. Ihre Lippen berührten seine, als wäre es ein angeborener Instinkt. Die seinen fühlten sich an wie Samt und Milan küsste so sanft, als hätte er Angst, ihre Lippen zu zerbrechen.

In Alanys Kopf explodierte ein Feuerwerk und tausende imaginäre Rosen und Schokoladenriegel fielen vom Himmel. Milan zu küssen war fast zu schön, um wahr zu sein. Die Funken, die überall in Alanys Kopf herumflogen wie hyperaktive Schmetterlinge schienen aus einer anderen Welt zu stammen. Ginge es nach ihr, könnten ihre Lippen stundenlang Milans erkunden, doch die menschliche Anatomie machte ihr einen Strich durch die Rechnung: Nach einer Weile musste sie ihre Lungen mit Luft füllen. Das magische Gefühl verschwand, als sich ihre Lippen von Milans lösten.

„Danke." Milan lächelte schüchtern und senkte den Kopf, als wäre er verlegen. Obwohl er selbstbewusst wirkte, besonders wenn er sich in einem Einsatz als Sanitäter befand, war er zugleich auf seine eigene Art schüchtern. Und genau das fand Alany süß.

Nun wurde ihr doch schwindlig und eine unsichtbare Kraft zog sie zurück Richtung Boden.

„Alany, oh mein Gott! Alany!" Milan fing sie auf, damit sie sich nicht verletzte. 

Nach einigen Sekunden verschwand die Schwärze vor Alanys Augen. „Du haust mich um", murmelte sie, um den besorgten Gesichtsausdruck des jungen Sanitäters in einen schmunzelnden zu verwandeln. Mit Erfolg. Dennoch blieb Milan auf dem Weg zum Haus dicht an ihrer Seite, als fürchte er, sie würde nochmal umkippen. 

„Ich bin OK, ehrlich", versicherte Alany ihm. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich meinem Vater noch nicht von uns erzähle? Ich würde ihn gerne darauf vorbereiten, anstatt mit der Tür ins Haus zu fallen."

Milan nickte verständnisvoll. „Weißt du, ich hatte nicht geplant, dich zu küssen. Ich bin keiner von den Typen, die sofort aufs Ganze gehen. Eigentlich wollte mich nur mit dir unterhalten, um dich näher kennenlernen, doch ich bin hoffnungslos in dich verliebt. Es tut mir leid: „Ich bin doch nur ein Junge, der vor einem Mädchen steht und ihn bittet es zu lieben".

Alany lachte schallend über das Zitat aus Notting Hill und Milan stimmte in ihr Lachen ein. Einen guten Filmgeschmack hatte er also auch!

„Bis dann", verabschiedete Milan sich mit einem Funkeln in den Augen und umarmte Alany zum Abschied auf der Türschwelle. 

Alany war außer Stande, etwas zu erwidern, weshalb sie ihm lediglich nachsah, als er die Straße hinunter lief. Wow. Dass Milan vor ihrem Haus aufgetaucht war, grenzte bereits an das beste Geschenk, das sie jemals bekommen hatte, und seine Hand zu halten war die Krönung gewesen. Allerdings hätte sie nie erwartet, dass er sie küssen würde. Natürlich hatte sie davon geträumt, doch die Vorstellung von einem Kuss mit ihrem Schwarm war unvorstellbar gewesen, als sie aufgewacht war. Nun war es einfach passiert- und sie war das glücklichste Mädchen auf der ganzen Welt! 

Alany tanzte die Treppe hinauf und schloss die Augen, um den Kuss noch einmal vor ihrem inneren Auge zu erleben. Wie sollte sie Jamie von dem Kuss erzählen, ohne dass er unnötiges Theater veranstaltete? Einerseits fürchtete Alany die Reaktion ihres Vaters, andererseits hoffte sie, dass sich bald die Gelegenheit zu einem klärenden Gespräch ergeben würde. Wie würde Jamie damit klar kommen, dass sein kleines Mädchen erwachsen wurde?

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt